Stürmische Klangwellen
Münchner Kammerorchester und Ensemble Amarcord gastieren in Ravensburg
RAVENSBURG - Mit großer Romantik, einem hervorragenden Solistenensemble und der „Vorpremiere“einer Uraufführung von Jörg Widmann eröffnete das Münchener Kammerorchester (MKO) unter seinem jungen Chefdirigenten Clemens Schuldt die Reihe der Konzerte im Konzerthaus.
Die Konzert-Ouvertüre „Die Hebriden“von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Schuberts große C-DurSymphonie bildeten den Rahmen: Natureindrücke von einer Schottlandreise, die in großen Klangwellen von Sturm, friedlicher Szenerie und romantischer Sehnsucht erzählen, hatte der junge Komponist von seiner ersten Auslandsreise mitgenommen. Clemens Schuldt, seit einem Jahr Chefdirigent des MKO, zeichnete ein poetisches Stimmungsbild mit schönen Bläsersoli und machte mit straffen Steigerungen und Fanfarenklängen den Sturm erfahrbar.
Wenige Jahre nach dieser Reise brachte Mendelssohn auf Anregung von Robert Schumann die große C-Dur-Symphonie D 844 von Schubert zur Uraufführung. Zehn Jahre hatte sie in einer Schublade bei Schuberts Bruder Ferdinand gelegen, wegen ihrer Länge und der Anforderungen vor allem für die Bläser war sie von den Wiener Musikern als unspielbar befunden worden.
Schwierig, lang und großartig ist sie noch immer, doch heute ist die C-Dur-Symphonie ein Hauptwerk der symphonischen Literatur. Im leidenschaftlichen Spiel der Münchener konnte man sie in ihren „himmlischen Längen“(so der schwärmerische Ausdruck von Schumann) erleben. Vom heiklen Hornsolo in der Einleitung, das den Raum öffnet, über die kantabel ausgebreiteten Linien und feinen Mittelstimmen hin zum pulsierenden Dialog von Streichern und Bläsern im Allegro spannte Schuldt den Bogen. Im zweiten Satz, der so heiter schlendernd von der Oboe angeführt wird, entwickelten sich immer wieder jene Spannungsakkorde und Steigerungen, die Schuberts Symphonie zu den außergewöhnlichsten Werken ihrer Zeit gemacht haben. Mit hoher Energie und feinem Gespür für die Wellen der Dynamik und der Kontraste, für das Aufeinandertreffen von Licht und Dramatik bis hin zu den dunklen Anspielungen auf Mozarts „Don Giovanni“im Finale gestalteten Schuldt und das MKO diese brausende Symphonie am Ende eines langen Abends.
Virtuose Ex-Thomaner
Aus Leipzig, dem Ort der Uraufführung von Schuberts Symphonie, kommen auch die fünf Sänger von Amarcord, die gemeinsam mit dem MKO den Kompositionsauftrag an Jörg Widmann vergeben haben. Alle haben sie ihre prägende Gesangsschulung beim Thomanerchor erfahren. So kommt es, dass der Jüngste, der zweite Tenor Robert Pohlers, sich so selbstverständlich in das Gefüge der älteren Kollegen einfindet.
In drei Madrigalen von Carlo Gesualdo da Venosa, in denen Schmerz und Verzweiflung über verlorene Liebe so unvergleichlich zum Ausdruck gebracht werden, erlebte man die Souveränität des Vokalensembles: Auch in den abenteuerlichsten harmonischen Rückungen in der Musik des Renaissancefürsten bewahren die Sänger ihre reine Intonation, spüren sie den Worten und Klängen nach. Jörg Widmann weiß, was die fünf Ex-Thomaner können, wie sie mit Sprache, Mimik, Deklamation umgehen, wie groß die Spanne vom hohen Falsett in die tiefsten Bass-Abgründe ist. Vielseitig setzt er das in „Kinderreime und Nonsensverse“ein, etwa bei der Sprachakrobatik in den Wortspielen von Erich Kästner und Karl Valentin. Eigentlich würde der Vokalpart genügen. Das Orchester aber kommentiert, zitiert, illustriert, persifliert dazu, dass sich eine schenkelklopfende Bierzeltlustigkeit über den Wortwitz darüberstülpt. Das wirkte doch recht seltsam, kam aber beim Publikum gut an. Das Münchnener Kammerorchester und das Ensemble Amarcord eröffnen am Freitag um 20 Uhr im Kulturhaus Schloss Großlaupheim auch den Schwäbischen Klassikherbst.