„Die Azubis merken, dass man helfen will“
Rolf Wiesendanner ist Regionalkoordinator bei Vera und will Ausbildungsabbrüche verhindern
TUTTLINGEN - Ein Viertel der Auszubildenden in Deutschland bricht die Lehre ab. Die Initiative Vera hat sich zum Ziel gesetzt, hier zu helfen und Ausbildungsabbrüche zu verhindern. Mit Erfolg: In 80 Prozent der Fälle werden die Probleme des Azubis vorher gelöst und die Ausbildung abgeschlossen. Mit Rolf Wiesendanner, dem ehrenamtlichen Regionalkoordinator für die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg, sprach Redakteur Matthias Jansen.
Wie bewerten Sie die hohe Zahl der Ausbildungsabbrüche? Mittlerweile sollen es laut Studien schon 25 Prozent sein.
Der Wert ist richtig. Das sind zwischen 120 000 und 130 000 Menschen. Für mich hat das Problem Priorität Nummer eins. Es gibt so viele freie Stellen im Handwerk – eine Irrsinnszahl. Und alle jammern. Es gibt ein paar bevorzugte Berufe, und in anderen Berufen ist gar nichts los. Hinzu kommen einige Berufe mit wirklich herausfordernden Rahmenbedingungen und entsprechend hohen Abbruchquoten. Bei Köchen und Bäckern ist die Abbruchquote mit 50 Prozent weit über dem Durchschnitt. In diesen Berufen ist die Arbeitszeit aber auch nicht gut. Ich kenne einen Bäckermeister. Der arbeitet von abends bis zum nächsten Morgen und kommt übernächtigt und blass aus der Backstube. Die Arbeit macht ihm trotzdem Freude, denn er beglückt seine Kunden mit frischem Backwerk.
Was kann Vera tun, damit die Ausbildungen nicht abgebrochen werden und noch mehr Fachkräfte fehlen?
Unsere Ausbildungsbegleiter sind ehrenamtliche Senior-Experten des SES – gestandene Fachleute im Ruhestand. Sie unterstützen Auszubildende nach dem Eins-zu-eins-Prinzip, helfen individuell und sind entsprechend begehrt. Seit 2009 hat es deutschlandweit 13 309, in BadenWürttemberg 2539 und in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg 248 Anfragen gegeben. Daraus sind 9400 Begleitungen im ganzen Land, 1840 in unserem Bundesland und 190 in unserer Region geworden. Auch unsere Erfolgsquote kann sich sehen lassen. Sie liegt bei 80 Prozent.
Wie kommt der Kontakt zum Azubi zu Stande?
Am einfachsten ist es, auf der Verageht Homepage ein Online-Formular auszufüllen. Unser Flyer liegt aber auch bei den Netzwerkpartnern – IHK, Handwerkskammern, den Arbeitsagenturen in Tuttlingen, VillingenSchwenningen und Rottweil, den Handwerksinnungen, dem BBT in Tuttlingen, den Berufsschulen und dem Bündnis für Arbeit – aus. Auf dem Flyer können die Azubis ankreuzen, welche Probleme sie haben. Der abtrennbare Zettel wird an unsere Zentrale in Bonn geschickt und vor dort an mich als Koordinator weitergeleitet. Ich wähle einen Experten aus. Dieser trifft sich dann mit dem Jugendlichen. Zunächt geht es darum, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Wenn Senior-Experte und Jugendlicher zusammenpassen, vereinbaren sie die Vorgehensweise, wann, wie oft und wo sie sich treffen. Der Experte und der Jugendliche sollen sich auf Augenhöhe treffen. Das oft sehr schnell. Dann merken die Auszubildenden auch, dass man ihnen helfen will.
Mit welchen Problemen kommen die Auszubildenden zu Ihnen?
Die Probleme reichen vom Verstehen der Lerninhalte in der Berufsschule über die praktische Qualifikation bis in den persönlichen Bereich. Oft beschweren sie sich aber auch über den Chef, dass sie das Auto wegfahren oder aussaugen sollen. Das kann einmal sein. Aber nicht einmal pro Woche. Die jungen Menschen müssen ja auch Berichte schreiben. Wenn es Probleme mit dem Chef gibt, versuchen wir in erster Linie, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Wir erklären den Jugendlichen, wie man konstruktiv mit Konflikten umgeht und wir vereinbaren nach Abstimmung mit dem Auszubildenden einen Termin in der Firma.
Wieviele Experten haben Sie für den Bereich Schwarzwald-BaarHeuberg?
Bisher sind es 41. Das sind frühere Lehrer, Schulleiter, Ärzte, Handwerker oder Kaufleute. Wichtig, um Experte zu sein, ist, dass es lebens- und berufserfahrene Menschen sind. Wir müssen aber weiter Experten suchen und für die Tätigkeit überzeugen. Ideal ist es, wenn der Experte aus der gleichen Branche wie der Auszubildende kommt. Ich hatte aber schon einen früheren Oberarzt der Chirurgie, der sich um einen angehenden Elektriker kümmern sollte. Der Experte zweifelte. Ich habe ihm gesagt, du musst ihm nicht das Strippenziehen erklären. Das kann er besser als wir. Du musst den Jungen am Genick fassen und ihm den Weg zeigen. Das hat geklappt.
Einige Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sind, fangen nun eine Lehre an. Wie sehr müssen Sie sich schon um Lehrlinge mit Migrationshintergrund kümmern?
Die Problematik ist bei uns angekommen. Im vergangenen halben Jahr hat die Zahl der Auszubildenden mit Migrationshintergrund stark zugenommen. Jeder Zweite ist Ausländer. Nach zwei Jahren können sie recht gut Deutsch, aber in der Berufsschule verstehen sie nur Bahnhof. Und dann werden ihnen noch Knüppel in den Weg gelegt. Obwohl sie eine Ausbildung beginnen und der Vertrag bei der Kammer liegt, bleibt die Angst vor der Abschiebung: ein unglaublicher Druck.
Wie ist der Umgang mit den Auszubildenden? Müssen Sie auf bestimmte Dinge achten?
Im Prinzip ist der Umgang mit den jungen Leuten gut. Sie wollen, dass man ihnen hilft. Mir ist wichtig, dass die Auszubildenden, wenn sie sich anmelden oder bei uns angemeldet werden – das kann auch durch den Betrieb oder die Familie erfolgen – unterschreiben. Das verpflichtet sie zwar zu nichts. Die Hilfe durch Vera ist kostenlos. Aber ich möchte, dass sie zu der Vereinbarung stehen. In der Regel ziehen sie die Begleitung, wenn sie sich angemeldet haben, auch durch. Grundsätzlich wünsche ich mir, dass noch mehr Senior Expertinnen zu uns kommen. Die Kontaktaufnahme für VeraBegleitungen erfolgt über die Initiative Vera unter der Telefonnummer 0228 / 26090 40 oder vera.ses-bonn.de und Regionalkoordinator Rolf Wiesendanner unter Telefon 07461 / 162132 sowie schwarzwald@ vera.ses-bonn.de.