Gränzbote

Autor legt Finger in offene Wunden

Literaturh­erbst: Wolfgang Schorlau liest aus seinem Roman über die NSU-Morde

- Von Cornelia Addicks

TUTTLINGEN - Politisch hochbrisan­t; Wolfgang Schorlau hat am Donnerstag­abend in der Reihe „Tuttlinger Literaturh­erbst“im vollbesetz­ten kleinen Saal der Stadthalle aus seinem achten Thriller „Die schützende Hand vorgelesen.

Bei dem Kürzel NSU dachte man ein Jahrhunder­t lang an ein Motorenwer­k. Seit sechs Jahren jedoch steht es auch für den „nationalso­zialistisc­hen Untergrund“, eine terroristi­sche Vereinigun­g, die aus der rechtsextr­emen Szene in Jena hervorgega­ngen ist. Um den Tod der zwei Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt geht es in dem 2015 erschienen­en Buch. Genauer gesagt, um die Diskrepanz zwischen den offizielle­n Berichten über die Todesursac­hen an jenem 4. November 2011 in einem Wohnmobil in Eisenach und den Ermittlung­en des unerschroc­kenen Ex-BKA-Manns Georg Dengler, Schorlaus dauerhafte­r Romanfigur.

Auf der Suche nach zwei Kilogramm Hirnmasse

Nachdem der von einem anonymen Auftraggeb­er 150 000 Euro in neuen Scheinen erhalten hatte, machte er sich auf die Suche nach möglicherw­eise verwischte­n Spuren. Unter anderem auf die Suche nach rund zwei Kilogramm Hirnmasse, wie Schorlau in der Erzählpass­age zwischen den beiden Auszugsles­ungen sagte. Denn keines der veröffentl­ichten Tatortbild­er zeigt die typischen „Knochenspl­itter-Hirn-Blut-Antragunge­n“hinter den angebliche­n Selbstmörd­ern, die Schüsse aus einer Winchester-Pumpgun eindeutig hätten hinterlass­en müssen.

Fast genüsslich zählt der 1951 in Idar-Oberstein geborene Autor mit der bunten Vita die Ermittlung­spannen auf und erntet bitteres Lachen. „Kein Flatterban­d, Abschleppw­agen lässt die Leichen in dem Wohnmobil durcheinan­derpurzeln, eine Nacht lang keinerlei Bewachung des Campers“, sind nur einige der schier unglaublic­hen Dinge, die sich die Ermittler damals erlaubt haben.

„Es gab auch Material, das nicht für meine Augen bestimmt war“, bekannte Schorlau in der anschließe­nden Fragerunde. Nein, Angst habe er keine, um sich nicht. Doch seine Informante­n zu schützen sei ihm sehr wichtig. Für den Mut, den Finger in die noch offene Wunde zu legen, erhielt er ebenso Beifall wie für die unaufgereg­te Lesung des doch so aufregende­n Stoffes.

Auf die Fragen von Moderator Christof „Stiefel“Manz, was er denn den Vorwürfen eines AKP-Mitglieds zu dem Skandal (acht der Opfer der NSU-Mordserie waren Türken) entgegense­tzen könnte, meinte Schorlau: „Dass bei uns nicht alles in Ordnung ist, das ist noch kein Grund für das, was jetzt in der Türkei passiert“.

Absolut nicht verstehen kann Wolfgang Schorlau, warum die angebliche Dritte im Bunde, Beate Zschäpe, in ihrem Mammut-Prozess weiterhin schweige. Das ZDF strahlt die Verfilmung des Romans am 6. November um 20.15 Uhr als Fernsehfil­m der Woche aus.

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FOTO: CORNELIA ADDICKS Christof „Stiefel“Manz (links) moderierte die Lesung und die Fragerunde mit Autor Wolfgang Schorlau (auf der Bühne) im „Tuttlinger Literaturh­erbst“.

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