Das Ärzteblatt spielt gleich zweimal Schicksal
Die Geschichte der Ärztefamilie Ruffing/Helios in Spaichingen – Teil 2
SPAICHINGEN - Mit dem Tod der fast 100-jährigen Hiltrud Helios geb. Ruffing am 10. April dieses Jahres endet die Geschichte einer Familie, die vor allem durch den Stadtarzt Dr. Hans Ruffing prägend für Spaichingen gewesen ist. Im ersten Teil unseres zweiteiligen Berichts haben wir die Geschichte der älteren Tochter, Waltraut Sterkel geb. Ruffing, beschrieben. Sie ist seit vielen Jahren in Guatemala heimisch geworden.
In diesem Teil zeichnen wir das Leben ihrer Schwester Hiltrud aus Erinnerungen ihres Sohnes Arne Helios nach, der ebenfalls Arzt ist und in Erlangen lebt.
Die Geschichte von Hiltrud Helios geb. Ruffing ist vor allem auch die Geschichte ihres Mannes, Richard (1912 bis 1994). Der war ein Pionier der homöopathischen Medizin in der Region. Die Spaichinger nannten ihn respektvoll-ironisch „den Kügelesdoktor“.
Hiltrud Ruffing war immer auch an Spaichingen gebunden. Sie wurde ausgebildet, ihre Rolle als „Frau an seiner Seite“mit Gastgeberfähigkeiten, Bildung und Umgangsformen zu übernehmen. Zu jener Zeit gehörten Ruffings zu den „oberen Hundert“der Spaichinger Gesellschaft und waren in diesen Kreisen gut vernetzt. Man hatte Gärtner und Hausmädchen. Aber die Kinder machten keine Unterschiede.
Hiltrud, geboren 1917, war verlobt mit einem Sohn der Klavierdynastie Sauter, der aber im Krieg fiel. 1934 war die Familie bereits von der Bahnhofstraße in die Charlottenstraße umgezogen. Das Haus sei der Familie von der Kreissparkasse angeboten worden, es hatte einst dem Fabrikaner ten gehört, der in dem heute als Seidenspinnerei bekannten, gegenüberliegenden Backsteinhaus Zigarren hergestellt hat, so erinnert sich Arne Helios. Die Fabrik sei insolvent gewesen und so stand die Jugendstilvilla zum Verkauf.
So wie heute wieder samt dem großen Gartengelände. Wahrscheinlich werde das Grundstück aufgeteilt. Viele Spaichinger – und auch Arne Helios – hoffen, dass der Käufer der Villa das Haus saniert und erhält.
Nach dem Krieg starb relativ schnell Dr. Hans Ruffing im Jahr 1956. Er hatte Magenkrebs. Im Krankenhaus Schwenningen habe er gesagt, komme nicht mehr heim, was seine Tochter als Bitte ausgelegt hatte, am zweiten Wohnsitz der Familie in Langenargen beerdigt werden zu wollen. Ein Missverständnis, meinte Waltraut Sterkel geb Ruffing (1916 bis 1957) in ihren Lebenserinnerungen. Und so liegen seine Frau Maria, und seine Tochter und sein Schwiegersohn in Spaichingen, er wurde in Langenargen beerdigt.
Durch das Ärzteblatt kam einst Hans Ruffing nach Spaichingen, durch das Ärzteblatt auch sein Schwiegersohn. Denn Hiltrud wollte nach dem Tod des Vaters so schnell wie möglich heiraten, und zwar einen Arzt, der die Praxis übernehmen kann. Daher gab sie eine Annonce auf, die Richard Helios las. Der fünf Jahre ältere Arzt hatte in Leipzig und Breslau Medizin studiert, war aus der DDR in den Westen geflohen und hatte sich durch Aushilfen durchgekämpft. Er schaute sich die junge Frau und die Praxis an, sie gefielen einander und heirateten 1957. 1958 kam Arne auf die Welt.
In Leipzig gab es schon einen Lehrstuhl für Homöopathie und bei der Wehrmacht, wo Arne Helios als Arzt arbeitete, gab es einen Kollegen, der homöopathisch behandelte. In Spaichingen wollte Helios so weiter machen, doch bekam er zunächst keine Kassenzulassung mit der Begründung, die Schwaben würden sich auf eine solche Heilmethode sicher nicht einlassen. Ein Irrtum.
Ein halbes Jahr lang war die Praxis tatsächlich leer, doch dann gab es einen Notfall in der Nachbarschaft, und weil kein anderer Arzt greifbar war, holte man den Kügelesdoktor. Er hat geholfen „und das hat sich schnell herumgesprochen“, so Helios.
„Er hat rein homöopatisch gearbeitet, höchstens wenn es sein musste ein Antibiotikum verordnet. Ich selbst habe nie etwas Schulmedizinisches genommen.“Richard Helios muss eine außerordenliche Begabung gehabt haben. In der Homöopathie komme es darauf an, dass man unter hunderten Mitteln die genau auf den jeweiligen Menschen passenden findet und dazu gehöre mehr als nur eine Diagnose, man müsse den ganzen Menschen beobachten.
Gefragter Homöopath
Auch habe sich der Vater immer mindestens eine halbe Stunde Zeit pro Patient genommen und daher von morgens sechs, sieben bis abends elf Uhr gearbeitet. Er habe ihn eigentlich nie anderes als arbeitend in Erinnerung. Der Patientenstamm erstreckte sich über mehrere hundert Kilometer, sogar aus Mallorca und Hamburg seien Patienten angereist. Teils schwere Krebserkrankungen habe der Vater heilen können, Patienten hätten voller Erstaunen nach Klinikbesuchen berichtet, dass nirgendwo Wucherungen mehr zu entdecken gewesen seien.