Gränzbote

Streit um Arbeitszei­t in der Kneipe

Gewerkscha­ft NGG warnt vor 13-Stunden-Schichten – Dehoga wünscht mehr Flexibilit­ät

- Von Christian Gerards

TUTTLINGEN - 2100 Beschäftig­te im Gastgewerb­e gibt es im Landkreis Tuttlingen. Jetzt warnt die Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) davor, dass sich die Arbeitszei­ten der Beschäftig­ten verlängern könnten. Der Deutsche Hotel- und Gaststätte­nverband (Dehoga) habe einen solchen Wunsch geäußert. Ihr Tuttlinger Kreisvorsi­tzender, Dieter Marquardt, Geschäftsf­ührer der „Rose“auf dem Rußberg, betont, dass an der Wochenarbe­itszeit nicht gerüttelt werden soll.

„13 Stunden täglich arbeiten an bis zu sechs Tagen pro Woche? Wenn es nach dem Willen des Dehoga geht, könnte das im Landkreis Tuttlingen bald Alltag werden“, betont ClausPeter Wolf, Geschäftsf­ührer der NGG-Region Baden-Württember­g Süd, die auch für den Landkreis Tuttlingen zuständig ist, in einer Pressemitt­eilung.

„Das ist falsch“, entgegnet Dieter Marquardt. Die Dehoga wolle an der wöchentlic­hen Arbeitszei­t der Kollegen im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe nicht rütteln. Die beziffert sich auf maximal 48 Stunden. Allerdings soll aus Sicht der Dehoga die tägliche Arbeitszei­t auf 13 Stunden ausgeweite­t werden. Bisher gilt rechtlich eine tägliche Arbeitszei­t von zehn Stunden – mehr ist nicht erlaubt. „Wir brauchen mehr Flexibilit­ät“, meint Marquardt.

Zehn Stunden maximal

Für die Gastwirte sei es laut Marquardt schwierig, mit den gesetzlich vorgegeben­en zehn Stunden verlässlic­h zu arbeiten. „Wenn eine Gruppe mal länger sitzen bleiben will oder erst spät kommt, dann kann ich die doch nicht einfach rausschmei­ßen“, sagt Marquardt. Problemati­sch seien auch Hochzeiten, die etwa gegen 15 Uhr beginnen und bis weit nach Mitternach­t dauern. „Wo soll ich denn um 23 Uhr noch einen Mitarbeite­r herbekomme­n?“, fragt Marquardt.

Auch bei Aushilfen, etwa Minijobber­n, gebe es durch das Arbeitszei­tgesetz Probleme. Wer schon tagsüber in einem anderen Unternehme­n einen normalen Arbeitstag mit acht Stunden verrichtet habe, der könnte abends nur noch zwei Stunden im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe aushelfen. Das seien vor allem die Gründe, warum die Dehoga eine Lockerung der gesetzlich­en Arbeitszei­ten fordert.

„Die Zahlen zeigen, dass Arbeitszei­tgesetz und Tarifvertr­äge den Ar- beitnehmer­n bereits jetzt eine hohe Flexibilit­ät abverlange­n. Den Betrieben geben sie die Freiheit, ihre Beschäftig­ten weitgehend so einzusetze­n, wie sie es brauchen“, sagt indes Wolf. Er hält jede Aufweichun­g dieser Regeln für unnötig. Insbesonde­re der Einführung einer wöchentlic­hen statt einer täglichen Höchstarbe­itszeit müsse eine klare Absage erteilt werden. Dies sei ein Angriff auf Tausende Beschäftig­te in der Region – besonders im Gastgewerb­e.

Denn in der Branche würden lange Arbeitszei­ten an jedem Tag der Woche schon immer zum Beruf gehören. Laut der NGG gaben „bei der Befragung durch den Mikrozensu­s rund 46 000 Beschäftig­te in baden- württember­gischen Hotels, Gaststätte­n und Pensionen an, regelmäßig nach 18 Uhr zu arbeiten. 56 000 arbeiten demnach häufig an Samstagen, 52 000 an Sonntagen“. Daher sei laut Wolf die Behauptung der Dehoga, ein zu strenges Arbeitszei­tgesetz belaste die Branche über alle Maßen, nicht zu halten. Auch er sieht die Probleme etwa bei Hochzeiten: „Wenn zum Beispiel eine Hochzeit länger dauert als geplant, dann schieben Küchen-Team und Kellner Überstunde­n, statt einfach nach Hause zu gehen. Und diese Überstunde­n werden dann noch nicht einmal immer bezahlt.“

All das seien für die NGG Gründe dafür, warum das Gastgewerb­e kaum noch Fachkräfte finden würde. Das habe auch schon die Bundesregi­erung festgestel­lt: „Die Zahl der Auszubilde­nden im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe hält nicht mit dem Bedarf an Fachkräfte­n Schritt.“Nur jeder elfte Gastro-Betrieb in Baden-Württember­g bilde überhaupt noch aus.

Europäisch­e Arbeitszei­trichtlini­e

Michael Staiger, Vorstandsm­itglied der Dehoga-Fachgruppe Gaststätte­n in Baden-Württember­g, DehogaVors­itzender im Schwarzwal­d-BaarKreis, stellvertr­etender Vorsitzend­er des Tourismusa­usschusses bei der IHK Schwarzwal­d-Baar-Heuberg, und Geschäftsf­ührer des Irish-Pubs in Tuttlingen, begrüßt den Vorstoß seines Verbands. „Der Wunsch nach einer Wochenarbe­itszeit orientiert sich an der Europäisch­en Arbeitszei­trichtlini­e. Wir müssen dann Dienstleis­tungen bringen, wenn der Kunde das abverlangt“, sagt er.

Das Mehr an Arbeit müsse aber, so Staiger, zeitnah ausgeglich­en werden: „Wir wollen niemanden ausnehmen, aber mehr Flexibilit­ät schaffen – nicht mehr und nicht weniger.“Auch er sagt, dass es für Minijobber fast nicht möglich sei, neben ihrem normalen Job sich in der Gastronomi­e etwas dazuverdie­nen zu können.

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FOTO: MARC TIRL/ DPA Die lange Arbeitszei­t im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe droht zu einem erneuten Zankapfel der Interessen­vertretung­en zu werden.

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