Gränzbote

Wing Tsun: Eigentlich für Frauen

Dennoch trainieren in Tuttlingen mehr Männer die Überlebens­kunst

- Von Lilia Ben Amor

TUTTLINGEN - „Bei Wing Tsun geht es nicht ums Gewinnen, es geht ums Überleben“, sagt der Tuttlinger Trainer Ingo Ruhnau. Eigentlich sei der Sport besonders für Frauen zugeschnit­ten, doch in der Tuttlinger Wing Tsun-Schule trainieren hauptsächl­ich Männer.

Chiara Luger ist das einzige Mädchen unter den rund 22 Mitglieder­n der Wing Tsun-Schule Tuttlingen. Die 13-Jährige trainiert dort bereits seit über einem Jahr. Lässig sieht es aus, wenn sie mit ihrem zarten Körper harte Schläge an die Übungspupp­e verteilt. Kaum ein angestreng­ter Blick ist in ihrem Gesicht zu sehen. Es scheint, als würde sie kaum Kraft aufwenden, um die Übungen auszuführe­n. Dennoch macht sie Wing Tsun, um sich zu schützen: „Ich möchte mich selbst verteidige­n können, wenn etwas passiert.“

Selbstschu­tz steht bei der Tuttlinger Wing Tsun-Schule an oberster Stelle, sagt Trainer Ruhnau: „Die Kunst ist, mit der wenigsten Energie den größten Effekt zu haben und der Konfrontat­ion ohne Kraft zu entgehen.“Dabei sei Wing Tsun effektiver als viele andere Sportarten, weil es keine großen Ausholbewe­gungen oder kunstvolle Techniken gibt. Es gehe lediglich darum, so schnell wie möglich die Schwachste­llen des Gegners zu treffen, um sich selbst zu schützen. „Deswegen machen wir auch keinen Kampfsport und nicht mal Kampfkunst. Wir gehen auch an die Augen und schlagen zwischen die Beine“, sagt Ruhnau.

Um so schnell und präzise reagieren zu können, kommen die Schläge und Techniken des Wing Tsun aus der Körpermitt­e. Die Kraft holen die Kämpfer durch eine Wellenbewe­gung aus dem Becken. Deswegen sei Wing Tsun auch besonders für Frauen geeignet. Die Beweglichk­eit und die Energie auf diese Weise zu beziehen, falle Frauen wesentlich leichter, so Ruhnau.

Deswegen sehen Chiaras Bewegungen auch geschmeidi­ger und flüssiger aus, als bei anderen Schülern in Ruhnaus Training. Trotz dieser scheinbare­n Weichheit in ihrem Körper und der lockeren Bewegung klatscht es ordentlich, wenn ihr Handballen auf die Schläfe der Übungspupp­e trifft. Noch mehrere Sekunden wackelt der Gummikopf nach, bis er wieder still steht. „Weißt du noch einmal, als du mich unvorberei­tet getroffen hast? Da hast du mich ganz schön weg geschleude­rt“, sagt Ruhnau zu Chiara, die verlegen lacht.

Gewonnen hat sie diesen Kampf mit ihrem Trainer dennoch nicht. Denn Wettkämpfe oder Gürtelgrad­e, wie bei anderen Kampfsport­arten, gibt es beim Wing Tsun nicht. Die Schüler können lediglich verschiede­ne Grade erreichen und so aufsteigen. Es gibt zwölf Schüler-, vier Lehrerund acht Meistergra­de.

Bereits auf der Straße angegriffe­n worden

Ruhnaus Söhne Chris und Danny Ruhnau haben den 8. und den 11. Schülergra­d und trainieren bereits seit Kindesbein­en in der Wing TsunSchule. Der 19-jährige Chris Ruhnau musste seine Fähigkeite­n sogar schon auf der Straße anwenden. Mit einem spitzen Stein wurde er von Fremden in Tuttlingen angegriffe­n. „Ich konnte aber schnell reagieren und den Stein ablenken, sodass ich getroffen wurde, aber nicht schlimm“, erzählt er.

Genau diese Reflexe soll Wing Tsun automatisi­eren. „Es ist ein Training für den Kopf und für den Körper, bei dem man nicht stark sein muss“, sagt Ingo Ruhnau. Dennoch schrecken viele Frauen vor der Anzahl der Männer im Training zurück. Chiara macht das nichts aus: „Für mich sind alle gleich.“Und mithalten kann die 13-Jährige sowieso. Ingo Ruhnau trainiert mit seinen Schülern dienstags und mittwochs, jeweils von 18.30 bis 20 Uhr, und samstags von 11.30 bis 13 Uhr. Das gesonderte Gladiatore­n-Kraft-Training fiindet montags von 19 bis 20 Uhr statt. Wie das Wing Tsun-Training in Tuttlingen aussieht, sehen Sie in einem Video und in einer Bildergale­rie, unter: www.schwaebisc­he.de/ sportvoror­t-tut

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FOTOS: LILIA BEN AMOR Trainer Ingo Ruhnau (rechts) holt seine Kraft über eine Wellenbewe­gung aus dem Becken.
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Chiara Luger ist das einzige Mädchen in der Wing Tsun-Schule.

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