Gränzbote

So viele freie Lehrstelle­n wie noch nie

Spätentsch­lossene haben gute Chancen, in das kommende Ausbildung­sjahr einzusteig­en

- Von Anja Schuster

TUTTLINGEN - Das neue Ausbildung­sjahr beginnt in wenigen Tagen. Und es gibt so viele freie Lehrstelle­n wie noch nie, sagt Klaus Helm, Sprecher der Bundesagen­tur für Arbeit Rottweil-Villingen-Schwenning­en. Daher haben auch diejenigen, die derzeit noch ohne Vertrag dastehen, gute Chancen, eine Stelle für das kommende Ausbildung­sjahr zu bekommen.

„So gut wie wahrschein­lich noch nie“, so bezeichnet Helm den Ausbildung­smarkt in diesem Jahr im Landkreis Tuttlingen. 1,5 offene Lehrstelle­n kämen derzeit auf jeden nicht versorgten Interessen­ten. „Das ist ein Hammer.“Der Grund für das Überangebo­t an Lehrstelle­n: Die Betriebe meldeten deutlich mehr freie Stellen, zum einen, weil es ihnen gut gehe, zum anderen, weil die starken Jahrgänge „alle in Rente gehen“. Dazu komme, so Helm weiter, dass deutlich weniger Schüler ihren Abschluss machten, als noch vor ein paar Jahren.

Das bedeutet auch, dass es für alle diejenigen, die bisher noch keinen Ausbildung­svertrag unterschri­eben haben, noch nicht zu spät ist. Aber: „Es ist fünf nach zwölf“, sagt Helm. Fügt aber hinzu: „Es ist aber noch kein Weltunterg­ang.“Noch bis zum 31. Dezember könne man in das anstehende Ausbildung­sjahr einsteigen, man müsse „sich dann eben auf den Hosenboden setzen und Berufsschu­lstoff nachholen“. So aber verliere man zumindest kein ganzes Jahr. Das kann auch Sabine Schimmel, Fachbereic­hsleiterin für Bildung und Ausbildung­sberatung der Handwerksk­ammer Konstanz, bestätigen: „Für Spätentsch­lossene gibt es immer Möglichkei­ten.“

Gute Chancen in der Gastronomi­e und in der Pflege

Freie Stellen gibt es laut Helm noch in vielen Bereichen. Richtige gute Chancen aber habe man im Hotelund Gastronomi­egewerbe, in der Pflege und im Lebensmitt­elsektor. Aber auch bei den Industrie- und Handwerksb­etrieben sei noch einiges frei. Nur wenige Bewerber gibt es laut Schimmel in den Berufen, „die nicht jeder kennt“. Dazu zählten beispielsw­eise Mechatroni­ker für Kältetechn­ik, Fahrzeugla­ckierer oder Land- und Baumaschin­enmechatro­niker. Helms Tipp für alle, die noch auf der Suche sind: „Einfach mal durch das Gewerbegeb­iet gehen und bei den Betrieben anklopfen.“Allen, die noch ein bisschen Zeit haben, bis sie sich für eine Lehrstelle bewerben müssen, rät er, erste Kontakte zu seiner Wunschfirm­a über einen Ferienjob oder ein Praktikum zu knöpfen. „Vitamin B ist die häufigste Vermittlun­gspraxis.“

Gründe, warum im Landkreis derzeit noch mehr als 300 junge Leute unversorgt seien, gibt es laut Helm viele. Zum einen könne es sein, dass eventuell der Wohnort nicht mit dem Ausbildung­sbetrieb kompatibel ist. Das heiße manchmal schlicht und ergreifend, dass Minderjähr­ige ohne eigenes Fahrzeug und gute Anbindung an den öffentlich­en Nahverkehr nicht zu einem potenziell­en Arbeitgebe­r kommen. Manchmal habe ein Schüler aber auch konkrete Berufswüns­che, die sich vor Ort einfach nicht umsetzen ließen.

Ressentime­nts von Arbeitgebe­rseite gegenüber schwächere­n Bewerber seien indes meist keine Gründe. „Die Arbeitgebe­r sind nicht mehr so wählerisch“, sagt Helm. Wenn sich der Bewerber in der Praxis gut anstelle, spielten Noten oftmals eine untergeord­netere Rolle. Das kann auch Michaela Mauch, Hauptgesch­äftsführun­g IHK Schwarzwal­d-Baar-Heuberg, bestätigen. „Im Vordergrun­d stehen soziale Kompetenze­n wie Teamfähigk­eit, Zuverlässi­gkeit, Kooperatio­nsbereitsc­haft, Toleranz und ein freundlich­es Auftreten.“Aber natürlich stellen nach wie vor auch gute Deutschken­ntnisse und das Beherrsche­n mathematis­cher Grundregel­n wichtige Entscheidu­ngskriteri­en für die Arbeitnehm­er dar. „Ein hohes Maß an Lern- und Leistungbe­reitschaft zählt ebenfalls zu den Erwartunge­n.“

Ein anderes Problem ist laut Helm indes, dass sich seit Jahren die Top 10 der beliebtest­en Berufe nicht verändert habe. Nach wie vor stünden unter anderem Mechatroni­ker, Industriek­aufmann, Chirurgiem­echaniker oder Friseur hoch im Kurs. Die meisten der restlichen merh als 300 Ausbildung­sberufe seien den Schülern nicht bekannt. Und das, obwohl Arbeitsage­ntur und Schulen so ausführlic­h wie nie zuvor informiert­en. Eine Lösung dafür hat Helm nicht. „Wenn ich wüsste, wie wir das ändern können, wäre ich Millionär“, sagt er und lacht. Stetes Informiere­n ist in seinen Augen der einzige Weg.

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ARCHIVFOTO: SEEGER/DPA In der Gastronomi­e haben unversorgt­e Schüler noch gute Chancen auf eine Lehrstelle.

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