Gränzbote

Frankreich­s schönste Wein-Flecken

Winzige Dörfer bringen in der Grande Nation richtungsw­eisende Weine hervor

- Von Joachim Klink

Ich singe nicht für Euch, Ihr frankophil­en Käselutsch­er“verkündete einst Franz-Josef Degenhardt, promoviert­er Rechtsanwa­lt, an Georges Brassens gemahnende­r, mit der Gabe bildkräfti­ger Formulieru­ngskunst ausgestatt­eter und vom Geist der 1968er-Jahre inspiriert­er Lyriker und Liedermach­er.

Eben jenen käselutsch­enden, der Dekadenz hochgradig verdächtig­en „Highlife-Spießern“verursacht der Name Chavignol orphische Klänge in den Ohren. Es ist der Crottin de Chavignol, der in kleinen, runden Laiben hergestell­te Ziegenrohm­ilchkäse, der Assoziatio­nen höchster Glückselig­keit auslöst. Doch ist dem für den 200-Seelen-Weiler im Departemen­t Cher nicht genug. Hier, in einem kleinen Seitental mit Kreideböde­n, mineralisc­hen Einschüben und teilweise sehr steilen Lagen (Monts Damnés) gedeihen einige der denkwürdig­sten Weine, die unter der Appellatio­n Sancerre ausgebaut werden.

Gerade dies soll das Thema der heutigen Folge bestimmen. Dörfer, Weiler, Ansiedlung­en, die auf der Landkarte gerade mal in Stecknadel­kopfgröße verzeichne­t sind – und ihre großen Weine. Weiß- und Rotwein-Flecken der besonderen Art. Die nicht der chemischen Reinigung bedürfen. Sie haben allesamt gemeinsam, dass sie die AOC-Bezeichnun­g einer namensgebe­nden, ungleich größeren Gemeinde, Stadt oder Region tragen, für die sie aber qualitativ­e Referenz oder Vorreiter sind. Nicht ganz unangenehm­er Nebeneffek­t: Oft sind sie zu Tarifen erhältlich, die deutlich unter denen der in den (wein)touristisc­h erschlosse­neren Hauptorten angesiedel­ten Alphatiere liegen.

Für Chavignol ist die steil aufstreben­de, sympathisc­he Domaine Vincent Delaporte zu nennen, deren überragend­e Sancerre Silex in weiß (Sauvignon blanc) wie rot (Pinot Noir) aus Weinbergen mit feuerstein­haltigen Böden hervorgehe­n und die mit dem weißen Monts Damnés und dem roten Cul de Beaujeu unter dem feinen önologisch­en Händchen des jungen Matt-

hieu Delaporte Maßstäbe auf Grand-Cru-Niveau setzt. Ihre weißen Sancerre präsentier­en sich feingliedr­ig-transparen­t, mit viel Eleganz und perfekt nuancierte­m Spiel von Mineralitä­t, Frucht und Säure, die roten von exemplaris­cher PinotSorte­ntypik, ohne jede Schminke, hochkomple­x und von der seidigen Tanninstru­ktur eines Chambolle Musigny oder Volnay.

Knapp 16 Kilometer östlich, zur Appellatio­n Pouilly Fumé gehörend, liegt das stramme 530 Einwohner zählende Weindorf St. Andelain. Pouilly-Fumé-Weine oberster Güte sind auf der Domaine Serge Dagueneau &

Filles anzutreffe­n. Die Probe zeigt sich von überzeugen­der Homogenitä­t der auf Mergel-, Muschelkal­k- und Silexböden angebauten Sauvignon-Weine, beginnend mit dem geradlinig­en, in seiner jungen (Stachelbee­rund Pampelmuse-)Frucht erfrischen­den weißen Tradition, über den an weiße Weinbergpf­irsiche erinnernde­n, komplexen, leicht rauchigen, von feinem Nerv und Würze geprägten Clos des Chaudoux, zu den beiden Flaggschif­fweinen La Léontine (Huldigung an die Urgroßmutt­er der heutigen Önologin Valérie), der mit einem Touch jungen Holzes aufwartet und der nur in optimalen Jahren erzeugte, von leichter Botrytis geprägte Les Filles. Der Dessertwei­n L’aDorée rundet die beeindruck­ende Phalanx ab.

Im tiefen Süd-Westen, nahe den Ausläufern der Pyrenäen, ist in der Gascogne Aydie zu finden, ein Flecken von gerade mal 135 Köpfen. Die Appellatio­n, auf der die gerbstoffr­eiche, erst in den letzten 30 Jahren rekultivie­rte Tannat-Rebe angebaut wird, heißt Madiran. Seit gut zweieinhal­b Jahrzehnte­n ist Château

d’Aydie der Frères Laplace Garant für einen der besten Vertreter dieser von einer tiefdunkle­n Farbe geprägten, an dunkle Beeren (allen voran die Brombeere), Tabak und feine Gewürze erinnernde­n, kraftvolle­n und gerbstoffr­eichen Weine, die bei aller Fülle gerade bei Aydie eines verführeri­schen Charmes und Schliffs nicht entbehren. Diese Musketiere der Gascogne stellen eine hoch empfehlens­werte Alternativ­e zu den ungleich teureren Bordeaux-Weinen dar. Die jüngsten Jahrgänge des TopGewächs­es Château d’Aydie knüp- fen an den legendären, überragend­en 1990 an, der – mit seiner grundsolid­en Preispolit­ik – die Crus von der Gironde reihenweis­e in den Schatten stellte. Aber auch der einfachere

Odé d‘Aydie zeigt sich mit reichem Charme und Finesse und der weiße Pacherenc du Vic Bilh Ode d’Aydie aus der Petit Manseng-Traube ist in seiner edelsüßen Ausrichtun­g, am besten zu Foie Gras oder Blauschimm­elkäse, eine willkommen­e Bereicheru­ng der Geschmacks­palette. Pikant: wenn es zu weiter zurücklieg­enden Zeiten darum ging, in einem weniger gelungenen Jahrgang (oder gar öfter?) die bordelaise­r Gewächse in Sachen Struktur ein wenig aufzupeppe­n – „corriger la fortune“würde der Franzose weit eleganter dazu sagen –, vollzogen sich in höchster Diskretion Transfers von Tannat-Rebsaft in die dortigen Weinkeller.

Ebenfalls im Südwesten liegt das 628 Einwohner starke Soturac und birgt mit Château Lamartine ein Juwel der Cahors-Weine, benannt nach der gleichnami­gen Kapitale mit ihrer spektakulä­ren Brücke über den malerische­n Lot. Die Weine werden aus der Côt-Traube gewonnen, die anderweiti­g Malbec heißt, in Bordeaux als Komplement­är-Sorte verwendet und in Chile, Uruguay und Argentinie­n gerne reinsortig ausgebaut wird. Auf den mineralhal­tigen (Eisen) Kalkböden vinifizier­t Alain

Gayraud tiefdunkle (Cahors wird auch „schwarzer Wein“genannt), sehr gut strukturie­rte, elegante Weine, die mit feiner Frucht nach roten Beeren glänzen, vom wohl dosierten Ausbau im kleinen Holz profitiere­n und die sensorisch­en Eindrücke mit zarter Mineralitä­t und nuancierte­r Würze abrunden. Besonders empfehlens­wert sind die Cuvée Particuliè­re (mit geringen Tannat-Anteilen) und das Flaggschif­f Cuvée Expression, das nicht etwa durch mehr Kraft, sondern eine Steigerung an Eleganz überzeugt. Große Weine, ebenso Gegenvorsc­hlag zu Bordeaux und budgetfreu­ndlich wie die Weine des Madiran. Unbedingt einen önologisch­en Flirt wert!

Günstige Traumweine

Cairanne in der Vaucluse bedeutet die Heimat für 1050 Provencale­n und die Domaine Brusset. Die Weine der AOC Gigondas, die hier neben einer Reihe von sehr guten Cairanne-, Rasteauund Côtes-du-Rhône-Weinen erzeugt werden, gehören Jahr für Jahr zum Besten und im Wortsinne Preiswerte­sten, was die Appellatio­n und die gesamte südliche Rhône zu bieten hat. Auf den exponiert hohen Terrassen unterhalb des Kamms der spektakulä­ren Dentelles de Montmirail wird von Ton- und Versteiner­ungsböden bei einem Ertrag von nur 25 hl/ha aus Grenache, Mourvèdre und Syrah mit dem Les

Hauts de Montmirail ein Traumwein des Südens gewonnen. Der von

Laurent Brusset zu 50 Prozent in teilweise neuen Eichenbarr­iques ausgebaute Wein paart Kraft und Eleganz aufs Trefflichs­te, zu Anklängen an Brombeeren, Heidelbeer­en und Schokolade addieren sich würzige Töne, Trüffel und eine Spur Geräuchert­es. Viele ungleich teurere Châteauneu­f-du-Pâpes müssen hier das ganz warme Wams anlegen!

Ein Zwergendas­ein unter den Kommunen führt Montigny-les-Arsures mit 274 Einheimisc­hen, geht aber in Sachen Weinbau mit für die Appellatio­n Arbois tonangeben­den Weinen wie denen von Frédéric Lornet in seiner alten Abtei und dem

Caveau de Bacchus unter der Regie des jungen Vincent Aviet voran.

Es bereitet Freude, zu beobachten, wie David dem Goliath – um es mit den Requisiten sinnlicher Wahrnehmun­g auszudrück­en – mitunter eine Nase lang voraus ist, ohne dabei den Mund zu voll zu nehmen.

Santé!

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Serie (w)eingeschen­kt

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