Gränzbote

Erdogan treibt Eiszeit voran

Türkischer Präsident greift Außenminis­ter Gabriel persönlich an – Autor Akhanli wieder frei

- Von Rasmus Buchsteine­r

BERLIN - Plötzlich macht sich Erleichter­ung breit: Am Sonntagmit­tag entscheide­t ein Gericht in Madrid, dass der in Spanien festgenomm­ene deutsche Schriftste­ller Dogan Akhanli wieder freigelass­en wird – wenn auch unter der Auflage, das Land vorerst nicht verlassen zu dürfen. „Er ist erschöpft“, berichtet sein Anwalt Ilias Uyar. Das Auslieferu­ngsverfahr­en läuft erst einmal weiter. Der Fall des 1957 in der Türkei geborenen Autors, der die deutsche Staatsbürg­erschaft hat und bislang in Köln lebte, markiert eine neue Stufe der Eskalation im deutsch-türkischen Verhältnis.

Die Türkei hatte bei Interpol eine sogenannte Red Notice erwirkt, auf deren Grundlage Akhanli von der spanischen Polizei an dessen Urlaubsort Granada festgenomm­en worden war. „Eine gute Nachricht“, schrieb SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz via Kurznachri­chtendiens­t Twitter zur Freilassun­g. „Erdogans Arm darf nicht bis in die EU reichen.“

Diplomatis­che Bemühungen

Vorausgega­ngen waren von deutscher Seite intensive diplomatis­che Bemühungen. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD), der am Samstag in Barcelona der Opfer der jüngsten Terroransc­hläge gedachte, telefonier­te mit seinem spanischen Amtskolleg­en Alfonso Dastis, um eine rasche Auslieferu­ng in die Türkei zu verhindern. „Es wäre schlimm, wenn die Türkei auch am anderen Ende Europas erreichen könnte, dass Menschen, die ihre Stimme gegen Präsident Erdogan erheben, in Haft geraten würden“, reagierte Gabriel auf die Freilassun­g Akhanlis. „Ich habe vollstes Vertrauen in die spanische Justiz und weiß, dass unsere Freunde und Partner in der spanischen Regierung wissen, um was es geht.“

Akhanli beschäftig­t sich in seinen Werken unter anderem mit der Verfolgung der Armenier – ein Thema, bei dem sich Ankara jegliche Kritik von außen verbittet. Eine Resolution des Bundestage­s, in der von einem „Völkermord“die Rede war, hatte im vergangene­n Jahr zu einer dramatisch­en Verschlech­terung im Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschlan­d geführt.

Gabriel geduzt

Nachdem Präsident Recep Tayyip Erdogan am Freitag türkischst­ämmigen Wählern empfohlen hatte, bei der Bundestags­wahl auf keinen Fall CDU/CSU, SPD und Grüne zu wählen, legte er am Wochenende noch einmal nach und griff Außenminis­ter Gabriel scharf an. „Wer bist du denn, dass du mit dem türkischen Präsidente­n redest?“fragte Erdogan den deutschen Minister bei einer Rede am Wochenende. „Spiel dich nicht auf. Wie alt bist du denn?“Gabriel sei „eine Katastroph­e“und versuche, „uns eine Lektion zu erteilen“. Mit seinen Attacken machte Erdogan auch vor Bundeskanz­lerin Angela Merkel nicht halt. Er habe „der Dame an der Spitze Deutschlan­ds“eine Liste mit 4500 von der Türkei gesuchten Terroriste­n übergeben, doch diese sei nicht angenommen worden. Die Äußerungen sind als klare Absage an Zugeständn­isse zu verstehen, wenn es um die in der Türkei inhaftiert­en Deutschen geht, darunter „Welt“Korrespond­ent Deniz Yücel.

In den deutsch-türkischen Beziehunge­n herrscht damit unveränder­t Eiszeit. Über die Zollunion könne er sich keine weiteren Verhandlun­gen vorstellen, „wenn die Türkei deutsche Häftlinge so behandelt“, sagte Außenminis­ter Gabriel. Der badenwürtt­embergisch­e Innenminis­ter und CDU-Bundesvize Thomas Strobl verurteilt­e Erdogans Einmischun­g in den deutschen Wahlkampf scharf. „Ein autokratis­cher MachtFanta­st, der Wahlempfeh­lungen gibt – das ist irre. Ich wundere mich nicht, dass er Angst hat vor demokratis­chen Parteien und mit allen möglichen Mitteln versucht, Unfrieden in unser Land zu tragen. Wir akzeptiere­n nicht, wenn innertürki­sche Konflikte auf unseren Straßen ausgetrage­n werden, und wir akzeptiere­n eine solche Einmischun­g in unsere demokratis­chen Wahlen nicht.“

Die Grünen forderten Konsequenz­en aus dem Fall Akhanli. „Dass Akhanli freigelass­en wurde, ist eine gute Nachricht. Dennoch markiert der Fall einen weiteren Tiefpunkt in den deutsch-türkischen Beziehunge­n“, sagte Grünen-Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckhardt am Sonntag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die polizeilic­he Zusammenar­beit mit der Türkei gehört auf den Prüfstand. Es kann nicht sein, dass Gegner des türkischen Regimes in Europa ungeprüft als Kriminelle verhaftet werden.“Es gelte nun zu prüfen, welche Vorkehrung­en getroffen werden müssten, damit sich solch ein Fall nicht wiederhole. „Eine gemeinsame europäisch­e Türkei-Politik ist unabdingba­r“, so die GrünenPoli­tikerin weiter. „Die europäisch­en Staaten müssen an einem Strang ziehen und dürfen sich nicht von Herrn Erdogan gegeneinan­der ausspielen lassen.“

 ?? FOTO: AFP PHOTO/TURKISH PRESIDENTI­AL PRESS ?? „Wer bist du denn, dass du mit dem türkischen Präsidente­n redest? Spiel dich nicht auf. Wie alt bist du denn?“: Diese Worte richtete Recep Tayyip Erdogan an Außenminis­ter Sigmar Gabriel.
FOTO: AFP PHOTO/TURKISH PRESIDENTI­AL PRESS „Wer bist du denn, dass du mit dem türkischen Präsidente­n redest? Spiel dich nicht auf. Wie alt bist du denn?“: Diese Worte richtete Recep Tayyip Erdogan an Außenminis­ter Sigmar Gabriel.

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