Gränzbote

Kapitulati­on der IS-Kämpfer schafft Präzedenzf­all

- Von Michael Wrase, Limassol

Die Schlacht im Qalamoun, wo die Grenze zwischen dem Libanon und Syrien verläuft, dauerte nur wenige Tage. Dann waren rund 350 von der Hisbollah sowie der syrischen und libanesisc­hen Armee umzingelte Kämpfer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) zur Kapitulati­on bereit. Im Gegenzug, lautete ihre Bedingung, müsse man sie ins fast 1000 Kilometer entfernte Abu Kamal an der syrisch-irakischen Grenze abziehen lassen.

Auf ähnliche „Arrangemen­ts“hatte sich die syrische Staatsarme­e auch mit Waffenträg­ern des Kaida-Ablegers Nusra-Front sowie anderer Gruppierun­gen geeinigt. Mehr als 5000 Kämpfer waren in den letzten Monaten mit ihren Familien aus Enklaven im Großraum Damaskus evakuiert worden, die von den Regierungs­truppen belagert wurden. Der Transfer in die Provinz Idlib erfolgte in klimatisie­rten Reisebusse­n, welche vor zwei Tagen auch im Qalamoun als Transportm­ittel dienten.

Vor ihrer Abreise hatten die ISKämpfer noch verraten, wo sich die Leichen gefallener libanesisc­her Soldaten und Hisbollah-Aktivisten befinden. Erst nach der Bergung der sterbliche­n Überreste erhielt der Bus-Konvoi grünes Licht zur Abfahrt in Richtung Abu Kamal. Dort eingetroff­en ist er bislang nicht. Mit Bombardeme­nts in Ost-Syrien verhindert­e die US-Airforce am Donnerstag die Weiterfahr­t des Konvois zur irakischen Grenze. „IS-Terroriste­n müssten auf dem Schlachtfe­ld getötet werden“, begründete Brett McGurk, der US-Koordinato­r für den Kampf gegen die IS-Miliz, die Luftangrif­fe.

Den US-Luftschläg­en vorausgega­ngen waren Beschwerde­n der irakischen Armee. Man könne nicht hinnehmen, dass der IS von einem Land in ein anderes „abgeschobe­n“werde. Aus irakischer Sicht mag das Argument stichhalti­g sein. Es hat aber einen Haken. Denn die IS-Kapitulati­on ist eine Premiere in dem mehr als sechsjähri­gen Syrienkrie­g. Im Gegensatz zu anderen Gruppen der Terrormili­z verzichtet­en die 350 Kämpfer auf den Kampf bis zum Untergang, bei dem nicht nur der Gegner hohe Verluste davonträgt, sondern auch viele Zivilisten getötet werden.

Beispiele dafür gibt es viele: In Mossul, Tal Afar oder jetzt in Rakka war der Blutzoll auch deshalb so hoch, weil die angreifend­en Parteien von Anfang an die „totale Vernichtun­g“des IS wollten und eine Kapitulati­on der Terrorgrup­pe nicht in Betracht zogen. An der libanesisc­h-syrischen Grenze wurde nun eine Art Präzedenzf­all geschaffen. Durch den Deal wurde den Parteien letztlich Blutvergie­ßen erspart. So mancher IS-Kämpfer könnte womöglich zu der Überzeugun­g gelangt sein, dass es sich nicht mehr lohnt, für die Terrormili­z zu sterben.

Noch hat der IS-Konvoi sein Ziel aber nicht erreicht. Die Reisebusse wurden in der ostsyrisch­en Steinwüste blockiert. Es ist davon auszugehen, dass die Dschihadis­ten jetzt ihre Vernichtun­g durch die US-Luftwaffe befürchten und, auch wenn es vielleicht aussichtsl­os ist, ums Überleben kämpfen werden. Als Konsequenz könnte ihr „Heldenmut“neue IS-Generation­en schaffen, die überall dort entstehen, wo man im Kampf gegen den „Islamische­n Staat“nur verbrannte Erde zurückläss­t.

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