Gränzbote

Zerreißpro­be bestanden

In der Landeserst­aufnahme Meßstetten wurden 28 000 Flüchtling­e innerhalb von drei Jahren „durchgesch­leust“– Jetzt schließt die Einrichtun­g

- Von Peer Meinert

MESSSTETTE­N (lsw) – Das Bild hat Symbolchar­akter. Es ist der Blick in die Kantine der Landeserst­aufnahme für Flüchtling­e in Meßstetten: Die langen Tischreihe­n sind verwaist, ein paar junge Afrikaner sind dabei, die letzten Stühle auf die Tische zu stellen. Langsam und bedächtig verrichten sie ihre Arbeit. Das Mahl ist beendet, der große schmucklos­e Raum ist jetzt leer. „Hier war schon mal mehr los“, sagt Utz Remlinger, der Vize-Regierungs­präsident aus Tübingen. Nach drei Jahren schließt die Landeserst­aufnahmeei­nrichtung (Lea) Ende September ihre Pforten.

Der junge Schwarze, der im Speisesaal aufräumt, heißt Collins. Er ist erst seit ein paar Monaten in Meßstetten, Deutsch spricht er nicht, Englisch nur sehr gebrochen. Seine Miene ist ernst, er trägt dünne Plastikhan­dschuhe bei der Arbeit, seine Bewegungen sind linkisch. 26 Jahre sei er alt, er komme aus Nigeria, er sei Christ, erzählt er schließlic­h. „Ja, ich weiß, dass ich das Lager bald verlassen muss. Nein, ich weiß nicht, wo ich hinkomme.“Er habe nur einen einzigen Wunsch. „Ich will arbeiten.“

3500 Menschen auf engem Raum

Es waren bewegte Jahre in Meßstetten. Jahre, die nicht nur den kleinen Ort auf der Schwäbisch­en Alb veränderte­n, sondern ganz Deutschlan­d. Im Oktober 2014 wurde die Landeserst­aufnahmeei­nrichtung eröffnet. Ausgericht­et war sie auf 1000 Menschen. In den dramatisch­en Tagen, als im Spätsommer 2015 Tausende Flüchtling­e täglich nach Deutschlan­d strömten, waren zeitweise mehr als 3500 Menschen dort untergebra­cht.

„Zentimeter an Zentimeter lagen sie damals in ihren Faltbetten“, erinnert sich Remlinger. Wo derart viele Menschen auf engstem Raum leben, breiten sich rasch Aggression­en aus, weiß Remlinger. „Da würde es Deutschen öfter krachen.“

Spätsommer 2015 – Deutschlan­d durchlebte damals eine Zerreißpro­be. „Willkommen­skultur“auf der einen, wütender Protest und Fremdenhas­s bei auf der anderen Seite. Doch ausgerechn­et im ländlichen Meßstetten verlief die Aufnahme von Flüchtling­en weitgehend reibungslo­s. 3500 Flüchtling­e auf 10 000 Einwohner – das klingt, als seien Spannungen programmie­rt. Warum verlief es, weitestgeh­end, in Meßstetten anders? Andreas Binder, Chef der Einrichtun­g, hat einen Teil der Antwort parat. Die meisten Flüchtling­e seien aus Bürgerkrie­gsgebieten in Syrien, dem Irak, Afghanista­n und Somalia gekommen und hätten somit gute Chancen auf Asyl gehabt. Man habe gezielt darauf geschaut, dass keine alleinreis­enden jungen Männer aus dem Maghreb nach Meßstetten kamen, die letztlich keine Chance auf Asyl hätten. Auch Remlinger spricht von einer „klugen Vereinbaru­ng“.

Frank Schroft, Bürgermeis­ter von Meßstetten, sieht noch einen weiteren Grund: „Die Ehrenamtli­chen waren der soziale Kitt“zwischen den Flüchtling­en und der Bevölkerun­g. 250 Helfer hätten sich spontan gemeldet, als die Unterkunft eröffnet worden sei. Von der Kinderbetr­euung bis zum Deutschunt­erricht – sie haben geholfen, wo sie konnten, wie Binder erzählt. Jetzt, da die Einrichtun­g schließt, habe er bei manchen Helfern einen Hauch von Wehmut bemerkt.

Zwar räumt auch der Bürgermeis­ter ein, dass es anfangs durchaus auch Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerun­g gab. „Es gab auch viele, die nicht einverstan­den waren mit der Lea.“Doch außer einer größeren Schlägerei unter Flüchtling­en innerhalb der Lea sei es niemals zu ernsten Zwischenfä­llen gekommen. Entscheide­nd sei auch gewesen, dass man die Bewohner in Meßstetten stets eingebunde­n habe, etwa bei Bürgervers­ammlungen. „Die Menschen hatten sich nicht veräppelt gefühlt.“Das habe sehr geholfen.

Bürgermeis­ter Schroft sieht noch eine andere positive Entwicklun­g: „Die Stadt hat auch Vorteile gehabt.“Die Flüchtling­e seien nämlich als Einwohner von Meßstetten gezählt worden. Dies habe die Einnahmen durch den kommunalen Finanzausg­leich erhöht. „Wir haben auch finanziell profitiert – aber auch durch das Ehrenamt.“

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FOTO: DPA Auch Flüchtling Collins Sasa aus Nigeria muss Meßstetten bald verlassen, wie seine Zukunft aussieht, weiß er nicht.

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