Der große Rumms
Weinstein-Affäre: Zehntausende geben sich als Opfer sexueller Belästigung zu erkennen
Albert Einstein hat es schon immer gewusst: Erneut haben Detektoren die von dem Physiker vorhergesagten Gravitationswellen empfangen. Sie stammen vom Crash zweier kollidierender Neutronensterne (Foto: dpa). Das Ereignis könnte eine neue Ära der Astronomie einleiten.
WASHINGTON (dpa/AFP/sz) - Das Problem lässt sich nicht auf Hollywood und Harvey Weinstein begrenzen. Es reicht viel tiefer, ist eine Art globaler Seuche und offenbart ein gestörtes Verhältnis vieler Männer zu Frauen. Angesichts des Skandals um den Filmmogul melden sich immer mehr Opfer sexueller Belästigungen zu Wort. Beim Kurzbotschaftendienst Twitter gaben sich nach entsprechenden Aufrufen Zehntausende Frauen als Opfer von Übergriffen zu erkennen. Ausgelöst wurde die Flut von Kommentaren durch Schauspielerin Alyssa Milano.
Milano ist vor allem durch die Fernsehserien „Wer ist hier der Boss?“und „Charmed – Zauberhafte Hexen“bekannt. In einem Tweet forderte die 44-Jährige alle Frauen auf, die Opfer sexueller Übergriffe wurden, sich mit dem Hashtag #MeToo („Ich auch“) zu Wort zu melden.
„Wenn alle Frauen, die sexuell belästigt oder genötigt wurden, „Me too“als Status schreiben, könnten wir den Menschen das Ausmaß des Problems bewusst machen“, schrieb die 44-Jährige. Milano hatte in „Charmed“an Seite von Schauspielerin Rose McGowan vor der Kamera gestanden, die Weinstein gemeinsam mit anderen Frauen sexuellen Missbrauch vorwirft. Am Montag wurden US-Medien zufolge bereits mehr als 200 000 Tweets mit dem Hashtag #MeToo veröffentlicht. Auch männliche Stimmen meldeten sich zu Wort, darunter der schwule Broadway-Schauspieler Javier Muñoz.
Ähnliche Aktion aus Frankreich
Parallel startete die französische Journalistin Sandra Muller einen ähnlichen Aufruf: Unter dem Schlagwort #balancetonporc (etwa: entlarve das Schwein) berichteten Frauen über Erfahrungen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz oder auf der Straße – ebenfalls mit großer Resonanz.
Das Filmstudio The Weinstein Company (TWC) wird nach dem Skandal nun möglicherweise von einem Investor geschluckt. Die Firma gab eine vorläufige Einigung mit der Beteiligungsgesellschaft Colony Capital bekannt, die eine sofortige Finanzspritze und Gespräche über eine Übernahme aller oder wesentlicher Teile des Geschäfts vorsieht. Zu den finanziellen Bedingungen gab es zunächst keine Angaben.
„Wir werden dem Unternehmen helfen, zu seiner rechtmäßigen Stellung als Ikone der unabhängigen Film- und Fernsehindustrie zurückzukehren“, erklärte Colony-CapitalChef Thomas Barrack. Die neuen Investitionen würden helfen, die „laufenden Geschäfte zu stabilisieren“, sagte Tarak Ben Ammar, Mitglied des auf vier Mitglieder geschrumpften TWC-Vorstands.
Weinsteins Firma, die er zusammen mit seinem Bruder Bob gründete, hatte den berühmten HollywoodProduzenten entlassen. Mehrere Projekte wurden abgesagt, etwa eine Serie des Streaming-Anbieters Amazon mit Robert De Niro und Julianne Moore. Laut „Los Angeles Times“waren für zwei Staffeln 160 Millionen Dollar (135 Mio Euro) Budget vorgesehen. Auch Apple und Disney sagten Projekte ab.
Unterdessen distanzierten sich weitere Prominente von Weinstein. „Er ist ein Monster“, sagte etwa Regisseur J. J. Abrams („Star Wars: Das Erwachen der Macht“) dem US-Magazin „The Hollywood Reporter“. Regisseur Woody Allen („Der Stadtneurotiker“) machte mit Bemerkungen auf sich aufmerksam, in denen er Mitleid mit Filmproduzent Harvey Weinstein auszudrücken schien. Die Vorwürfe seien „tragisch für die armen Frauen, die betroffen waren“, aber auch „traurig für Harvey, dass sein Leben so verkorkst ist“. Allen warnte vor einer „Hexenjagd“gegen „jeden Kerl, der in einem Büro einer Frau zuzwinkert“und der in solch einer Atmosphäre plötzlich seinen Anwalt rufen müsse.
„Ein trauriger, kranker Mann“
Später stellte Allen klar, dass er Weinstein für einen „traurigen, kranken Mann“halte und das mit seinem Kommentar auch habe ausdrücken wollen. Allen selbst wird seit den 90er-Jahren von seiner eigenen Tochter sexueller Missbrauch vorgeworfen. Laut BBC half Weinstein Allen, seine Karriere nach dem Bekanntwerden wieder aufzubauen. Allen erklärte, von den Vorwürfen gegen Weinstein nichts gewusst zu haben.
Zudem erhob sich eine weitere prominente Stimme, um das Unwesen in der Filmbranche anzuprangern: Die isländische Sängerin Björk warf einem nicht namentlich genannten Regisseur vor, sie sexuell belästigt zu haben. „Nachdem ich den Regisseur wiederholt zurückgewiesen habe, war er beleidigt und bestrafte mich“, schrieb die 51-Jährige am Sonntag auf Facebook. Ihr sei bewusst geworden, wie verbreitet es sei, „dass ein Regisseur seine Schauspielerinnen anfassen und belästigen kann, so viel er will“– die Filmbranche billige derartiges Verhalten.