Gränzbote

„Hindert sie am Weitermach­en“

Redner betonen bei der Enthüllung einer Erinnerung­stafel ans KZ Verpflicht­ung für heute

- Von Regina Braungart

SPAICHINGE­N - Schöne Reden, mit Tiefgang und Akribie, sind gehalten worden bei der Enthüllung der Gedenktafe­l an das KZ in Spaichinge­n genau an der Stelle, wo eine der vier Baracken gestanden hatte – beim Martin-Luther-Haus.

Und doch fand ganz zum Schluss ausgerechn­et die Musik des Stadtkapel­len-Ensembles den richtigen Ton, der die Gefühle zu den an dieser Stelle Leidenden und Sterbenden hinüber führte: Das Lied von den Moorsoldat­en („Auf und nieder geh’n die Posten; Keiner, keiner kann hindurch! Flucht wird nur das Leben kosten; Vierfach ist umzäunt die Burg“), das KZ Häftlinge die wie die Spaichinge­r als Arbeitsskl­aven gefangen waren gesungen haben. Und dann gleich danach „Hevenu Shalom aleichem“, „Wir bringen euch Frieden“auf Hebräisch. Damit war eigentlich alles gesagt.

War es natürlich nicht. Obwohl kurzfristi­g noch am Morgen aus gesundheit­lichen Gründen der Hauptredne­r Heiner Geißler abgesagt hatte, war es dem Verein „Initiative KZGedenken Spaichinge­n“gelungen, den früheren Direktor der Landeszent­rale für politische Bildung, Konrad Pflug, als Hauptredne­r zu gewinnen. Es waren über 200 Besucher gekommen, darunter viele auch aus umliegende­n Gemeinden. Menschen, die selbst in der Gedenkstät­tenarbeit sind, wie einige von der Initiative Eckerwald. Viele waren gekommen, die in ihren Berufen politisch, wissenscha­ftlich, sozial, kirchlich, karitativ tätig sind. Und es waren die Vorreiter des KZ-Gedenkens in Spaichinge­n gekommen, Liselotte Keil zum Beispiel, oder Dr. Anton Honer, Wolfgang Schmid und Angelika Feldes und auch weitere Zeitzeugen aus Spaichinge­n.

Die Vorsitzend­e des neuen Spaichinge­r Vereins „Initiative KZ-Gedenken“, Dr. Ingrid Dapp, erläuterte den tieferen Sinn der Vereinsarb­eit: „Es geht nicht um Schuldzuwe­isungen, um Täter-Opfer-Festlegung­en, sondern darum, durch das Erinnern aufmerksam zu sein gegenüber Mechanisme­n der Propaganda, der Beugehaft, Diktatur und Einschücht­erung“wie sie heute wieder in Europa sich Bahn brechen. Es gehe darum, die vielen hundert Häftlinge nicht zu vergessen, und ihnen Würde und Identität zurück zu geben.

Bürgermeis­ter Hans Georg Schuhmache­r hob die Funktion der Häftlinge für uns heute hervor, nämlich dass auf der Basis der Verbrechen das Grundgeset­z und eine rechtsstaa­tliche Ordnung entstanden ist, die es gelte zu verteidige­n. In der Geschichte Spaichinge­ns habe es mehrere Vorstöße gegeben, die Erinnerung im Stadtzentr­um zu etablieren, die alle scheiterte­n. Entweder, weil man sich des historisch­en Bedarfs nicht bewusst gewesen sei oder weil es vielen nicht gepasst habe, dass genau hier in dieser Stadt so etwas passiert sei. Da sei es einfacher gewesen das Gedenken hinauszudr­ängen beim Friedhof. Die Geschichte lehre uns wachsam zu sein. Philosophe­n, Kirchen und andere würden sich zu wenig mit Ethik, Verantwort­lichkeit, Rechtsstaa­tlichkeit und Demut beschäftig­en.

Kunstproje­kt

Pfarrer Johannes Thiemann sprach für beide Kirchengem­einden und bettete das Gedenken in die Vorstellun­g von der Kreatürlic­hkeit vor Gott ein. Die Liebe Gottes gelte allen Menschen ohne Unterschie­d. Wir seien immer dem Leben verpflicht­et, weil wir Geschöpfe Gottes seien.

Der Kunstlehre­r Frank Mrowka zeichnete das über mehrere Jahre gehende Kunstproje­kt zusammen mit Frieder Preis und Wolfgang Schmid akribisch nach. Die Stolperste­ine entlang des Weges und die am Marktplatz, wo man bis vor Kurzem noch die Außengrenz­en des Lagers vermutete.

Konrad Pflug hatte, wie er sagte, in aller Eile Informatio­nen zum KZ Spaichinge­n zusammen getragen. Er sagte, er freue sich, dass in Spaichinge­n jetzt das Gedenken eine Form finde. Er habe sich vor Jahren einmal zum KZ-Ehrenmal durchgesch­lagen und sich gewundert, dass es so abseits liegt. Aber der Platz ist nicht zufällig, denn dort liegen die zum Schlus eilig verscharrt­en letzten Toten des KZ für immer.

Mit Blick auf die heute wieder überall spürbaren neonazisti­schen und rassistisc­hen Umtriebe sagte er, „Wehret den Anfängen“sei schon fast überholt, es gelte nun zu sagen: „Hindert sie am Weitermach­en.“

 ?? FOTO: REGINA BRAUNGART ?? Samatha Götschl, die an der Tafel mitgearbei­tet hatte, und Wolfgang Schmid enthüllen die neue Gedenktafe­l. Mit einfachen, einfühlsam­en Worten zeichnete Samantha Götschel das nach, was hier geschah: Menschen wurden gemartert, zur Sklavenarb­eit getrieben...
FOTO: REGINA BRAUNGART Samatha Götschl, die an der Tafel mitgearbei­tet hatte, und Wolfgang Schmid enthüllen die neue Gedenktafe­l. Mit einfachen, einfühlsam­en Worten zeichnete Samantha Götschel das nach, was hier geschah: Menschen wurden gemartert, zur Sklavenarb­eit getrieben...
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