„Da geht was, man muss nur wollen“
Der Soziologe Harald Welzer hält ein nachhaltiges Leben und gutes gesellschaftliches Miteinander für möglich
ls Direktor der Stiftung Futurzwei setzt der Soziologe sich für das „Projekt einer zukunftsfähigen, enkeltauglichen Gesellschaft“ein. Markus Wanzeck hat mit Harald Welzer ein bewegendes Gespräch geführt über ekelerregende Autos, den Reiz des Analogen – und Nachhaltigkeitsgymnastik. Zwei Abendauftritte, Mittwoch in Nürnberg, Donnerstag in einer fränkischen Kleinstadt. Dazwischen Muße für einen entspannten Spaziergang. Er beginnt am Frauentorgraben, einer mehrspurigen Ringstraße um die Nürnberger Altstadt. Beton, Lärm, Abgasschwaden. Kürzlich, beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis, wurde Nürnberg zur „nachhaltigsten Großstadt Deutschlands“gekürt. Hmm. Das wird wahrscheinlich einen Grund haben. Man sieht ihn nicht zwingend.
Heutzutage ist ja alles „nachhaltig“. Das ist die gute Nachricht. Aber vor allem als folgenlose Leerformel – ist das die schlechte?
Es passiert schon eine ganze Menge. Aber gleichzeitig passiert eine größere Menge in die falsche Richtung. Fast alles, was wir in Sachen Nachhaltigkeit erreichen, wird überkompensiert. Das beste Beispiel sind diese idiotischen Autos. Deren Antriebstechnologie wird immer effizienter. Zugleich werden sie immer größer, schwerer, vollgepackter mit hirnrissigen Komfortangeboten. Und verbrauchen am Ende mehr. Welzer in blicktdem auch hinüber einige zum SUVs Ampelrückstau,stecken. SchauenAlle nacheinander,Sie mal: von Paradebeispiele!diesem ekelerregenden Porsche BMW CayenneX5 bis – total hin gestört!zu diesem Und in jeder dieser Kisten sitzt eine Person. Und weiß gar nicht, warum. Warum kommt niemand auf die Idee, solche verschwenderischen Stadtgeländewagen zu verbieten? Die Grünen zum Beispiel? Die sind mir ein Rätsel. Die Grünen stehen fest hinter dem Automobilstandort Deutschland (er spricht mit schwäbischem Einschlag). Winfried Kretschmann? Cem Özdemir. Hat er tatsächlich so in einem Interview gesagt. Die Veggie-Day-Lektion: Die Grünen haben gelernt, dass nicht der die Wählerstimmen bekommt, der das Wählerleben unbequemer macht … … und verlieren so ihren Markenkern, werden politisch obdachlos. Der Klimawandel erscheint nun mal als abstraktes, fernes Phänomen. Ist der gesellschaftliche Leidensdruck nicht groß genug? Der ist gar nicht vorhanden. Nur so sind diese völlig sinnlosen Konsumund Freizeitangebote zu erklären. Die Leute sind ja so deppert, zum Shopping nach New York zu fliegen. Oder sich für diese sogenannten Kreuzschifffahrten in fahrbare Plattenbauten zu quetschen. Vor fünf Jahren haben Sie die Stiftung Futurzwei gegründet – mit dem Anspruch, die Menschen durch „Geschichten des Gelingens“zu einem nachhaltigeren Leben zu aktivieren. Wie das? Die große gesellschaftliche Erzählung ist ja: Die Probleme sind zu komplex, man kann nichts machen, bringt eh nix. Diesem Ohnmachtsgefühl stellen wir Geschichten über Menschen entgegen, die ihre Handlungsspielräume nutzen und weiter ausbauen. Wir wollen zeigen: Da geht was, man muss nur wollen. Entscheidend ist auch, dass wir einen anderen Sound pflegen – nicht diese psychologisch fragwürdige Apokalypse-Rhetorik. Wir legen Wert auf konstruktiven Journalismus. Psychologie spielt in Ihrem Ansatz eine wichtige Rolle. So plädieren Sie etwa für „Gewohnheitsgymnastik“. Unser Handeln ist oft nicht von Einsicht, sondern von Gewohnheiten bestimmt. Also muss man versuchen, diese schrittweise umzustellen. Durch Training. Durch Wiederholung. Wie bei einer Gymnastikübung, die man mit der Zeit verinnerlicht. Es geht nie um ganz oder gar nicht, sondern um Transformation. Welche Gymnastikübungen haben Sie im Repertoire? Ich habe den Konsum runtergefahren, kaufe so gut wie keine Klamotten oder Möbel mehr. Stattdessen lasse ich reparieren oder aufarbeiten. Nützt natürlich alles wenig, wenn ich meine Mobilitätsbilanz anschaue. Wie sieht die aus? Normalerweise fahre ich mit der Bahn – das dafür sehr viel. Ein Auto gibt’s bei uns zu Hause zwar noch, aber das wird kaum noch benutzt. Ich fliege nicht mehr auf andere Kontinente. Lange Zeit bin ich sogar überhaupt nicht mehr geflogen. Allerdings bin ich jetzt rückfällig geworden – zu viele Termine, zu schlechte Terminplanung. Mein CO2-Fußabdruck dürfte das Dreioder Vierfache des Durchschnittsdeutschen ausmachen.
Ihr Buch „Die smarte Diktatur“ist ein Pamphlet gegen die sozialen und ökologischen Negativfolgen der Digitalisierung. Warum so fortschrittsfeindlich?
Welcher Fortschritt? Ich sehe nichts Modernes, nichts Modernisierendes. Nur eine Beschleunigung. Die Digitalisierung erhöht den Warenverkehr, multipliziert Mobilität, erzeugt einen unglaublichen Energieaufwand. Auch das Digitale ist ja fossil.
Sie meinen den Kohlestrom für Milliarden von Computern und Smartphones? Den Sprit, den der Online-Versandhandel verfeuert?
Zum Beispiel. Auf der Benutzeroberfläche ist alles ganz hübsch und praktisch. Die Folgenseite ist vollständig unsichtbar. Diese ganze Wirtschaft basiert darauf, dass sie ihre Voraussetzungen unsichtbar macht. Material und Energie kommen in der digitalen Welt nicht vor.
Bei E-Mails und Sozialen Netzwerken kommen oft nicht einmal Kosten vor.
Genau. Alles prima, alles kostenlos. Was für eine Micky-Maus-Vorstellung von Welt! Und im Hintergrund, unsichtbar, werden die Menschen ausspioniert und ihre Daten zu Geld gemacht. Wir müssen unser Leben vor diesem Digital-Hype schützen, der die Privatheit und die Demokratie gefährdet. Unsere Autonomie steht auf dem Spiel.
Das Smartphone, dieses Freiheitsversprechen, macht die Menschen unselbstständig?
Nehmen Sie nur das autonome Fahren: Wir haben doch den ganzen Scheiß mit der Pubertät nicht durchgemacht, um uns dann als Erwachsene wieder wie Kinder durch die Gegend kutschieren zu lassen! Oder um uns von einem Algorithmus morgens wecken und abends die Musik fürs Einschlafen auswählen zu lassen – als würde einen Mami ins Bett bringen. Dieses ganze Delegieren, dieses Sich-überwachen-lassen … Eine totale Infantilisierung der Gesellschaft!
Sie besitzen kein Smartphone. Sind Sie in Sozialen Medien aktiv?
Um Gottes Willen, nein! Das sind keine sozialen, sondern antisoziale Medien.
Weshalb das?
Naja, eine der negativen Folgen dieser Medien fällt uns ja gerade auf die Füße.
Die Filterblasen und die „fake news“, die Trumps Wahl in den USA begünstigt haben?
Ähnliches lässt sich auch in Europa beobachten. Beim Erstarken des Populismus, des Nationalismus, der Neuen Rechten spielen diese Medien eine große Rolle. Sie scheinen eine große Anziehungskraft auf Leute auszuüben, die gerne hassen.