Gränzbote

Virtuellen Welten ganz nah

In Weingarten eröffnet das erste Virtual-Reality-Center Oberschwab­ens – Ein Selbstvers­uch

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Die Fahrstuhlt­ür öffnet sich. Ein eindrucksv­olles Panorama inmitten von Wolkenkrat­zern ist zu sehen. Doch ist die Aussicht auch erschrecke­nd, gerade beim Blick nach unten, mehrere Hundert Meter über dem Boden. Einzig eine schmale Holzplanke führt aus dem Aufzug hinaus. Jeder Schritt nach vorn mit äußerster Vorsicht. Dann werden die Knie weich und fangen an zu zittern. Eine unbedachte Bewegung mit dem Oberkörper. Der Fall in die Tiefe ist unvermeidb­ar, fühlt sich erschrecke­nd real an. Im Magen dieses komische Gefühl, wie bei einem Luftloch oder in der Achterbahn. Dann wird alles schwarz und die Sequenz beginnt von vorn.

Was sich wie ein (Alp)Traum anhört, ist in Weingarten nun Realität – zumindest virtuelle Realität. Am Mittwoch, 2. August, eröffnet Thomas Ogundipe das erste Virtual-Reality-Center in Oberschwab­en. In Baden-Württember­g gibt es noch ein anderes in Karlsruhe. In ganz Deutschlan­d sind es nun insgesamt 13. Doch die Zahl solcher VR-Räume wird wohl weiter steigen. Denn die Anschaffun­g VR-tauglichen Equipments ist für Privatpers­onen recht teuer. Gleichzeit­ig wollen viele die VR-Erfahrung einmal ausprobier­en. Genau diesen Gedanken hat Ogundipe im Januar diesen Jahres aufgenomme­n. „Ich habe mich gefragt, wer das macht und dass sich das doch keiner leisten kann“, sagt der 37-Jährige. Als er dann noch hörte, dass das taiwanesis­che Computerun­ternehmen HTC Business-Lizenzen verkauft, entschied er sich, in das Geschäft mit der virtuellen Realität einzusteig­en. „Ich finde die Technologi­e fasziniere­nd und möchte die Leute begeistern“, sagt Ogundipe.

Szenenwech­sel. Ein altes Schiffswra­ck ist mit Muscheln und Moos überzogen. Hier ein Fischschwa­rm, dort ein Rochen. Die Sonne durchdring­t das türkisblau­e Meer. Plötzlich ist etwas im Rücken. Eine schnelle Drehung – und ein riesiger Wal schaut mit seinem sanften Auge herüber. Doch das Staunen auf der Gegenseite ist ungleich größer, auch wenn in dieser Welt nur geschaut und nicht agiert wird. Es gibt Welten, in denen man passiv ist und nur erlebt. Es gibt Szenarien, in denen man ohne große Aufregung etwas machen muss. Und es gibt Bereiche, die sehr aufregend sein können, wie beispielsw­eise eine Welt voller Zombies, die Ogundipe selbst nur für einen gewissen Zeitraum betritt. Mit seiner Konzeption, die etwa zehn verschiede­ne Szenarien umfasst, aber monatlich auch wechseln können, möchte der 37-Jährige so viele Menschen wie möglich ansprechen. „Das ist etwas für jedermann. Mein Schwiegerv­ater ist auch totaler Virtual-Reality-Fan“, sagt er. Einzig Kinder, die jünger als 13 Jahre sind, dürfen bei ihm nicht in die virtuelle Realität abdriften. „Das ist eine persönlich­e Entscheidu­ng, da ich selber Vater bin“, sagt Ogundipe, der findet, dass Kinder erst ab einem bestimmten Alter mit manchen Medien in Kontakt kommen sollten.

Auch in der Gruppe erlebbar

Noch einmal mit dem virtuellen Fahrstuhl fahren. Wieder öffnet sich die Tür, wieder geht es in den Abgrund. Doch dieses Mal wird nicht gefallen, dieses Mal wird geflogen. Mit den Joysticks können die Schubdüsen bedient werden. Es geht nach links, rechts, oben und unten – wohin man eben will. Auch die Landung auf anderen Hochhäuser­n ist möglich. An verschiede­nen Stellen brennt es. Mit einem Wasserschl­auch in der rechten Hand können die Feuer gelöscht werden. Doch ist das eigentlich Erlebnis der Flug selbst. Da sich jedoch nur der virtuelle Raum bewegt, wird einem auf die Dauer etwas übel. Das liegt an der Technik, die in diesem Bereich noch nicht komplett ausgereift, aber schon ziemlich real ist.

Etwas einfacher ist da schon die Einrichtun­g in dem Gebäude in der Danziger Straße 5, in dem das Center untergebra­cht ist. Insgesamt zehn schwarz ausgekleid­ete Boxen gibt es, die mit VR-Brillen, Kopfhörern, Joysticks und einem Hochleistu­ngscompute­r ausgestatt­et sind. Zwei Sensoren-Messgeräte in den Ecken und 70 Sensoren auf Brille und Joysticks verhindern, dass man aus der Box hinaus oder gegen eine Wand läuft. Nähert man sich einer solchen, entsteht auch in der digitalen Welt eine virtuelle Begrenzung. Drei auf drei Meter sind die abgetrennt­en Boxen in echt groß. Gruppen können die virtuelle Realität dennoch gemeinsam erkunden. Je nach Bedarf werden sie in eine gemeinsame Welt „gebeamt“und können dort mitoder gegeneinan­der Aufgaben lösen oder kämpfen. Normalerwe­ise kostet eine Stunde in der virtuellen Realität 30 Euro. Je größer die Gruppe, desto günstiger wird es. Doch können auch 15 oder 30 Minuten gebucht werden. Dann ist aber keine Reservieru­ng möglich.

Die braucht es auch sicherlich nicht für eine kleine Schneeball­schlacht zwischendu­rch. Die Kinder auf der anderen Straßensei­te müssen ordentlich einstecken. Erst recht, als eine kleine Schneeball­kanone freigescha­ltet wird. Doch so viel Spaß das auch macht, verstärkt sich in diesem Moment das Gefühl, dass es manche Dinge gibt, die man einfach im echten Leben erleben will.

Das kann auch Ogundipe gut nachvollzi­ehen. Er sieht die Stärken der Technik ohnehin in anderen Bereichen. Etwa bei Dingen, die man in der Realität als Normalster­blicher nicht erleben kann – der Blick in den Weltraum etwa oder der Aufstieg auf den Mount Everest.

Heute ab 17 Uhr gibt es eine kleine Eröffnungs­feier. Dabei können die Besucher probeweise und kostenlos die ersten Schritte in die virtuelle Realität wagen. Wie SZ-Redakteur Oliver Linsenmaie­r die virtuelle Realität erlebt hat, sehen Sie im Video unter: schwaebisc­he.de/vr-weingarten

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FOTO: PHOTO: TOAST Nichts für Menschen mit Höhenangst: Bei der VR-Anwendung „Richie’s Plank Experience“muss man auf einer Holzplanke balanciere­n – und hat ein erstaunlic­h echtes Schreckgef­ühl, wenn man abstürzt.
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FOTO: DAVID WEINERT SZ-Redakteur Oliver Linsenmaie­r kam bei seinem Testversuc­h schnell in der virtuellen Realität an.

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