Bürger inmitten polarisierender Debatte
Windkraft in Balgheim – Bürgerentscheid beendet monatelange Auseinandersetzung
BALGHEIM - Nach über einem Jahr Debatten und polarisierenden Auseinandersetzungen werden die Balgheimer eine Entscheidung fällen dazu, ob sie auf ihrer Gemarkung Flächen für zwei Windkraftanlagen verpachtet sehen wollen oder nicht.
Die Fragestellung des Bürgerentscheids ist ein wenig verwirrend, denn „Nein“bedeutet „Ja“zur Verpachtung und „Ja“bedeutet „Nein“zur Verpachtung, denn die Frage ist negativ gestellt: „Sind Sie gegen eine Verpachtung von Flächen in den Distrikten „Seitenried“und „Breite Steig“?
Betrachter aus der Ferne könnten meinen, es gehe nur um zwei technische Bauwerke, die eine vorherbestimmte Lebensdauer von 30 Jahren haben und daher global gesehen um eher nichts Weltbewegendes. In der Nahsicht überlagern in Balgheim, wie so oft bei Projekten und Bürgerinitiativen, ganz andere Motive und Befürchtungen die Argumentation.
Die Positionen wurden wahrnehmbar vor allem zwischen Gemeinde inklusive der überwiegenden Mehrheit des Gemeinderats (ein Rat ist dagegen) und der sich gegründeten Bürgerinitiative um Manuel Hammer und Daniel Dreizler ausgetauscht. Viele Artikel und Informationen der gut vernetzten Windkraftgegner-Szene wurden ausgetauscht. Mit viel Engagement und Aufwand haben Dreizler und Hammer sowie ihre Unterstützer Informationsveranstaltungen organisiert, Unterschriften gesammelt, Flugblätter entworfen und verteilt, Leserbriefe geschrieben, eigene Fachleute herangezogen.
Erst vor kurzem bildete sich eine Bürger-Gruppierung Pro Windkraft in Balgheim, die auch ein Flugblatt entwarf und verteilte. Warum so wenige und warum so spät? Denn das Thema interessiert in Balgheim viele Bürger. Peter Hug, der zusammen mit anderen, auch in Vereinen und anderswo aktiven Balgheimern, das „Pro-Flugblatt“unterschrieben hat, berichtet, dass die Initiative von einem Jahrgangsstammtisch ausgegangen sei.
Den Jahrgängern sei aufgefallen, dass es eine bestimmte Konstellation um die Kunststiftung Hohenkarpfen, großen Arbeitgebern, Jägern und Segelfliegern in der Region gebe, die sich im ganzen Landkreis gegen Windkraftanlagen wendeten. Also eine Konstellation, die mit dem konkreten Balgheimer Vorhaben und Fakten nicht mehr allzuviel zu tun habe, so empfanden es die Initiatoren des Flugblattes. Sie sehen die beiden Balgheimer Anlagen als Teil der unbedingt notwendigen Einstellung auf die Zukunft mit viel höherem Strombedarf. Das Flugblatt hätten sie komplett aus eigener Tasche bezahlt, so Hug.
Bürgermeister Helmut Götz wehrt sich gegen Unterstellungen, dass im Gemeinderat viel „hinter verschlossenen Türen“abgelaufen sei. Keine einzige Sitzung in der Sache Verpachtung von Flächen für Windkraft nach der Anfrage der Firma Enercon sei nicht-öffentlich gelaufen. Nur den Text der Gemeinde auf dem gemeinsamen Informationsblatt zum Bürgerentscheid hätten die Räte nicht-öffentlich formuliert.
Unterschwellig und offen argumentieren die Windkraftgegner von Anfang an mit dem Verdacht, die Gemeinde mauschle mit einem Milliardenschweren Konzern.
Verschiedene Ausgangsannahmen
Dabei scheinen nur die Ausgangsperspektiven unterschiedlich zu sein. Die Gemeinde stellte sich auf den Standpunkt, dass man nicht über ungelegte Eier reden brauche, solange es noch Totschlagsargumente wie eine Ablehnung durch die Luftfahrttechnische Prüfung geben könne, sich der ganze Aufwand also zu diesem Zeitpunkt nicht lohne. Und, dass nach einem Bauantrag sowohl die Wirtschaftlichkeit, als auch die Genehmigungsfähigkeit im Hinblick auf den Naturschutz überprüft werde und sich dann entscheide, ob die Anlagen überhaupt genehmigt werden könnten. Die Gegner hatten in diesem Punkt immer auf Nummer Sicher gehen wollen und diesen Bewertungen – Wirtschaftlichkeit, Sinnhaftigkeit in puncto Energiewende, Umweltverträglichkeit und mehr – vorgegriffen.
Vertrauen in behördliche Verfahren
Letztlich ist die Schärfe in der Balgheimer Diskussion also auch eine Frage des Vertrauens in behördliche Verfahren.
Bürgermeister Götz ärgert sich darüber, dass unterschwellig Korruptheit unterstellt werde. „Es geht mir um die Verantwortung für die nächsten Generationen und um die Gemeinde Balgheim, alle hätten etwas davon“, so Götz. Die Fachleute für die Gemeinde-Informationen seien nach Qualifikation gewählt worden, das werde ignoriert.
Er sei jedenfalls froh, dass mit dem Bürgerenscheid am Sonntag die Diskussion vorerst beendet sei und ärgere sich vor allem auch darüber, „dass es Leute von außen gibt, die sich berufen fühlen, Balgheim Ratschläge zu erteilen und Druck auf Balgheim auszuüben. Die Balgheimer sollen frei entscheiden, das war von Anfang an so beabsichtigt.“Er hätte nicht gedacht, dass die Sache so hohe Wellen schlagen könne.
„Ich stehe hinter der Windkraft, fühle mich aber auch ein wenig von der Politik allein gelassen, die keine klaren Aussagen und Vorgaben macht. Und ich bin erschrocken über die Verbissenheit der Gegner.“Auf jeden Fall werden er und der Gemeinderat jeden Ausgang der Abstimmung akzeptieren. Das sei in einer Demokratie selbstverständlich, so Götz.
Daniel Dreizler und Manuel Hammer, die beiden Vertrauensleute des Bürgerentscheids, antworten auf unsere Fragen schriftlich. Sie beschreiben ihren Meinungsbildungsund Aktionsprozess so: „Wir haben recherchiert, recherchiert und nochmal recherchiert. Dutzende persönliche Gespräche mit Gegnern, Befürwortern, Herstellern, Politikern, Betroffenen, Ornithologen, Anwohnern von Windkraftwerken, Regierungspräsidium geführt. Darüber hinaus Anlagenbesuche in ganz Deutschland, Schallmessungen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Nachhaltigkeitsuntersuchungen, Besuche bei der EnBW, Austausch über die kommenden Stromausfallszenarien, Gespräche mit der Bundesnetzagentur zum Thema Trassenausbau Nord Süd, Energiemessungen im eigenen Haushalt, wie viel Strom verbraucht der Trockner, der Kühlschrank, der alte Fernseher, die eigene Kilometerfahrleistung von 50 000 auf 35 000 Kilometer reduziert etc.“
Dass sie diesen enormen Aufwand betrieben haben, liege daran, dass sie die „Kampagne“– sie meinen offenbar die Position und die Veranstaltungen der Gemeinde – als ideologisch gesehen hätten. Windkraft mache nur da Sinn, wo der Wind auch entsprechend wehe. Die Frage nach der oben beschriebenen Konstellation beantworten sie nicht.
Sie hätten insgesamt viel Zuspruch von Balgheimern bekommen nach dem Motto: „Toll dass ihr das macht.“Und sie würden sich jederzeit wieder „mit Herzblut für den Artenschutz, die Ruhe auf dem Dreifaltigkeitsberg, die gute Nachbarschaft mit den Segelfliegern und eine sinnvolle, realistische, bezahlbare Energiewende einsetzen“.
Der Artenschutz treibe sie an: Wer nachts dem Balgheimer UhuPaar beim „Gespräch“zugehört habe, wolle, dass das auch die nächsten 20 Jahre so bleibe. Dreizler und Hammer zitieren die NABU- und BUNDStudie zu ornithologischen Gutachten, von denen alle acht mangelhaft gewesen seien. Bürgermeister Götz zitiert demgegenüber die Position den Landesnaturschutzbundes, der Kompromissmöglichkeiten – etwa das Abschalten der Anlagen bei Raubvögel anziehenden Mahdtagen – vorgeschlagen hat oder auch die Verhältnismäßigkeit gegenüber für Vögel weit gefährlicheren Zivilisationserscheinungen wie die Straßen oder die Vermaisung der Landschaft.
„Mitte ist hin- und hergerissen“
Den Diskurs moderierend standen die vom Land angebotenen Fachleute des Forums Energiedialog parat. Normalerweise steigen die Moderatoren erst ein, wenn ein konkretes Vorhaben geplant sei und wahrscheinlich – etwa nach der luftfahrttechnischen Vorprüfung. Ob sie sich die Polarisierung erklären können? Die Schärfe in einem Diskurs entstehe, so Christoph Ewen vom Forum Energiedialog, oft nach demselben Muster: Es gebe Menschen, die sich legitimerweise gegen eine sichtbare und hörbare Veränderung ihrer heimatlicher Landschaft stellen und dann aber durch Vorwürfe, sie handelten nach dem St.-Floriansprinzip, übergeordnete Argumentationsgebäude suchten. Es entstünden dann polarisierende Argumente, zwischen denen die große Mitte hinund hergerissen sei.
Wir veröffentlichen die letzten Stellungnahmen und Leserbriefe zum Thema Windkraft vor dem Bürgerentscheid in der Freitagsausgabe.