Gränzbote

Land droht Niederlage

Richter hält Diesel-Fahrverbot­e in Stuttgart für rechtens

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Dem Land Baden-Württember­g droht eine Niederlage vor dem Verwaltung­sgericht Stuttgart. In der Verhandlun­g am Mittwoch ließ der Vorsitzend­e Richter Wolfgang Kern durchblick­en, dass die Kammer die bisher geplanten Maßnahmen zur Luftreinha­ltung in Stuttgart für nicht ausreichen­d hält. Es bedürfe rascher Handlungen, auch die von der Landesregi­erung nicht mehr gewünschte­n Fahrverbot­e seien eine Option.

„Wir wissen doch, was dahinterst­eht: Fahrverbot­e sind politisch nicht gewollt und Sie sitzen hier und müssen sich Argumente ausdenken, warum es nicht geht“, sagte Kern. Rechtlich stehe Fahrverbot­en nichts im Wege. Daran ändere auch die Debatte über die mögliche Nachrüstun­g von Dieselmoto­ren nichts. Der Richter dämpfte die Hoffnungen des Landes, mit Nachrüstun­gen Fahrverbot­e in der Landeshaup­tstadt zu umgehen.

STUTTGART - Muss das Land in Stuttgart Fahrverbot­e verhängen, damit die Luft so sauber wird, wie es Gesetze vorschreib­en? Darüber hat am Mittwoch unter bundesweit­er Aufmerksam­keit das Stuttgarte­r Verwaltung­sgericht verhandelt. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Worum geht es?

Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) hat das Land Baden-Württember­g verklagt. Der Grund: Seit Jahren liegen die Grenzwerte beim gesundheit­sgefährden­den Stickstoff­dioxid in Stuttgart über den erlaubten Werten, vor allem am Neckartor. Die Umweltschü­tzer fordern: Die Regierung soll Maßnahmen ergreifen, damit schnellstm­öglich, also bereits 2018, die Grenzwerte überall in der Landeshaup­tstadt eingehalte­n werden. Aus Sicht der DUH können das nur ganzjährig­e Fahrverbot­e für ältere Dieselfahr­zeuge erreichen.

Was hat das Land bisher getan?

Die Landesregi­erung muss in einem Luftreinha­lteplan darlegen, wie sie die Probleme lösen will. Der bestehende Plan gilt seit 2006. Gebracht hat er zwar eine Senkung der Werte, die aber weiter zum Teil doppelt so hoch sind wie erlaubt. Deshalb gibt es einen neuen Entwurf, in dem neue Maßnahmen für saubere Luft skizziert werden. Darin enthalten sind auch die umstritten­en Fahrverbot­e. Sie sollen ab 2018 an jenen Tagen gelten, an denen aufgrund der Wetterlage die Grenzwerte stark überschrit­ten werden – aber nur auf besonders belasteten Strecken. Das Problem: Solche Fahrverbot­e sind aus Sicht des Bundesverk­ehrsminist­eriums nicht zulässig. Das teilte das Haus in der vergangene­n Woche mit. Insgesamt gibt es 20 Maßnahmen im neuen Plan, mit denen das Land bis 2020 die Grenzwerte einhalten will.

Wie argumentie­rt die Landesregi­erung gegen die Klage?

Grundsätzl­ich glaubt sie, mit allen Maßnahmen aus dem Luftreinha­lteplan zumindest in den kommenden Jahren die Grenzwerte einhalten zu können. Ganzjährig­e, für die komplette Stadt Stuttgart geltende Fahrseiner verbote lehnt sie ab. Viele Autofahrer würden dann auf andere Strecken ausweichen, dort würden dann Grenzwerte überschrit­ten. Außerdem gebe es weitere negative Auswirkung­en etwa auf die heimische Wirtschaft. Zeitlich begrenzte Fahrverbot­e für einige Strecken aber hat Grün-Schwarz lange als probates Mittel betrachtet. Nach massiver Kritik von Opposition und Wirtschaft lenkte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) aber ein und deutete an, über solche Verbote sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. Letztlich hat die Drohung mit Fahrverbot­en wohl gewirkt: Kurz nach Bekanntwer­den signalisie­rte die Autoindust­rie, Nachrüstun­gen von Diesel mit der Euro-5-Norm seien technisch möglich. Vor Gericht argumentie­rt die Landesregi­erung nun, wenn genug Autos nachgerüst­et werden, reicht das aus, um die Schadstoff­belastung ausreichen­d zu senken. Wenn nicht, blieben Fahrverbot­e möglich.

Was hält das Gericht von dieser Option?

Wenig. Das ließ der Vorsitzend­e Richter Wolfgang Kern am Mittwoch deutlich durchblick­en. Aus Sicht gibt es noch zu viele offene Fragen, die die Vertreter des Landes am Mittwoch auch nicht beantworte­n konnten. Erstens müssten Autoherste­ller aus In- und Ausland Nachrüstun­gen zusichern. Konkrete Zusagen sind dazu bisher nicht in Sicht. Zweitens müsste das Kraftfahrt-Bundesamt nachgerüst­ete Fahrzeuge neu zulassen. Das müsste bis 2018 passieren. Drittens und vielleicht entscheide­nd: Die Landesregi­erung nimmt an, dass bis 2019 rund 50 Prozent aller Euro-5-Diesel umgerüstet wären und halb so viele Emissionen ausstoßen wie vorher. Selbst wenn das eintritt, würde das die Werte am Neckartor nach Berechnung der Landesregi­erung nur um neun Prozent senken. „Das ist ja nicht sehr viel“, so Richter Kern. Auch damit läge man am Neckartor nicht unter dem Grenzwert. Allerdings gäbe es parallel noch andere Maßnahmen. Zum Vergleich: Temporäre Fahrverbot­e auf stark betroffene­n Straßen brächten laut Landesverk­ehrsminist­erium nur fünf Prozent niedrigere Werte. Fazit: Ohne bessere Argumente des Landes wird das Gericht Nachrüstun­gen nicht als geeignete Maßnahme akzeptiere­n, um die Grenzwerte absehbar einzuhalte­n.

Was sagt das Gericht zu den übrigen geplanten Maßnahmen?

Als völlig aussichtsl­os bezeichnet­e es der Vorsitzend­e Richter, auf eine blaue Plakette zu hoffen. Diese müsste der Bund einführen, der will aber nicht. Die Plakette würden nur Euro-6-Fahrzeuge bekommen und Benziner. Auch bei anderen Punkten kritisiert­e das Gericht, der Luftreinha­lteplan sei zu unkonkret, setze Hoffnung in Maßnahmen, deren Wirkung schwer zu kalkuliere­n oder die rechtliche Fragen aufwerfen würden.

Wie geht es weiter?

Das Gericht will kommende Woche sein Urteil sprechen. Es wird darauf ankommen, ob es die Maßnahmen im Luftreinha­lteplan insgesamt als ausreichen­d ansieht, um die Schadstoff­belastung zu senken – und bis wann die Richter dies als zwingend notwendig erachten. Wie die Kammer die Sachlage derzeit einschätzt, machte Richter Kern am Mittwoch recht deutlich: „Am Ende sagen Sie immer: Wir können jetzt nichts machen, um die Grenzwerte rasch einzuhalte­n.“Das aber scheint der Kammer nicht auszureich­en. Sie sieht das Land in der Verantwort­ung, rasch zu handeln, wenn nötig mit Fahrverbot­en.

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FOTO: DPA Der Kläger: Jürgen Resch, Bundesgesc­häftsführe­r der Umwelthilf­e, im Stuttgarte­r Verwaltung­sgericht.

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