Juristischer Streit lähmt NSU-Prozess
Der NSU-Prozess erlebt nach 374 Prozesstagen die nächste Verzögerung
MÜNCHEN (jau) - Juristische Spitzfindigkeiten haben den Beginn des für Mittwoch geplanten Plädoyers der Bundesanwaltschaft im NSUProzess verzögert. Nach einem stundenlangen Streit um einen von der Verteidigung der Angeklagten Beate Zschäpe geforderten Tonbandmitschnitt des Plädoyers beendete der Vorsitzende Richter Manfred Götzl den Verhandlungstag – wie bereits so oft – vorzeitig. Kommenden Dienstag soll der Prozess in München fortgesetzt werden.
MÜNCHEN - Der NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht ist vertagt – wieder einmal. „Fortsetzung Dienstag, 25. Juli“, kündigte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl am Mittwoch kurz angebunden und genervt an. Eigentlich hatte der in schwierigen Prozessen erfahrene Jurist am 374. Verhandlungstag mit den Plädoyers anfangen wollen. Er möchte das Mammutverfahren gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und drei weitere Beschuldigte zum Abschluss bringen. So erklärte Götzl zum Wochenanfang kurzfristig die Beweisaufnahme für beendet.
Aber bereits zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich das jüngste Problem ab: Die Verteidigung beantragte, von den Plädoyers der drei Bundesanwälte Tonaufnahmen machen zu dürfen. Zuvor war bekannt geworden, dass die Anklagevertreter für ihre Abschlusserklärungen rund 22 Stunden ansetzen.
Viel zu viel für die Beschuldigten, um folgen zu können, befand die Verteidigung. Ihre Klienten seien überfordert. Man wolle deshalb den Zugriff auf den Originaltext der üblicherweise nur mündlich vorgetragenen Plädoyers.
Aggressive Verteidigung
Götzl wies am Mittwoch das Ansinnen zurück. Die drei Bundesanwälte sahen unter anderem ihr Persönlichkeitsrecht am eigenen Wort verletzt. Herbert Diemer, Sprecher des Trios, betonte: „So etwas ist auch in der Strafgerichtsordnung nicht vorgesehen.“Er schob nach, die Anklagevertreter seien nicht verpflichtet, ihre Plädoyers so zu halten, dass sie von jedem Beschuldigten verstanden werden könnten. Zum Verdeutschen gebe es ja die Anwälte.
Auf Seite der Verteidigung agierte wiederum Wohllebens Vertretung aggressiv. Die drei Juristen waren bereits in der Vergangenheit oft Hauptakteure, wenn es um Befangenheitsanträge gegen das Gericht ging. Prozessbeobachter schätzen deren Zahl inzwischen auf Dutzende. Aus dem Wohlleben-Team kamen teils weitere absurde Anträge. Anfang des Jahres forderten sie, einen Fachmann für Demografie als Zeugen zu laden. Er sollte belegen, dass den Deutschen angesichts „massenhaften Zuzugs Nichtdeutscher“der „Volkstod“drohe.
Antragsteller war seinerzeit Wohllebens Anwalt Olaf Klemke. Dieser trieb nun am Mittwoch den Streit um die Tonaufnahmen weiter. Er gilt in der rechten Szene als gewiefter Verteidiger. Klemke schlug vor, es kämen auch Alternativen infrage. „Eine Kopie der Manuskripte der Bundesanwaltschaft oder auch Steno-Mitschriften“, schlug Klemke vor. Die restliche Verteidigung schloss sich an. Bundesanwalt Diemer und sein Team hielten dagegen. Nach einer kurzen Beratung der Strafkammer war die Vertagung beschlossen. Womit unklar ist, wann es nun zu den Plädoyers kommt. Ebenso bleibt im Vagen, ob die Beschuldigten mit der Verzögerung etwas gewonnen haben. „Nein“, glaubten die Prozessbeobachter. Sie können sich darauf berufen, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme für die Beschuldigten schwer belastend ist. Die höchsten Strafmaße drohen Zschäpe und Wohlleben, letzterem als mutmaßlichen Waffenbeschaffer. Bei Zschäpe geht es um die Mittäterschaft bei zehn Morden, zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen.
Das Ziel ihrer Verteidigung war, vor Gericht die Schuld ihrer Mandantin zu mindern. Seit dem Auftritt des vom Gericht beauftragten psychiatrischen Gutachters Henning Saß scheint dies illusorisch zu sein. Er hält Zschäpe für so gefährlich, dass nach einem möglichen lebenslänglichen Urteil auch noch die Sicherungsverwahrung angewiesen sein könnte.
Nachdem Zschäpe bereits 2015 ihre drei Pflichtverteidiger ausgebootet hatte, versuchten zwei weitere Anwälte ihrer Wahl, mit psychiatrischen Gegengutachten zu punkten. Demnach leide die NSU-Frau an einer „schweren dependenten Persönlichkeitsstörung“. Es folgte eine Auseinandersetzung um Gutachten und Gutachter.
Sie steigerte sich ins Absurde, als auch noch Wohllebens Anwälte via Psychiater eine Entlastung ihres Mandanten erreichen wollten. Der Vorstoß blieb erfolglos. Zschäpes angebliche Persönlichkeitsstörung verlief im Sande und ist nur noch ein Prozess-Intermezzo – aber eines, das weitere Zeit gekostet hat.