Rot-weiß macht am Ende doch glücklich
Die Arbeit der beiden Stadtkünstler ist mit dem Gießen der Plastik vorerst beendet
SPAICHINGEN - Irgendwie zu sehr rot-weiß-aggressiv und damit zu viele Assoziationen mit beliebter NaziFarbgebung ist sein als Stadtkunstwerk auf dem Marktplatz entstehendes Werk für ihn gewesen, erzählt Urban Hüter beim Künstlergespräch am Mittwochabend. Deshalb sind jetzt fröhliche, kräftige gelbe, pinkfarbene und andere Elemente dazu gekommen.
Doch während der Gespräche mit Passanten und Besuchern, habe er schnell gemerkt, dass Rotweiß in Spaichingen ganz andere Assoziationen weckt: zuallererst die des Spaichinger Stadtwappens. Und so mache die Farbkombination die Spaichinger, die Schweizer, türkischstämmige Leute, Fans von Eintracht Frankfurt (man ist versucht „und des VfB“anzufügen) glücklich und weil sein Kunstwerk an einer Straßenkreuzung (Ecke Sallancher/Schuraer Straße) stehen wird, sei die Farbkombination auch die Fortführung einer beliebten Farbgebung für Straßenschilder.
„Heute war ein Tag des Handwerks und der Kunst“, führte KarlLudwig Oehrle, der Vorsitzende des Stadtkünstlervereins, in den Abend ein. Denn an jenem Mittwoch goss Emilia Neumann an Ort und Stelle gegenüber der Schlüsselwiese ihre große Skulptur. So wie der Arbeitsprozess, so auch die Wirkung der Plastik, wenn sie fertig ist: ein glatt und geschmeidig polierter Betonstein, eingefärbt mit Pastelltönen, die haarscharf an der Grenze zum Niedlich-Kitsch sind. Dabei sei das Material Beton doch eigentlich brachial und schwer, so Emilia Neumann. Was da von Mittwochmorgen bis Spätnachmittag bei der Schlüsselwiese zu sehen war, war denn auch schweißtreibende Arbeit. Emilia Neumann hatte sich entschlossen, die zuvor mit Plastikschalung und tausenden Schrauben zusammengefügte Form an Ort und Stelle einzubetten und das Kunstwerk dann dort auch zu gießen.
Zuerst musste die Form in feines Kies gebettet werden, damit es nicht auseinander gedrückt wird. Dann musste Stahl so eingebracht werden, dass die Form von innen hielt. Schließlich mischte Neumann verschiedene Farben in weißen Beton und brachte ihn – ebenfalls kopfüber – als äußerste Schicht an die Wände auf. Stück für Stück, immer wieder in der Mitte normalen Beton nachgie- ßend. Ihr Partner Urban Hüter verließ an diesem Tag seine Skulptur im „Freiluftatelier“auf dem Marktplatz und half den ganzen Tag mit. „Alles hat gehalten“, freut sich Neumann, „obwohl alle Angst hatten, es könnte irgendwo brechen. Mit Anteil hatten Armin Schumacher, Armin Maier, Herbert Schnee und „der Mann vom Betonwerk“, der sich darauf einließ, sogar den Beton in der großen Trommel einfärben zu lassen. „Toll, dass er das mitgemacht hat“, freut sich Neumann. „Es ist einfach was Tolles, wenn man mit solchen Profis zusammen arbeiten kann.“
Weiter geht’s am 9. September
Ausgepackt wird die sieben Tonnen schwere Skulptur nach dem 9. September. Denn ab dann machen die beiden Künstler ihre Werke fertig, sodass sie am 15. September der Stadt übergeben werden können. Bis dahin ist die Arbeit auf dem Marktplatz nach drei Wochen öffentlichem Arbeiten zu Ende.
Urban Hüter hat seine sieben Me- ter hohe Plastik mit Alublechen verkleidet – jedes einzelne von Hand coloriert und mit unzähligen Nieten verbunden. Während der Arbeiten habe es viele Begegnungen mit Passanten gegeben und auch jene, die gar nichts mit moderner Kunst anfangen konnten, kamen und diskutierten. „Ich wusste gar nicht, dass der Stuhl so ein Hasspunkt ist“, schmunzelt Hüter. Gerade auch die Diskussionen – unter anderem mit türkischen Spaichingern – seien interessant gewesen. Denn beide Künstler wollen keine Interpretation vorgeben. Es sei viel spannender, und damit ein Zeichen von Offenheit, wenn jeder selbst das darin sieht, was er assoziiert. Ob es eine Giraffe sei, fragte einer. Hüter: “Ja, auch.“Einen Titel hat das Werk noch nicht. Wie wär’s mit „Im Auge des Betrachters“?