„Er ist kein Unmensch“
Angeklagter gerät vor Landgericht Rottweil weiter in Bedrängnis – Seine Frau hält aber zu ihm
ROTTWEIL - Im Prozess um den versuchten Mord in einem Geschäft in der Tuttlinger Fußgängerzone sollten am gestrigen dritten Verhandlungstag die Angehörigen des Angeklagten vor dem Landgericht Rottweil aussagen. Doch sie machten alle von ihrem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern.
Die Frau des 37-Jährigen wollte dann aber doch noch etwas loswerden. Er würde für die Kinder alles tun, sagte sie über ihren Mann und fügte hinzu: „Er ist kein Unmensch. Aber er hat ein Drogenproblem und braucht deshalb Hilfe.“
Das ist die Kernfrage in diesem Prozess: Stand der Angeklagte bei dem Überfall, den er gestanden hat, derart unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen, dass er vermindert schuldfähig oder gar schuldunfähig ist? Nach seiner Darstellung war er an jenem Tag derart berauscht, dass er sich nicht mehr an die Tat erinnern kann. Zeugen für diese Aussage gibt es indes bisher nicht. Den Tuttlinger Anwalt, den er zwei Stunden vor der Tat besucht hatte, will er nicht von der Schweigepflicht entbinden und an den Namen einer Bekannten, die er kurz vor der Tat traf, kann er sich nicht erinnern.
Chef: Nichts von Drogen bemerkt
Hinzu kommt: Sein Arbeitgeber, der Chef einer Wurmlinger Spedition, stellte ihm zwar ein gutes Zeugnis aus. Er erklärte aber gestern vor Gericht auch, er habe „absolut nichts“von Alkohol oder Drogen bei seinem Mitarbeiter bemerkt, auch nicht in der Nacht vor und nach dem Tat-Tag. Der Angeklagte dagegen hatte von erheblichem Konsum schon während der Nachtschicht berichtet. Zudem hatte er vor Gericht noch erklärt, Amphetamin in einer Lampenschale versteckt zu haben, wovon sonst niemand wisse. Daraufhin veranlasste die Staatsanwaltschat kurzfristig eine Hausdurchsuchung und zog sich deswegen heftige Kritik des Verteidigers zu. Der Angeklagte wollte von seiner Aussage nichts mehr wissen, wurde aber vom Vorsitzenden Richter energisch belehrt, dass er das genau so ausgesagt habe.
Im Prozess wurde auch bekannt, dass der Angeklagte nicht nur wegen Gewaltdelikten und Diebstahl seit seinem zwölften Lebensjahr mehrfach vorbestraft ist, sondern auch wegen exhibitionistischer Handlungen zwischen 1998 und 2015 in mindestens fünf Fällen.
Die 39-jährige Frau, die den Überfall nur mit Glück überlebte, wird noch lange an den Folgen zu leiden haben, im günstigsten Fall drei Jahre. Das machte gestern der behandelnde Facharzt für Psychosomatik deutlich. „Eine weitere Therapie ist dringend geboten“, betonte er.
Zeugin bricht in Tränen aus
Welch tiefe Spuren diese Tat hinterlassen hat, wurde auch an einer Zeugin deutlich, die als letzte Kundin vor der Tat im Geschäft war, es aber verließ, bevor der Täter zuschlug. Sie erfuhr am nächsten Tag aus der Zeitung davon. Das hatte sie derart mitgenommen, dass sie sich ein Vierteljahr lang psychologisch behandeln lassen musste und sich bis heute nachts nicht mehr auf die Straße traut. Vor Gericht brach sie in Tränen aus.
Der Prozess wird am Freitag mit den drei Sachverständigen fortgesetzt.