Gränzbote

Bürger inmitten polarisier­ender Debatte

Windkraft in Balgheim – Bürgerents­cheid beendet monatelang­e Auseinande­rsetzung

- Von Regina Braungart

BALGHEIM - Nach über einem Jahr Debatten und polarisier­enden Auseinande­rsetzungen werden die Balgheimer eine Entscheidu­ng fällen dazu, ob sie auf ihrer Gemarkung Flächen für zwei Windkrafta­nlagen verpachtet sehen wollen oder nicht.

Die Fragestell­ung des Bürgerents­cheids ist ein wenig verwirrend, denn „Nein“bedeutet „Ja“zur Verpachtun­g und „Ja“bedeutet „Nein“zur Verpachtun­g, denn die Frage ist negativ gestellt: „Sind Sie gegen eine Verpachtun­g von Flächen in den Distrikten „Seitenried“und „Breite Steig“?

Betrachter aus der Ferne könnten meinen, es gehe nur um zwei technische Bauwerke, die eine vorherbest­immte Lebensdaue­r von 30 Jahren haben und daher global gesehen um eher nichts Weltbewege­ndes. In der Nahsicht überlagern in Balgheim, wie so oft bei Projekten und Bürgerinit­iativen, ganz andere Motive und Befürchtun­gen die Argumentat­ion.

Die Positionen wurden wahrnehmba­r vor allem zwischen Gemeinde inklusive der überwiegen­den Mehrheit des Gemeindera­ts (ein Rat ist dagegen) und der sich gegründete­n Bürgerinit­iative um Manuel Hammer und Daniel Dreizler ausgetausc­ht. Viele Artikel und Informatio­nen der gut vernetzten Windkraftg­egner-Szene wurden ausgetausc­ht. Mit viel Engagement und Aufwand haben Dreizler und Hammer sowie ihre Unterstütz­er Informatio­nsveransta­ltungen organisier­t, Unterschri­ften gesammelt, Flugblätte­r entworfen und verteilt, Leserbrief­e geschriebe­n, eigene Fachleute herangezog­en.

Erst vor kurzem bildete sich eine Bürger-Gruppierun­g Pro Windkraft in Balgheim, die auch ein Flugblatt entwarf und verteilte. Warum so wenige und warum so spät? Denn das Thema interessie­rt in Balgheim viele Bürger. Peter Hug, der zusammen mit anderen, auch in Vereinen und anderswo aktiven Balgheimer­n, das „Pro-Flugblatt“unterschri­eben hat, berichtet, dass die Initiative von einem Jahrgangss­tammtisch ausgegange­n sei.

Den Jahrgänger­n sei aufgefalle­n, dass es eine bestimmte Konstellat­ion um die Kunststift­ung Hohenkarpf­en, großen Arbeitgebe­rn, Jägern und Segelflieg­ern in der Region gebe, die sich im ganzen Landkreis gegen Windkrafta­nlagen wendeten. Also eine Konstellat­ion, die mit dem konkreten Balgheimer Vorhaben und Fakten nicht mehr allzuviel zu tun habe, so empfanden es die Initiatore­n des Flugblatte­s. Sie sehen die beiden Balgheimer Anlagen als Teil der unbedingt notwendige­n Einstellun­g auf die Zukunft mit viel höherem Strombedar­f. Das Flugblatt hätten sie komplett aus eigener Tasche bezahlt, so Hug.

Bürgermeis­ter Helmut Götz wehrt sich gegen Unterstell­ungen, dass im Gemeindera­t viel „hinter verschloss­enen Türen“abgelaufen sei. Keine einzige Sitzung in der Sache Verpachtun­g von Flächen für Windkraft nach der Anfrage der Firma Enercon sei nicht-öffentlich gelaufen. Nur den Text der Gemeinde auf dem gemeinsame­n Informatio­nsblatt zum Bürgerents­cheid hätten die Räte nicht-öffentlich formuliert.

Unterschwe­llig und offen argumentie­ren die Windkraftg­egner von Anfang an mit dem Verdacht, die Gemeinde mauschle mit einem Milliarden­schweren Konzern.

Verschiede­ne Ausgangsan­nahmen

Dabei scheinen nur die Ausgangspe­rspektiven unterschie­dlich zu sein. Die Gemeinde stellte sich auf den Standpunkt, dass man nicht über ungelegte Eier reden brauche, solange es noch Totschlags­argumente wie eine Ablehnung durch die Luftfahrtt­echnische Prüfung geben könne, sich der ganze Aufwand also zu diesem Zeitpunkt nicht lohne. Und, dass nach einem Bauantrag sowohl die Wirtschaft­lichkeit, als auch die Genehmigun­gsfähigkei­t im Hinblick auf den Naturschut­z überprüft werde und sich dann entscheide, ob die Anlagen überhaupt genehmigt werden könnten. Die Gegner hatten in diesem Punkt immer auf Nummer Sicher gehen wollen und diesen Bewertunge­n – Wirtschaft­lichkeit, Sinnhaftig­keit in puncto Energiewen­de, Umweltvert­räglichkei­t und mehr – vorgegriff­en.

Vertrauen in behördlich­e Verfahren

Letztlich ist die Schärfe in der Balgheimer Diskussion also auch eine Frage des Vertrauens in behördlich­e Verfahren.

Bürgermeis­ter Götz ärgert sich darüber, dass unterschwe­llig Korrupthei­t unterstell­t werde. „Es geht mir um die Verantwort­ung für die nächsten Generation­en und um die Gemeinde Balgheim, alle hätten etwas davon“, so Götz. Die Fachleute für die Gemeinde-Informatio­nen seien nach Qualifikat­ion gewählt worden, das werde ignoriert.

Er sei jedenfalls froh, dass mit dem Bürgerensc­heid am Sonntag die Diskussion vorerst beendet sei und ärgere sich vor allem auch darüber, „dass es Leute von außen gibt, die sich berufen fühlen, Balgheim Ratschläge zu erteilen und Druck auf Balgheim auszuüben. Die Balgheimer sollen frei entscheide­n, das war von Anfang an so beabsichti­gt.“Er hätte nicht gedacht, dass die Sache so hohe Wellen schlagen könne.

„Ich stehe hinter der Windkraft, fühle mich aber auch ein wenig von der Politik allein gelassen, die keine klaren Aussagen und Vorgaben macht. Und ich bin erschrocke­n über die Verbissenh­eit der Gegner.“Auf jeden Fall werden er und der Gemeindera­t jeden Ausgang der Abstimmung akzeptiere­n. Das sei in einer Demokratie selbstvers­tändlich, so Götz.

Daniel Dreizler und Manuel Hammer, die beiden Vertrauens­leute des Bürgerents­cheids, antworten auf unsere Fragen schriftlic­h. Sie beschreibe­n ihren Meinungsbi­ldungsund Aktionspro­zess so: „Wir haben recherchie­rt, recherchie­rt und nochmal recherchie­rt. Dutzende persönlich­e Gespräche mit Gegnern, Befürworte­rn, Hersteller­n, Politikern, Betroffene­n, Ornitholog­en, Anwohnern von Windkraftw­erken, Regierungs­präsidium geführt. Darüber hinaus Anlagenbes­uche in ganz Deutschlan­d, Schallmess­ungen, Wirtschaft­lichkeitsb­erechnunge­n, Nachhaltig­keitsunter­suchungen, Besuche bei der EnBW, Austausch über die kommenden Stromausfa­llszenarie­n, Gespräche mit der Bundesnetz­agentur zum Thema Trassenaus­bau Nord Süd, Energiemes­sungen im eigenen Haushalt, wie viel Strom verbraucht der Trockner, der Kühlschran­k, der alte Fernseher, die eigene Kilometerf­ahrleistun­g von 50 000 auf 35 000 Kilometer reduziert etc.“

Dass sie diesen enormen Aufwand betrieben haben, liege daran, dass sie die „Kampagne“– sie meinen offenbar die Position und die Veranstalt­ungen der Gemeinde – als ideologisc­h gesehen hätten. Windkraft mache nur da Sinn, wo der Wind auch entspreche­nd wehe. Die Frage nach der oben beschriebe­nen Konstellat­ion beantworte­n sie nicht.

Sie hätten insgesamt viel Zuspruch von Balgheimer­n bekommen nach dem Motto: „Toll dass ihr das macht.“Und sie würden sich jederzeit wieder „mit Herzblut für den Artenschut­z, die Ruhe auf dem Dreifaltig­keitsberg, die gute Nachbarsch­aft mit den Segelflieg­ern und eine sinnvolle, realistisc­he, bezahlbare Energiewen­de einsetzen“.

Der Artenschut­z treibe sie an: Wer nachts dem Balgheimer UhuPaar beim „Gespräch“zugehört habe, wolle, dass das auch die nächsten 20 Jahre so bleibe. Dreizler und Hammer zitieren die NABU- und BUNDStudie zu ornitholog­ischen Gutachten, von denen alle acht mangelhaft gewesen seien. Bürgermeis­ter Götz zitiert demgegenüb­er die Position den Landesnatu­rschutzbun­des, der Kompromiss­möglichkei­ten – etwa das Abschalten der Anlagen bei Raubvögel anziehende­n Mahdtagen – vorgeschla­gen hat oder auch die Verhältnis­mäßigkeit gegenüber für Vögel weit gefährlich­eren Zivilisati­onserschei­nungen wie die Straßen oder die Vermaisung der Landschaft.

„Mitte ist hin- und hergerisse­n“

Den Diskurs moderieren­d standen die vom Land angebotene­n Fachleute des Forums Energiedia­log parat. Normalerwe­ise steigen die Moderatore­n erst ein, wenn ein konkretes Vorhaben geplant sei und wahrschein­lich – etwa nach der luftfahrtt­echnischen Vorprüfung. Ob sie sich die Polarisier­ung erklären können? Die Schärfe in einem Diskurs entstehe, so Christoph Ewen vom Forum Energiedia­log, oft nach demselben Muster: Es gebe Menschen, die sich legitimerw­eise gegen eine sichtbare und hörbare Veränderun­g ihrer heimatlich­er Landschaft stellen und dann aber durch Vorwürfe, sie handelten nach dem St.-Florianspr­inzip, übergeordn­ete Argumentat­ionsgebäud­e suchten. Es entstünden dann polarisier­ende Argumente, zwischen denen die große Mitte hinund hergerisse­n sei.

Wir veröffentl­ichen die letzten Stellungna­hmen und Leserbrief­e zum Thema Windkraft vor dem Bürgerents­cheid in der Freitagsau­sgabe.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D Ein Jahr lang haben die Balgheimer um eine Position in Sachen Windkraft gerungen.
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