Gränzbote

„Die Ängste zu verdrängen, ist sicherlich der falsche Weg“

Der Tuttlinger Psychiater Frieder Böhme über die mögliche Angst vor terroristi­schen Anschlägen

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TUTTLINGEN (cg) - Der Terroransc­hlag von Barcelona am Donnerstag zeigt einmal mehr, dass es im Leben keine absolute Sicherheit gibt. Viele Menschen machen sich Sorgen darüber, Opfer eines solchen Anschlags zu werden. Darüber sprach unser Redakteur Christian Gerards mit dem Tuttlinger Psychiater Frieder Böhme.

Herr Böhme, was lösen solche Nachrichte­n über Terroransc­hläge in europäisch­en Großstädte­n in den Menschen aus?

Solche Anschläge wie jetzt in Barcelona verstärken die tiefgründi­ge Angst vor Bedrohung und Unübersich­tlichkeit. Ein terroristi­sches Ereignis ist anders als etwa eine Naturkatas­trophe, oft ist beim Anschlag die Angst gepaart mit einer aufkommend­en Wut. Das Auto, wie in Barcelona, fährt ja auf dem Teil der Straße, auf der man geht und sich eigentlich sicher fühlt. Das ist etwas völlig anders, als einem Erdbeben ausgesetzt zu sein.

Muss ich mir nun Sorgen vor einer Städtereis­e machen?

Sorgen muss man sich vor jeder Reise machen, denn jede Reise birgt Gefahren, auch für Leib und Leben. Bei der Angst um Leib und Leben gilt es vor allem darum, einen klaren Kopf zu bewahren. Ich zitiere da gerne einen Psalm: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“Die aus der Kindheit hervorgega­ngenen Ängste von einer Bedrohung muss man mit offenen Augen anschauen, das Gehirn benutzen und das Risiko abschätzen. Und man muss die Unterstütz­ung von anderen - Freunden, Polizei, Einheimisc­hen, staatliche­n Organisati­onen - suchen.

Kann eine solche Furcht auch zu einer Psychose werden?

Alle Menschen, die in schwere Ängste geraten, können eine Psychose bekommen. Wenn unüberscha­ubare Gefühle und Ängste besonders stark sind, dann kann das die Existenz beeinfluss­en. Wenn der Mensch dazu durch seine Anlage oder sein Leben labilisier­t ist, dann kann es durchaus zu psychotisc­hen Zuständen kommen. Wichtig ist es, sich gemeinsam darüber klar zu werden, die Risiken richtig abzuwägen. Die Risiken des Lebens sind den Menschen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer mehr abgenommen worden. Bei einer terroristi­schen Gefahr ist das nur begrenzt möglich. Dem ist man hilflos ausgeliefe­rt, und die gängigen Mechanisme­n zur Bewältigun­g der Angst greifen nicht mehr.

Was raten Sie den Menschen, die nun mit einem unguten Gefühl auf Reisen gehen?

Sie sollten sich mit anderen verständig­en und offen darüber reden. Die Ängste zu verdrängen, ist sicherlich der falsche Weg. Übertragen auf den Straßenver­kehr bringen wir unseren Kindern ja auch bei, auf den Verkehr zu achten, und es geht meistens gut. Die Angst ist ein tiefsitzen­des Grundgefüh­l des Menschen, die man in Furcht umbauen und dann realistisc­h, logisch, emotional und konstrukti­v angehen muss, um die richtige Balance zu finden.

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FOTO: DH Frieder Böhme

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