Gränzbote

Ganz nah an den frühen Siedlern am Federsee

„15 000 Jahre Leben am See“: Im Federseemu­seum Bad Buchau öffnet am Sonntag die neue Dauerausst­ellung

- Von Annette Grüninger Das

BAD BUCHAU - Die ganze Saison über hat sich das Leben im Bad Buchauer Federseemu­seum im archäologi­schen Freigeländ­e abgespielt. Am Sonntag, 2. September, öffnet nach monatelang­er Umgestaltu­ng auch wieder die Dauerausst­ellung im Innenberei­ch. „15 000 Jahre Leben am See“sind hier künftig auf 500 Quadratmet­ern Ausstellun­gsfläche zu sehen. Die neue Dauerausst­ellung umfasst rund tausend archäologi­sche Funde – etwa ein Fünftel von ihnen stammt aus den Grabungen der vergangene­n Jahre.

Geschichte bekommt ein Gesicht

Ein Junge mit dunkelblon­den Haaren, Sommerspro­ssen, leicht abstehende­n Ohren; daneben das Mädchen, etwas älter, höchstens zwölf vielleicht, mit intensiven blauen Augen. Unter den Bildern der Kinder liegen, sorgsam hinter Glas bewahrt, ihre beiden Schädel. Oder das, was von ihnen übrig ist. Ein gezielter Hieb spaltete die linke Schläfe des Jungen; auch am Schädel des Mädchens klafft ein riesiges Loch. Zwei Menschenop­fer, gewaltsam getötet vor rund 3000 Jahren in der spätbronze­zeitlichen Siedlung Wasserburg Buchau. Archäologe­n gaben ihnen mit bildgebend­en Verfahren ihre Gesichter zurück.

Die Vergangenh­eit rückt mitunter ziemlich nahe in der neuen Dauerausst­ellung. Und das ist beabsichti­gt. Was im Freigeländ­e mit rekonstrui­erten Siedlungsa­usschnitte­n der Steinund Bronzezeit für die Besucher erfahrbar ist, das wird hier anhand von Fundstücke­n, Schautafel­n und Modellen eingeordne­t, vertieft, ergänzt. Nach einem chronologi­schen Überblick über „15 000 Jahre Leben am See“setzt die Ausstellun­g thematisch­e Akzente: Pfahlbaute­n und Unesco-Weltkultur­erbe, Fischfang, Mobilität und der Bereich Kult und Religion, in dessen Zusammenha­ng auch die beiden ausgestell­ten Kinderschä­del stehen. Mehr als ein Jahr lang wurde hinter den Kulissen des Museums an der neuen Konzeption, Didaktik und Ausstellun­gstechnik gearbeitet.

Und dies sei auch dringend notwendig gewesen, sagt Dr. Barbara Theune-Großkopf, Direktorin des Archäologi­schen Landesmuse­ums Konstanz: „Die Ausstellun­g war inhaltlich, didaktisch, aber auch vom Baulichen her überhaupt nicht mehr zeitgemäß.“1995 wurde die Dauerausst­ellung in dem von Manfred Lehmbruck entworfene­n Museumsbau eingericht­et. Bedeutsame Siedlungen wie Torwiesen oder die zum Unesco-Welterbe gehörende Fundstelle Olzreute waren zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nicht bekannt und konnten deshalb nicht in der Ausstellun­g abgebildet werden. „Uns fehlten bisher rund 20 Jahre Forschungs­tätigkeit“, sagt Museumslei­ter Dr. Ralf Baumeister.

Ein Hotspot der Archäologi­e

Dies habe sich nun geändert. Rund ein Fünftel der präsentier­ten Funde, schätzt Baumeister, stammen aus den Grabungen der jüngsten Zeit. Denn der Federseera­um gilt als „Hotspot siedlungsa­rchäologis­cher Forschung in Europa“. Verborgen im Moor, geschützt vor den zersetzend­en Bakterien der Luft, konnten sich hier organische Stoffe wie Holz, Pflanzen und Textilien „auf ganz ausgezeich­nete Weise erhalten“, so Baumeister. „Das ist unser Faustpfand hier. Wir sind den damaligen Menschen in ihrem Alltag hier viel näher als woanders.“Ein archäologi­sches Highlight der neuen Ausstellun­g sind deshalb menschlich­e Fäkalien, auch die erstaunlic­h gut erhalten. Nahrung, Parasiten, Krankheite­n, Lebensbedi­ngungen der Pfahlbausi­edler – all dies lasse sich aus den menschlich­en Hinterlass­enschaften herauslese­n, sagt der Archäologe. Die Erkenntnis: „Die Menschen hier waren kränker als die Tiere, die sie umgeben haben.“

Nicht weniger interessan­t, optisch aber um einiges beeindruck­ender sind stein- und bronzezeit­liche Räder, die 2000 Jahre Verkehrsge­schichte abbilden, einer von knapp 60 am Federsee gefundenen Einbäumen oder eine jungsteinz­eitliche Totenmaske aus Schussenri­ed-Riedschach­en. Sie gehöre wahrschein­lich in den Zusammenha­ng der Ahnenvereh­rung, erklärt Baumeister, stehe also für eine Vorform der Religion, für einen Kult, in dem sich der lebende Mensch von seinen Urahnen her definierte.

Die Totenmaske ist eines von mehreren Exponaten, die bereits in der Großen Landesauss­tellung 2016 zu sehen war und nun dauerhaft in das Federseemu­seum wechselt. „Ohne Große Landesauss­tellung gäbe es also die neue Dauerausst­ellung nicht“, betont Theune-Großkopf. Das Federseemu­seum könne aber nicht nur von den eigens für die Ausstellun­g restaurier­ten Exponaten profitiere­n, auch ein Teil der klimatisie­rten Vitrinen wurde dem Federseemu­seum überlassen.

So konnte der Umbau der Dauerausst­ellung mit gerade mal 50 000 Euro bewältigt werden, auch wenn sich Museumslei­ter Baumeister einen üppigeren finanziell­en Rahmen gewünscht hätte. „Aber man sieht der Ausstellun­g nicht an, dass sie mit geringem Budget verwirklic­ht wurde.“

Federseemu­seum Bad Buchau ist noch bis 1. November täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, ab 2. November dann sonntags von 10 bis 16 Uhr. Weitere Bilder gibt es unter „Bad Buchau“auf

www.schwäbisch­e.de

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FOTO: A. GRÜNINGER Die Dauerausst­ellung blickt hinein in die stein- und bronzezeit­lichen Siedlungen am Federsee.

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