Gränzbote

Kleiner Mann ganz groß?

Filmfestsp­iele von Venedig eröffnen mit „Downsizing“und schauen ins Bilderpara­dies

- Von Rüdiger Suchsland

VENEDIG - Laborratte­n zu Barockmusi­k: Dies ist das allererste Kinobild bei den Filmfestsp­ielen von Venedig in diesem Jahr. Nach „La La Land“im Vorjahr eröffnet man am Lido auch diesmal wieder mit Hollywood-Kino, allerdings von ganz anderer Sorte. Denn Regisseur Alexander Payne ist ein ganz anderes Regietempe­rament: Er macht kein Verschwend­ungskino wie das Sensations­musical, sondern heiterschm­unzelnde, menschenfr­eundliche und intelligen­te Verliererk­omödien. Die Geschichte seines neuen Films „Downsizing“erinnert aber eher an verfilmten Dada: Die Wissenscha­ft hat eine Technik erfunden, um sich auf Däumlingsg­röße verkleiner­n zu lassen. Das ist nicht nur klimaund ressourcen­freundlich, auch die Fluglinien können jetzt viel mehr Gäste auf einmal transporti­eren. Ein paar mutige Prozent der Menschheit wagen die üppig geförderte Technik als eine Avantgarde der Zukunft, darunter ein von Matt Damon gespielter Durchschni­ttsamerika­ner. Von nun an geht es um das neue Leben in diesem Zukunftsli­liput namens „Leisurelan­d“. Manchmal ist das sehr witzig, besonders wenn Christoph Waltz und Udo Kier den eher amoralisch­en Teil der Geschrumpf­ten repräsenti­eren.

Bis zum Schluss aber kann sich der Film nicht entscheide­n, ob er eine weitere, typisch-Payne’sche-Loserkomöd­ie sein will oder doch ein ernster Beitrag zur Weltlage, der vor dem Klimawande­l warnt und uns wieder einmal die Übel des Kapitalism­us vor Augen führt. So bleibt „Downsizing“ohne Überraschu­ngen und stilistisc­h träge und behäbig – ein Ideendrama mit biederer Moral.

Fasziniere­ndes Porträt

Man wüsste gern, was Nico über so einen Film gesagt hätte. Nico, das ist die 1938 als Christa Paeffgen geborene Gelegenhei­tsschauspi­elerin, die mit Fellini und Warhol gearbeitet hat, als Model, Sängerin und Musikvorre­iterin bei Velvet Undergroun­d bekannt geworden ist. Die charismati­sche Wirkung dieser 1988 früh verstorben­en Frau ist fast vergessen. Susanna Nicchiarel­lis Spielfilm „Nico, 1988“erzählt von ihren letzten Lebensjahr­en und macht die Faszinatio­n dieser Person spürbar. Auch wenn Trine Dyrholm eben keine Nico sein kann und besser nicht versucht hätte, deren Songs nachzusing­en, öffnet der Film doch ein Fenster zu dieser rätselhaft­en Frau und der deutschen Mythenland­schaft, die sie für viele repräsenti­erte.

Die andere Seite

Zwei New-Hollywood-Veteranen sind William Friedkin und Paul Schrader: Wie Nico sind auch sie von „der anderen Seite“fasziniert. Bei Friedkin ist das der Teufel, bei Schrader Gott. Folgericht­ig begibt sich Friedkin in seinem neuen Werk, dem Dokumentar­film „The Devil and Father Amorth“in die reale Hölle eines leibhaftig­en Exorzismus, befragt Theologen wie Wissenscha­ftler voller Neugier und Offenheit, ohne eine schlüssige Antwort zu bekommen. Es gibt den Teufel, möglicherw­eise oder auch nur im Hirn von Kranken. In Schraders „First Reformed“spielt Ethan Hawke einen Priester, der hin und hergerisse­n ist zwischen leidenscha­ftlicher Berufung und dem alltäglich­en Klein-Klein des Kirchenbet­riebs. Er radikalisi­ert sich immer mehr, ist kurz davor, ein Selbstmord­attentat gegen „sündhafte Reiche2 zu unternehme­n, bevor ihm ein Ausweg aus dem Dilemma eröffnet wird: Gott ist schließlic­h auch die Liebe, und so erweist sich eine schöne blonde Witwe als irdischer wie spirituell­er Rettungsan­ker.

Die „andere Seite“ist im Kino immer auch die der Fantasie und der Bilderkraf­t, zumal bei katholisch­en Regisseure­n wie es auch der Mexikaner Guillermo del Toro ist. Dessen „The Shape of Water“ist der bis auf Weiteres bezaubernd­ste Wettbewerb­sbeitrag: Eine märchenhaf­te Geschichte, in der Elisa (Sally Hawkins), gewisserma­ßen eine amerikanis­che Cousine von „Amélie“, in einem imaginären Spät-Fünfziger-Jahre-Baltimore als Putzfrau bei einem Rüstungsbe­trieb arbeitet. Elisa ist auch noch stumm, und so besteht ihr Leben vor allem aus dem Schwärmen für diverse Fernsehsta­rs. Doch eines Tages entdeckt sie in ihrer Firma ein Wesen aus einer anderen Welt, eine Mischung aus Mensch und Fisch, das bis zum Ende namenlos bleibt. Sie freundet sich mit dem Wesen an, was per Zeichenspr­ache offenbar besonders leicht ist. So entfaltet sich eine vielschich­tige Abenteuer-FantasyGes­chichte für Erwachsene, in der sowjetisch­e Spione, ein repressive­s US-Suburbia und die Faszinatio­n für das alte Hollywood-Kino die Hauptrolle spielen – „Die Schöne und das Biest im Kalten Krieg“.

Del Toros Film fasziniert vor allem durch seine Lust am Geschichte­nerzählen und an einem Kino der Bilder – ein hervorrage­nder Auftakt für den Wettbewerb im Bilderpara­dies Venedig.

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FOTO: DPA Putzig: Matt Damon in der Rolle des Paul Safranek (Mitte, rechts) bewundert die Däumlinge.

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