„Die Regierung handelt verantwortungslos“
Hans-Ulrich Rülke (FDP) wirft Grünen vor, die eigenen Anhänger mit Posten zu versorgen
STUTTGART - Mehr als 2000 neue Stellen will die grün-schwarze Regierungskoalition in den kommenden beiden Jahren schaffen. Der Fraktionsvorsitzende der FDP im Landtag von Baden-Württemberg sieht das mit Sorge, weil der Stellenaufbau den Landeshaushalt über Jahrzehnte belaste und sich die wirtschaftliche Lage irgendwann wieder verschlechtern werde. Denkbar sei eine Wirtschaftskrise, die von der Automobilindustrie ausgeht, sagte Hans-Ulrich Rülke im Gespräch mit Katja Korf und Kara Ballarin.
Herr Rülke, noch acht Wochen bleiben bis zur Bundestagswahl. Beim jüngsten FDP-Landesparteitag war von Aufbruchstimmung nichts zu spüren. Wollen die Liberalen nicht mehr einziehen ins Bundesparlament?
Die Angst vor einer demobilisierten Partei, wie es sie vor der Landtagswahl 2016 gab, sehe ich wirklich nicht. Es gibt eher die Gefahr, dass viele sagen: Das läuft doch ohnehin. Unsere Partei ist mobilisiert, aber vielleicht dachten viele an diesem Samstag kurz vor der Sommerpause, dass sie an einem Info-Stand im Wahlkreis gerade besser aufgehoben gewesen wären.
Was hat die FDP aus der letzten Regierungszeit mit der CDU auf Bundesebene gelernt, als sie als überflüssig wahrgenommen wurde und aus dem Bundestag flog?
Im Falle einer Regierungsbeteiligung werden wir klipp und klar sagen, welche Inhalte umgesetzt werden müssen. Die werden wir in einem möglichen Koalitionsvertrag festschreiben – darunter ein Zuwanderungsgesetz, das Migration nach deutschen Interessen regelt und ordnet, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags noch in derselben Legislaturperiode und die steuerliche Entlastung des Mittelstands durch Abschaffung der kalten Progression. Eine Bürgerversicherung, wie sie die SPD fordert, wird es mit uns nicht geben. Und wir werden uns nicht mehr so an die CDU als einzigen möglichen Koalitionspartner anlehnen – auch wenn wir mit ihr die meisten Überschneidungen haben. Alle demokratischen Parteien müssen koalitionsfähig sein.
Nach der Landtagswahl hatten Sie eine Koalition mit Grünen und SPD aber abgelehnt.
Eine Koalition muss eine faire Kooperation bedeuten, und dieses Vertrauen hatte ich nach der Landtagswahl in Winfried Kretschmann und Nils Schmid nicht. In den SPD-Fraktionschef Andreas Stoch und Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz hätte ich das eher.
Kann die FDP in Zeiten von Terror bei der Forderung maximaler indi- vidueller Freiheit bleiben?
Auf veränderte Sicherheitslagen muss man reagieren, ohne auf sämtliche Freiheitsrechte zu verzichten. In diesem Punkt werden wir etwas von unseren Positionen abrücken. Wie die Grünen lehnen wir massenhafte anlasslose Datenspeicherung und Online-Durchsuchungen ab. Aber die Quellen-Telekommunikationsüberwachung ist nicht generell des Teufels. Auch die DNA-Analyse darf ein Stück weitergehen, etwa was die Haarfarbe angeht. Eine Grenze gibt es allerdings dann, wenn es um schützenswerte individuelle Daten geht – etwa um Erbkrankheiten.
Die grün-schwarze Koalition hat sich auf die Eckpunkte des Doppelhaushalts 2018/2019 geeinigt. Mehr als 2000 neue Stellen sollen in der Landesverwaltung geschaffen werden. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Der erhebliche Schwerpunkt auf Personalaufbau belastet den Landeshaushalt über Jahrzehnte. In wirtschaftlich schlechteren Zeiten haben frühere Landesregierungen stets argumentiert: Wo sollen wir sparen, wenn die Personalkosten so hoch sind? Nun, in guten Zeiten, wird der Personalkörper weiter aufgebläht. Das sehe ich mit Sorge.
Warum?
Die nächste Krise wird irgendwann kommen. Die Entwicklungen in der Automobilindustrie mit der DieselAffäre und den Kartellvorwürfen haben das Potenzial für eine erhebliche Wirtschaftskrise in Baden-Württemberg. Dann wird es wieder heißen, wegen der Personalkosten gebe es keine Möglichkeit zu sparen. Es ist von der Regierung verantwortungslos, dass sie den Schuldenberg von 47 Milliarden Euro jetzt, in wirtschaftlich guten Zeiten mit sprudelnden Steuereinnahmen, nicht abbaut.
Lehnen Sie den insgesamt ab? Stellenzuwachs
Ich spreche nicht von Polizisten, Richtern und Lehrerstellen. Für mich ist es aber ein Treppenwitz, dass die Umweltverwaltung 225 neue Stellen bekommen soll. Dabei geht es darum, Leute aus den grünen Vorfeldorganisationen wie Nabu und BUND zu versorgen. Mir geht es vor allem um die hoch dotierten Stellen in den Ministerien. Das Staatsministerium ist so aufgebläht wie noch nie und soll nun weiter aufgebläht werden. Jeder Grüne, der nicht bei Drei auf den Bäumen ist, wird in einem Ministerium versorgt. Daraus erwächst nicht unbedingt die beste Beratung. Das eklatanteste Beispiel ist das Verkehrsministerium von Winfried Hermann, wo sogar Parkschützer eingestellt wurden. Der langjährige Nabu-Vorsitzende Andre Baumann ist mittlerweile Staatssekretär im Umweltministerium. Den Umweltorganisationen wünsche ich, dass sie schnell neue Ehrenamtliche finden, wenn alle in Ministerien wechseln.
Am Freitag will das Stuttgarter Verwaltungsgericht ein Urteil im Streit um die Feinstaubbelastung in Stuttgart fällen. Glauben Sie, dass das Gericht der Politik noch Zeit gewährt, um die Wirksamkeit von Diesel-Nachrüstungen abzuwarten?
Ich bin davon überzeugt, dass dieses Gericht Fahrverbote verlangt. Die Landesregierung wird sicher in Berufung gehen, um Zeit zu gewinnen. Aber in diesem Prozess wurde mit Verkehrsminister Hermann der Bock zum Gärtner gemacht. Er will ja die Verbote. Das ist so, als würde die deutsche Fleischwirtschaft einen veganen Anwalt engagieren.