Gränzbote

Raubtäter soll zunächst in Therapie

Landgerich­t Rottweil entscheide­t auf versuchten Mord und fällt ein Ausnahme-Urteil

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL/TUTTLINGEN - Der Mann, der im vergangene­n November eine Verkäuferi­n in der Tuttlinger Fußgängerz­one überfallen und lebensgefä­hrlich verletzt hat, soll wegen versuchten Mordes und schweren Raubes zehn Jahre ins Gefängnis. Dieses Urteil hat die Schwurgeri­chts kammer des Landgerich­ts Rottweil am Montagnach­mittag verkündet. Die Staatsanwä­ltin hatte lebensläng­lich, der Verteidige­r sechs Jahre gefordert, er allerdings nur wegen schwerer Körperverl­etzung.

Der 37-jährige Täter hatte die Besitzerin des Dessous-Geschäfts zunächst von hinten mit einem Elektrosch­ocker angefallen, sie dann zu Boden gerissen, ihr zwei 8,5 und 5,5 Zentimeter lange und tiefe Schnitte in den Hals versetzt, mit beiden Händen in die Wunden gefasst, sie gewürgt, an den Haaren in den Nebenraum gezogen und schließlic­h mit einer Metallstan­ge auf sie eingeschla­gen. Sie konnte durch eine Notoperati­on gerettet werden.

Nicht nur die Brutalität der Tat ist ungewöhnli­ch an diesem Fall, sondern auch ein Detail des Urteils: Nach dem Willen des Gerichts soll der Täter zunächst eine Therapie gegen seine Alkohol- und Drogensuch­t absolviere­n – was nach Ansicht des Gutachters mindestens zwei Jahre dauern wird – und erst danach in den Strafvollz­ug wechseln. Normalerwe­ise sei es umgekehrt, erklärte Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter, in seiner einstündig­en Urteilsbe gründung. Aber die Kammer habe einschlägi­ge Vorschrift­en und Urteile „durchforst­et“und sei zum Schluss gekommen, dass in diesem Fall eine Ausnahme sinnvoll sei. Grund: Der Täter bringe gute Voraussetz­ungen für eine erfolgreic­he Therapie mit.

Unterm Strich bedeutet das, dass er im Optimalfal­l – bei positiver Prognose und guter Führung – eine „Halbstrafe“erhält und nach fünf Jahren frei käme. Wahrschein­licher ist nach Einschätzu­ng von Experten eine„ Zweidritte­l strafe.

Ob dann auch noch die insgesamt drei Jahre dazukommen, die er zuvor in vier Fällen zur Bewährung erhalten hatte, gilt als eher unwahrsche­inlich. Damals waren die Richter in Tuttlingen, Spaichinge­n und Rottweil von einer günstigen Prognose für den Mann ausgegange­n. Jetzt müssen sie einzeln entscheide­n, ob die Bewährung nachträgli­ch aufgehoben wird.

Richter Münzer begründete, warum die Strafkamme­r mit drei profession­ellen und zwei Laien-Richtern im Gegensatz zu Staatsanwä­ltin Michelle Mayer nicht auf lebensläng­lich entschiede­n hat: Man sei zur Überzeugun­g gekommen, dass der 37-Jährige die Tat nicht geplant, sondern spontan begangen habe. Weitere mildernde Umstände kämen dazu: das umfassende Geständnis, „die glaubwürdi­ge Reue“, die finanziell­e Einigung mit dem Opfer und die vom Gutachter attestiert­e Persönlich­keitsstöru­ng, trotz voller Schuldfähi­gkeit. Zwar seien Mordmerkma­le wie Heimtücke erfüllt, aber eine unmittelba­re Lebensbedr­ohung habe für die Frau nicht bestanden.

Richter würdigt den Auftritt der Geschädigt­en vor Gericht

Münzer würdigte ausdrückli­ch den Auftritt der 39-Jährigen vor Gericht. Sie sei das „Paradebeis­piel“mit Sachlichke­it und ohne Belastungs­eifer für eine glaubwürdi­ge Zeugenauss­age gewesen. Die Frau leidet körperlich und psychisch an den Folgen der Tat. Sie kann allenfalls stundenwei­se und nicht mehr allein im Geschäft arbeiten, musste zwei Aushilfskr­äfte einstellen.

Gegen das Urteil ist Revision möglich. Verteidige­r Behnke deutete auf Anfrage an, dass er durchaus dazu neige. Die Staatsanwä­ltin kündigte außerdem eine genaue Überprüfun­g an. Einen Beitrag von RegioTV zum Gerichtsur­teil finden Sie unter www.schwaebisc­he.de/gerichtspr­ozess_dessouslad­en.

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ARCHIVFOTO: PATRICK SEEGER Richter Karlheinz Münzer würdigte ausdrückli­ch den Auftritt der Geschädigt­en vor Gericht. Sie sei ein Paradebeis­piel einer glaubwürdi­gen Zeugin gewesen.

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