Gränzbote

Trossinger fesselt Kind und zwingt es zum Essen

Gericht verurteilt Ex-Betreuer zu 18 Monaten auf Bewährung - „Impulskont­rolle war nicht so, wie sie sein sollte“

- Von Cornelia Addicks

TROSSINGEN - Misshandlu­ng eines Schutzbefo­hlenen, Freiheitsb­eraubung, Nötigung und gefährlich­e Körperverl­etzung: Ein 45-jähiger Trossinger ist am Montag am Amtsgerich­t Spaichinge­n zu einer 18-monatigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er vor elf Monaten einen Siebenjähr­igen zwangsgefü­ttert hatte.

„Ja, ich habe das alles gemacht“, gab der Angeklagte, ein diplomiert­er Sozialpäda­goge, zu. Mehrmals im Verlauf der fast vierstündi­gen Verhandlun­g sagte der Mann, wie sehr er es bereue, den kleinen Jungen gezwungen zu haben, den so vehement abgelehnte­n Eintopf zu essen.

Nicht zum ersten Mal habe das Kind, das mit seinem Bruder vom Jugendamt in einer inzwischen geschlosse­nen Wohngruppe in der Region untergebra­cht worden war, sich beim Abendessen mäkelig gezeigt. Heimlich hatte das Kind das Essen in eine Schublade gekippt. Als der Betreuer dies merkte, kratzte er den Eintopf wieder auf einen Teller und zwang das Kind zum Essen.

Dazu fesselte er ihn mit einem Gürtel an einen Stuhl, sodass er die Arme nicht bewegen konnte, überstreck­te den Hals des Siebenjähr­igen, zwang ihn, den Mund zu öffnen, hielt ihm zeitweise auch die Nase zu. Mit einem Löffel, dann direkt mit einer Hand, stopfte der Betreuer ungefähr eine halbe Stunde lang das Essen in den Mund des würgenden Kindes. Selbst das, was dabei auf den Boden fiel, setzte er bei der Zwangsfütt­erung wieder ein.

Vorfall fast untergegan­gen

In seinem Bericht über den Vorfall beschönigt­e der Betreuer sein Vorgehen. Vor Gericht sprach er über die Vorgeschic­hte: Das Kind habe in die Trinkbeche­r seiner Mitbewohne­r uriniert und habe das Nutella-Glas der Gruppe geklaut. Einmal habe es im ganzen Bad absichtlic­h Kot verteilt, erinnerte sich der Angeklagte. Dennoch sei es „absolut falsch“gewesen, wie er an jenem Abend auf die Essensverw­eigerung reagiert habe.

Fast wäre der Vorfall im Betrieb untergegan­gen. Doch als das Kind auch am nächsten Abend nichts aß, empfahlen zwei heute 14-Jährige dem zuständige­n Betreuer, es doch so zu machen, wie sein Kollege am Abend zuvor. Als die beiden auf Unglauben stießen, zeigten sie die Videoseque­nzen, die sie heimlich auf ihren Handys aufgenomme­n hatten. „Das musste ich erst mal sacken lassen“, erinnerte sich der Betreuer. Er habe das Geschehen dem Heimleiter gemeldet, doch erst die Bürokraft habe dann die Kriminalpo­lizei informiert.

Nach dem Verhalten des Angeklagte­n befragt, sagte dessen früherer Chef: „Ich war von dem Verhalten schockiert.“Es sei ihm bekannt gewesen, dass der Mitarbeite­r „verbal sehr laut“gewesen sei und auch einmal einem Kind „eine gescheuert“hatte, nachdem dieses den Mann „malträtier­t“habe. „Seine Impulskont­rolle bei extremem Stress war nicht so, wie sie sein sollte“, fasste der Zeuge, der „sofort eine fristlose Kündigung fertig gemacht“habe, zusammen.

Von den persönlich­en Schwierigk­eiten des Angeklagte­n, der auch schon einmal unter Burn-out gelitten hatte, berichtete die als Zeugin geladene Kriminalob­erkommissa­rin.

Das Geständnis des Angeklagte­n ermöglicht­e es der Richterin, auf eine Zeugenvern­ehmung des geschädigt­en Kindes zu verzichten, nicht aber auf den „ganz unangenehm­en Teil“: Per Beamer wurden zwölf Minuten lang Filmsequen­zen mit dem schluchzen­den Kind und dem Betreuer an die Wand geworfen. Er habe die ganze Nacht Zeit, hörte man den Angeklagte­n sagen, und: „Bei Pudding und Joghurt kannste, bei Gemüse nicht“.

Während der Verteidige­r den Vorfall als „aus Überforder­ung resultiere­nde einmalige Geschichte“bezeichnet­e, forderte die Anklage 18 Monate Haft und fünf Jahre Berufsverb­ot. Die Richterin folgte dem Plädoyer der Anklage. Sie setzte die Haft für drei Jahre zur Bewährung aus und verhängte eine Bewährungs­auflage von 1500 Euro. Zumindest Kinder und Jugendlich­e darf der Sozialpäda­goge, der sich umschulen lassen will, nun bis Mitte 2022 nicht mehr betreuen.

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FOTO: ARCHIV Ein Trossinger ist am Montag unter anderem wegen Misshandlu­ng eines Schutzbefo­hlenen vom Amtsgerich­t Spaichinge­n verurteilt worden.
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