Gränzbote

Ein Ort als Symbol für Fremdenhas­s

25 Jahre nach den Anschlägen von Rostock steigt die Zahl rechtsextr­emer Gewalt

- Von Michael Althaus

ROSTOCK (KNA) - Viele haben die Bilder noch vor Augen: An einem Samstagabe­nd vor 25 Jahren versammeln sich rund 2000 Menschen vor der Zentralen Aufnahmest­elle für Asylbewerb­er in Rostock-Lichtenhag­en. Molotowcoc­ktails fliegen auf den Plattenbau mit dem markanten Sonnenblum­en-Mosaik auf der Fassade. „Deutschlan­d den Deutschen, Ausländer raus!“skandieren die Täter, während zahlreiche andere tatenlos zusehen oder sogar applaudier­en.

Im Laufe des Wochenende­s wächst die Menge weiter an. Rechtsextr­eme aus ganz Deutschlan­d kommen hinzu, während die wenigen Polizisten vor Ort machtlos sind. Der Teil des Sonnenblum­enhauses, in dem 150 vietnamesi­sche Arbeiter untergebra­cht sind, wird von den Tätern in Brand gesteckt. Während die eingeschlo­ssenen Bewohner in Todesangst ausharren, behindern viele Schaulusti­ge die Einsatzkrä­fte. Erst am Mittwoch beruhigt sich die Lage, es ist der 26. August.

Mehr rechtsextr­eme Gewalt

Etwa 200 Polizisten sind am Ende verletzt. Es gleicht einem Wunder, dass niemand ums Leben gekommen ist. Die Fernsehbil­der erschütter­n schon damals die Republik, Lichtenhag­en wird zum Symbol für Fremdenhas­s in Ostdeutsch­land. Rund 40 Angreifer wurden 1992 und 1993 zu Haftstrafe­n von bis zu dreieinhal­b Jahren verurteilt. Zehn Jahre nach den Ausschreit­ungen erhielten drei ehemalige Skinheads Bewährungs­strafen – erstmals wegen versuchten Mordes. Damit war zumindest juristisch ein Schlussstr­ich gezogen.

Auch 25 Jahre nach den Anschlägen gehören Hetze gegen Ausländer und brennende Flüchtling­sheime in Deutschlan­d nicht der Vergangenh­eit an: Als 2015 so viele Asylbewerb­er wie lange nicht mehr in die Republik strömten, kam es zu zahlreiche­n Ausschreit­ungen, etwa in den ostdeutsch­en Städten Heidenau oder Freital. Der jüngste Bericht des Verfassung­sschutzes registrier­t eine steigende Zahl rechtsextr­emer Gewalt.

Rassismus-Forscherin Beate Küpper von der Hochschule Niederrhei­n sagt, Argumentat­ionen der neuen Rechten sickerten zunehmend in die gesellscha­ftliche Debatte. Küpper warnt vor einem Gewöhnungs­effekt mit Blick auf bestimmte Begriffe und rechte Gewalt.

Spiritaner­pater Franz Moldan kann sich 25 Jahre später noch gut an die Ereignisse vom Sommer 1992 erinnern. Der 65-Jährige ist Flüchtling­sbeauftrag­ter der katholisch­en Pfarrei in Rostock. „Dummheit“und „mangelnde Zivilcoura­ge“erkennt er bei der Bevölkerun­g und den Behörden von damals. Neben den Tätern und der umstehende­n Menge kritisiert er auch die Polizei, die sich in seinen Augen viel zu passiv verhalten habe. Aber: „Was im Fernsehen nicht gezeigt wurde, ist, dass sich Nachbarn für die Flüchtling­e eingesetzt haben“, sagt Moldan. Anwohner hätten den Opfern geholfen, aus dem brennenden Haus zu entkommen.

Angst, dass sich die Ereignisse von 1992 wiederhole­n könnten, hat Moldan dennoch nicht: „Ein Großteil der Rostocker ist nicht gegen Flüchtling­e eingestell­t – bis auf wenige Ausnahmen, die es überall gibt.“

Knapp 3000 Flüchtling­e leben heute in der gut 200 000-EinwohnerS­tadt, das sind 1,5 Prozent. Einige wohnen laut Moldan in unmittelba­rer Nähe des Sonnenblum­enhauses. Gerade dort erlebe Moldan heute große Offenheit: „Die Leute wollen zeigen: Wir sind nicht mehr so wie damals.“Zudem gibt es Hilfsproje­kte für Flüchtling­e. Moldan selbst repariert mit Schülern alte Fahrräder und gibt sie an Migranten weiter. Und vielen Zuwanderer­n hat er bereits einen Ausbildung­splatz vermittelt.

Die Wahrnehmun­g, dass die Fremdenfei­ndlichkeit in Ostdeutsch­land größer als im Westen sei, teilt Moldan nicht. „In meiner Heimat, im Rheinland, treffe ich viel häufiger auf fremdenfei­ndliche Gesinnunge­n als hier in Rostock.“Er wolle aber nichts schönreden: „Natürlich gibt es Rechtsextr­emismus, aber die Anhänger treten nicht mehr so groß in der Öffentlich­keit auf.“Selbst die Pegida-Demonstrat­ionen fänden in Rostock seit einiger Zeit nicht mehr statt.

Auf große Öffentlich­keit hofft die Stadt stattdesse­n bei ihrer Gedenkwoch­e, mit der sie von heute an bis zum 26. August an die Ereignisse vom August 1992 erinnert. Zahlreiche Kunstaktio­nen und Diskussion­en sind geplant.

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FOTO: DPA Vor einem brennenden Pkw auf einer Straße am zentralen Asylbewerb­erheim in Rostock-Lichtenhag­en: Die Bilder im Sommer 1992 erschütter­ten die Republik.

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