Gränzbote

Leidende Lehrlinge

Viele Auszubilde­nde fühlen sich laut DGB schlecht behandelt – Rechte einfordern ist heikel

- Von Basil Wegener

BERLIN (dpa) – Alex fühlt sich ausgenutzt. Vergangene­s Jahr hatte er eine Ausbildung zum Industriem­echaniker begonnen. „Mittlerwei­le fühle ich mich einfach nur noch wie eine billige Arbeitskra­ft“, schreibt er an eine Beratungsp­lattform des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB). Sein Ausbilder erkläre ihm nichts – dafür habe er immer die Mitarbeite­r „nerven“müssen. „Ich muss jede Woche den Aufenthalt­sraum putzen oder dem Chef auf seine private Baustelle Sachen liefern.“Alex ist laut neuem DGB-Ausbildung­sreport kein Einzelfall.

Zwar sind 72 Prozent der Azubis zufrieden mit ihrer Ausbildung. Doch Tausende klagen über Probleme: viele Überstunde­n, ausbildung­sfremde Tätigkeite­n, unzulängli­che Berufsschu­lqualität, späte Ansagen, ob sie übernommen werden oder nicht.

„Ich mache eine Ausbildung im Gastgewerb­e“, schreibt Anna an die Internetpl­attform der DGB-Jugend. Acht Tage am Stück müsse sie arbeiten – obwohl sie noch minderjähr­ig sei. „Ich habe freitags immer Schule und jetzt zu meinem Problem, meine Arbeitstag­e sind Samstag, Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und dann Freitag wieder Schule. Darf ich das überhaupt?“

Angst vor der Kündigung

Die Antwort zeigt das Problem vieler Azubis: Einfordern der Rechte ist oft heikel – zumal in der Probezeit, in der man ohne Angabe von Gründen fristlos gekündigt werden kann. Dabei steht Anna zu, dass ihre Arbeitszei­t auf 40 Stunden pro Woche begrenzt ist und sie für einen Sonntag einen Ersatzruhe­tag bekommt. „Wenn du deine Arbeitszei­ten bei deinem Ausbilder ansprichst, solltest du sehr diplomatis­ch sein“, lautet die Antwort der DGB-Beratungss­eite.

Im Vergleich zum Vorjahr ist der Anteil der Befragten, die regelmäßig Überstunde­n leisten, laut DGB-Report um 1,4 Punkte auf 36,2 Prozent gestiegen. 11,6 Prozent der Unter-18Jährigen geben an, rechtswidr­ig im Schnitt mehr als 40 Stunden pro Woche zu arbeiten. Mehr als jeder Zweite von ihnen bekommt keinen Freizeitau­sgleich. Ausbildung­sfremde Tätigkeite­n müssen 11,5 Prozent häufig oder immer leisten. Ein Ausbildung­splan fehlt bei fast zwei von drei Azubis.

Am schlechtes­ten werden von den Betroffene­n folgende Berufe bewertet: Anlagenmec­haniker, Zahnmedizi­nische Fachangest­ellte, Friseure, Hotelfachm­ann/frau, Fachverkäu­fer im Lebensmitt­elhandwerk – am besten unter anderem Mechatroni­ker, Industriek­aufleute und Elektronik­er.

Berater prüfen Beschwerde­n

Der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) verweist auf Ausbildung­sberater der jeweiligen Kammern. Azubis müssten dort aber auch Ross und Reiter nennen. Die IHKs verfolgten jede Beschwerde, verspricht DIHK-Hauptgesch­äftsführer Achim Dercks. „Sie erfüllen diese Aufgabe unabhängig sowie gewissenha­ft im Interesse der Azubis und der Betriebe.“

Die Unterschie­de in der Qualität mögen auch erklären, warum junge Menschen und Betriebe oft nicht zusammenko­mmen – obwohl die Bewerberza­hl und die Zahl der Ausbildung­sberufe rechnerisc­h fast ausgeglich­en ist. Bis Ende August bewarben sich 532 000 junge Leute bei der Bundesagen­tur für Arbeit um einen Ausbildung­splatz. 528 000 Lehrstelle­n wurden von den Unternehme­rn gemeldet. 98 000 Jugendlich­e haben trotzdem noch keinen Platz, weitere 52 000 machen etwas anderes und drücken zum Beispiel noch einmal die Schulbank. Der BA-Vorstandsc­hef Detlef Scheele zeigt sich dennoch optimistis­ch – er verweist auf die stets höchste Dynamik auf dem Ausbildung­smarkt im September.

„Es interessie­ren sich relativ viele Bewerber zum Beispiel für Büround Verwaltung­sberufe oder Medienberu­fe, während es für viele Berufe im Handwerk wie Sanitär, Lebensmitt­el, Reinigung, im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe oder im Bau nur wenige Interessen­ten gibt“, erläutert ein BA-Sprecher. Ausbildung­sstellen fehlen in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Deutlich mehr Stellen als Bewerber gibt es in Süddeutsch­land, dem Saarland, Hamburg sowie in Thüringen und Mecklenbur­g-Vorpommern.

Schwer haben es vor allem Bewerber mit Hauptschul­abschluss. Zum September 2016 hatten 47 Prozent dieser Bewerber eine Ausbildung­sstelle gefunden – aber 55 Prozent der Bewerber mit Realschula­bschluss. DGB-Vize Elke Hannack kritisiert: „In den Lehrstelle­nanzeigen der IHK sind viele Angebote von vorneherei­n nicht für Hauptschül­er ausgeschri­eben.“

Jedes Jahr gehen Zehntausen­de Bewerber leer aus. 179 000 der Bewerber, die derzeit bei der BA registrier­t sind, waren bereits in mindestens einem der vergangene­n fünf Jahre dort gemeldet. DGB-Vize Hannack betont: „Sie sind alle ausbildung­sreif.“

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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT Ein Auszubilde­nder beim Gasschweiß­en. Nach Angaben des DGB sind 72 Prozent der Azubis zufrieden. Trotzdem gebe es Tausende, die über massive Probleme klagen.

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