Senioren oft falsch behandelt
Studie belegt Fehler in Sachen Reha und Klinikaufenthalt
BERLIN (dpa) - Hunderttausende ältere Patienten werden in Deutschlands Kliniken nach einer neuen Krankenkassen-Studie nicht optimal versorgt. So blieben viele über 70Jährige oft für eine spezielle Krankenhaus-Reha in der Klinik, obwohl sie dort ein höheres Pflegefall-Risiko haben als bei der herkömmlichen Reha, teilte die Barmer unter Berufung auf ihren neuen Krankenhausreport mit. Die Behandlungsdauer richte sich immer öfter nach den Erlösen der Kliniken, nicht nach medizinischen Gesichtspunkten.
„Ältere Patienten brauchen mehr Zeit, die in der durchökonomisierten Krankenhauslandschaft oft fehlt“, sagt die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher. Besser geschulte Ärzte, mehr Pflegekräfte und ein guter Kliniksozialdienst seien gefragt. Betroffene sind Barmer zufolge zudem in größeren Häusern mit mindestens fünf Fachabteilungen besser aufgehoben.
BERLIN - Die Zahl der über 70-jährigen Patienten ist zwischen 2006 und 2015 um 80 Prozent gestiegen. Das haben Wissenschaftler im Auftrag der Barmer Krankenkasse berechnet. Das entspricht ungefähr zwei Millionen Menschen mit mehreren Krankheiten, die im Krankenhaus behandelt wurden. Demografieexperten gehen davon aus, dass bis 2050 die Zahl der Menschen in der Generation 70plus um 46 Prozent wachsen wird – und damit auch die Zahl der älteren Menschen in den Kliniken.
Mehrere Leiden gleichzeitig
Laut aktuellem Krankenhausreport wurden in rund 1000 Kliniken bundesweit Geriatriepatienten behandelt. Für die allermeisten Menschen in Deutschland sind die Einrichtungen in knapp 30 Minuten zu erreichen. Bei dem einen Leiden bleibt es meist nicht. Oft müssen mehrere Krankheiten behandelt werden. Nicht selten droht im Anschluss an die Therapie in der Klinik ein längerer stationärer Aufenthalt oder sogar das Pflegeheim.
Die Studienautoren haben herausgefunden, dass den Patienten im Anschluss an eine Operation häufiger eine spezielle Reha-Behandlung in der Klinik angeboten wird, von den Fachleuten „geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung“– kurz GFKB – genannt. Häufig bleiben die Patienten für diese Behandlung 14 Tage in der Klinik. Die Krankenhäuser können dann die volle Pauschale für diese Reha-Form abrechnen.
Teurer, aber nicht besser
Das Angebot ist deutlich teurer als eine klassische Reha, aber nicht unbedingt besser. Auch das ist ein Ergebnis des Berichts. Ein Beispiel: Nach einem Oberschenkelhalsbruch mit 14 Behandlungstagen kostet die sogenannte GFKB rund 950 Euro mehr als die klassische Reha, die mit durchschnittlich rund 3500 Euro veranschlagt wird. Laut Studie werden die GFKB-Patienten sogar häufiger pflegebedürftig. Nach einem Oberschenkelhalsbruch haben die Experten eine Quote von 47 Prozent errechnet, sonst lag der Wert bei 40 Prozent. Barmer-Chef Christoph Straub hinterfragt den Zuwachs der speziellen Reha-Methoden in den Kliniken. Die Dauer der Behandlung müsse sich stärker am „individuellen Bedarf des Patienten und an medizinischen Kriterien“orientieren, sagt er.
Kliniken hoffen auf Unterstützung
Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKB), Georg Baum, wies die Vorwürfe zurück. Die Krankenhäuser bräuchten die Unterstützung der Krankenkassen und eine entsprechende Finanzierung, um der Versorgung hochbetagter, oft dementer Patienten, künftig noch besser gerecht werden zu können, erklärte Baum.
Ob die Senioren besser versorgt werden können, hängt letztlich vom Einzelfall ab. „Die Altersmedizin wird weiter an Bedeutung gewinnen“, sagt Boris Augurzky. Der Leiter des Kompetenzbereichs „Gesundheit“am RWI–Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen hat die Studie für die Krankenkasse verfasst. Kliniken, Ärzte, Pflegekräfte müssen sich auf die neuen Anforderungen einstellen. Mehr Geld für die Behandlung ist mittelfristig gefragt – auch seitens der Krankenkassen.