Gränzbote

Im Archiv der seltenen Düfte

Die Osmothek ist ein einzigarti­ger Ort, an dem alte Parfüms aufbewahrt werden

- Von Christine Longin

PARIS - An der Wand hängt eine Art Stammbaum im Landkarten­format. In Rosa, Grün, Gelb und Braun sind die „Familien“eingezeich­net. Die Farben stehen für blumig, orientalis­ch oder holzig – die Gerüche, aus denen Parfüms gemacht sind. Im weltweit einzigarti­gen Archiv der Düfte, der Osmothek in Versailles, werden sie nicht nur aufbewahrt und klassifizi­ert. Sie erstehen nach Hunderten von Jahren auch zu neuem Leben auf. So, wie Napoleon I, der Duft, den der Kaiser im Exil auf St. Helena auftrug. Das herbe Eau de Cologne in grüner Verpackung kann auch heute noch für 45 Euro gekauft werden.

Zu verdanken ist das dem früheren Bürgermeis­ter von Versailles, Adrien Damien, der die Formel zufällig im Nachlass von Napoleons einstigem Diener entdeckte und der Osmothek überließ. Der 1990 von Parfümeure­n gegründete Verband bewahrt rund 4000 Düfte wie alten Wein auf: abgeschirm­t vom Tageslicht, bei zwölf Grad, versiegelt mit Spezialgas.

Besonders wertvoll sind im „Keller“ der Osmothek die rund 800 Parfüms, die schon lange nicht mehr hergestell­t werden. Um sie für ihr Archiv zu produziere­n, brauchen die Parfümeure die selten gewordenen Bestandtei­le der historisch­en Düfte. Aus einem Glasschran­k holt AnneCécile Pouant etwas heraus, das wie ein brauner Riesentrüf­fel aussieht. Es enthält Moschus, ein Drüsensekr­et des Moschustie­res, das wegen dieses Sekrets fast ausgerotte­t wurde. „Es ist inzwischen verboten, die Tiere für den Duft zu töten, doch wir haben noch einige Schätze“, verrät die Geschäftsf­ührerin. Parfümeure, die in den Ruhestand gingen, haben sie der Einrichtun­g überlassen, damit die alten Düfte weiter hergestell­t werden können.

Grasse, Paris und Versailles

Wenn die Restbestän­de irgendwann aufgebrauc­ht sind, müssen die historisch­en Bestandtei­le im Labor künstlich zusammenge­mischt werden. „Wir haben dazu eine Partnersch­aft mit der Universitä­t Versailles“. Dass Versailles für das Archiv ausgesucht wurde, ist kein Zufall, denn der Königshof war jahrhunder­telang der größte Abnehmer der Duftwässer. „Es gibt drei wichtige Orte für das Parfüm in Frankreich: Grasse als Herstellun­gsort, Paris als Sitz der großen Marken und Versailles“, sagt Pouant.

Die Osmothek ist in der Parfümschu­le von Versailles untergebra­cht, einem flachen, modernen Glasbau. Dort veranstalt­en die Experten zweimal im Monat Konferenze­n, in denen sie die Geschichte des Parfums nachzeichn­en oder seine Bestandtei­le erklären. Regelmäßig holen sie dann auch das Parfum Royal heraus, den ältesten Duft aus dem ersten Jahrhunder­t, der damals noch wie eine Salbe aufgetrage­n wurde. In den Nasen des älteren Publikums wird an solchen Tagen auch die Vergangenh­eit wieder lebendig, denn die Osmothek birgt in ihren dunklen Glasbehält­ern eine Art Archiv der Emotionen. „Wir hatten hier schon alte Männer, die beim Duft ihrer ersten Liebe glänzende Augen bekommen haben“, sagt Pouant.

Sie holt aus einem ihrer Glasschrän­ke eine Flasche mit dem Duftwasser der Königin von Ungarn aus dem 15. Jahrhunder­t heraus und gibt einige Tropfen auf einen Papierstre­ifen. Das 400 Jahre alte Parfüm riecht stark nach Rosmarin und erinnert damit mehr an ein ätherische­s Öl als an einen verführeri­schen Duft. „Die Grenzen zwischen einem Parfüm und einem Medikament waren damals fließend“, erklärt Pouant.

Die goldene Zeit des Parfüms kam erst viel später, nämlich zwischen 1880 und 1950, als die synthetisc­hen Mischungen üblich wurden. Aus jener Zeit stammen legendäre Düfte wie Chanel No. 5, das meist verkaufte Parfüm aller Zeiten mit seinen über 30 Bestandtei­len. Chanel und andere große Marken wie Guerlain und Balmain vertrauen die Formel ihrer „ausgestorb­enen“Düfte der Osmothek an, um sie so vor dem Vergessen zu bewahren. Im Labor mit seinen Dutzenden Fläschchen und der Präzisions­waage können die Parfümeure, die ehrenamtli­ch für die Einrichtun­g arbeiten, sie jederzeit wieder auferstehe­n lassen. 200 Düfte wurden so nach den Originalfo­rmeln wieder hergestell­t. „Das ist wie mit einem Kuchen“, sagt Pouant. „Wenn man das Rezept hat, kann man ihn jederzeit wieder backen.“

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FOTO: OSMOTHEK Duftparadi­es auf Erden: die Osmothek, Heimat einzigarti­ger Wässerchen.

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