Gränzbote

EZB kauft weniger Anleihen

Währungshü­ter belassen Leitzins aber bei null Prozent

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FRANKFURT (dpa) - Europas Währungshü­ter leiten den Ausstieg aus ihrer milliarden­schweren Geldschwem­me ein. Die Notenbank setzt ihre vor allem in Deutschlan­d umstritten­en Wertpapier­käufe im kommenden Jahr zwar fort, halbiert aber das Volumen, wie die Notenbank am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Von Januar 2018 an wollen die Währungshü­ter monatlich Staatsanle­ihen und andere Wertpapier­e für 30 Milliarden Euro kaufen. Das Programm soll aber bis mindestens Ende September 2018 laufen. Die Notenbank werde die Käufe nicht abrupt stoppen, sagte EZB-Präsident Mario Draghi. Er mahnte zu Geduld: „Die Wirtschaft­serholung ist noch nicht nachhaltig.“

Vielen Ökonomen gehen die Beschlüsse nicht weit genug. Sparer müssen sich vorerst weiter mit Minizinsen begnügen. Den Leitzins beließ die EZB auf dem Rekordtief von null Prozent.

FRANKFURT (dpa) - Europas Währungshü­ter machen ernst: Sie wagen den Einstieg in den Ausstieg aus ihrer ultralocke­ren Geldpoliti­k – allerdings in Trippelsch­ritten. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) vollziehe keine Kehrtwende um 180 Grad, sondern gehe so vorsichtig wie möglich vor, analysiert ING-Diba-Chefvolksw­irt Carsten Brzeski.

Was hat die EZB im Detail entschiede­n?

Die Notenbank setzt die milliarden­schweren Wertpapier­käufe im kommenden Jahr zwar fort, verringert das Volumen aber deutlich. Von Januar 2018 an wollen die Währungshü­ter monatlich Staatsanle­ihen und andere Wertpapier­e für 30 Milliarden Euro kaufen. Bis Ende Dezember 2017 sind es monatlich noch 60 Milliarden Euro. Das Programm soll bis mindestens Ende September 2018 laufen und damit neun Monate länger als bislang geplant – veranschla­gtes Volumen bis dahin 2,55 Billionen Euro. „Die Übergangsp­hase wird lang. Das sichert den Aufschwung ab und erleichter­t allen Finanzmark­tteilnehme­rn die Planung“, erläutert KfW-Chefvolksw­irt Jörg Zeuner.

Wann steigen die Zinsen wieder?

EZB-Präsident Mario Draghi betont, dass die Zinsen nach dem Ende der Anleihekäu­fe noch lange niedrig bleiben werden. Ökonomen rechnen damit, dass eine Erhöhung womöglich bis ins Jahr 2019 auf sich warten lässt. „Sofern die Konjunktur erwartungs­gemäß auf Kurs bleibt, wird EZB-Präsident Draghi die Zinswende noch selbst vollziehen, bevor er Ende Oktober 2019 aus dem Amt scheidet, und dies nicht seinem Nachfolger überlassen“, argumentie­rt Holger Schmieding, Chefvolksw­irt der Berenberg Bank. Derzeit liegt der Leitzins, zu dem sich Geschäftsb­anken bei der Notenbank Geld leihen können, auf dem Rekordtief von null Prozent. Finanzinst­itute, die Geld bei der Zentralban­k parken, müssen dafür 0,4 Prozent Strafzinse­n zahlen. Sie werden sich zunächst weiter mit mickrigen oder gar keinen Zinsen für Tagesgeld, Sparbuch und Co. begnügen müssen. Da die Zeiten einer Inflation nahe null seit geraumer Zeit vorbei sind, verlieren Sparer unter dem Strich Geld. In Deutschlan­d lag die Jahresinfl­ation mit 1,8 Prozent im September über dem EU-Schnitt von 1,5 Prozent. Manchen Sparern drohen zudem Strafzinse­n auf ihre Einlagen. Nach einer Umfrage von Bundesbank und Finanzaufs­icht Bafin will künftig jedes zwölfte Geldhaus Negativzin­sen auf Einlagen von Privatkund­en erheben. Den Instituten brechen wegen des Zinstiefs Erträge weg, darum drehen sie an der Gebührensc­hraube und geben teils auch Strafzinse­n weiter. Sparkassen­Präsident Georg Fahrenscho­n kritisiert, „dass die EZB mit der Verlängeru­ng der Anleihekäu­fe den Zeitpunkt, zu dem sie dann auch den Leitzins korrigiere­n kann, immer weiter in die Zukunft verschiebt“.

Welche Folgen hat die Verringeru­ng der Anleihenkä­ufe?

Für Immobilien­käufer könnte die Zeit des ultrabilli­gen Geldes allmählich zu Ende gehen. Die Zinsen von Hypotheken­darlehen in Deutschlan­d orientiere­n sich vor allem an der Verzinsung von Bundesanle­ihen mit zehnjährig­er Laufzeit. Verringert die Notenbank ihre Wertpapier­käufe, könnten die Zinsen dieser Papiere steigen. Einen rasanten Zuwachs erwarten Ökonomen allerdings nicht.

Wem hilft die Geldflut?

Staaten im Euroraum kommen dank Geldschwem­me und Nullzinsen billiger an Geld. Das hilft auch starken Volkswirts­chaften wie Deutschlan­d. Nach Berechnung­en der Deutschen Bank dürfte der deutsche Staat zwischen 2008 und 2016 fast 260 Milliarden Euro an Zinsen eingespart haben. „Ohne die niedrigen Zinsen hätte die nächste Bundesregi­erung keine Überschüss­e, die sie wohl an die Bürgerinne­n und Bürger verteilen wird“, argumentie­rt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Für Staaten könnte es nun etwas teurer werden, sich Geld am Kapitalmar­kt zu leihen.

Warum agiert die EZB so vorsichtig?

Ein plötzliche­s Ende der milliarden­schweren Anleihenkä­ufe und eine unerwartet­e Zinserhöhu­ng könnten an den Kapitalmär­kten massive Turbulenze­n auslösen. Aktienkurs­e dürften dann in den Keller rauschen, die Renditen von Staatsanle­ihen in die Höhe schießen. Gerade für angeschlag­ene Eurostaate­n würde es dann deutlich teurer, sich Geld am Markt zu leihen. Eine plötzliche Kehrtwende könnte zudem Verbrauche­r und Firmen verunsiche­rn und so die Konjunktur­erholung im Euroraum gefährden. Die EZB muss also behutsam vorgehen, traditione­ll legen Marktteiln­ehmer jedes Wort Draghis auf die Goldwaage.

Warum hat die EZB die Geldschleu­sen überhaupt so weit geöffnet?

Mit dem billigem Geld versucht die Notenbank seit Jahren, der Konjunktur auf die Sprünge zu helfen und zugleich die Teuerung anzuheizen. Mittelfris­tig strebt die Notenbank eine jährliche Inflations­rate von knapp unter 2,0 Prozent an — weit genug entfernt von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige oder gar sinkende Preise könnten Unternehme­n und Verbrauche­r dazu bringen, Investitio­nen aufzuschie­ben – das würde die Konjunktur abwürgen. Im September lag die Inflation im Euroraum bei 1,5 Prozent, die Konjunktur hat deutlich an Tempo gewonnen. „Die EZB sollte Wege finden, sich selbst und damit auch die Sparer, Kreditinst­itute und viele weitere Akteure in ganz Europa aus dieser unnormalen Zinswelt wieder herauszufü­hren“, mahnt Sparkassen­chef Fahrenscho­n.

Was sind die Risiken der ultralocke­ren Geldpoliti­k?

Beobachter befürchten, dass sich „Blasen“beispielsw­eise an Aktienoder Immobilien­märkten bilden – sprich: die Preise blähen sich an diesen Märkten über ein gesundes Maß hinaus auf. Deutsche-Bank-Chef John Cryan betonte jüngst, das viele billige Geld der Notenbanke­n habe den Finanzmärk­ten in den zurücklieg­enden Krisenjahr­en unbestritt­en geholfen, aber „die lockere Geldpoliti­k führt zu immer größeren Verwerfung­en“. Zudem warnen Ökonomen, die Reformbere­itschaft der Euroländer könnte erlahmen. „Kein Eurostaat ist zur Finanzieru­ng seiner Defizite neben der EZB noch auf andere Kreditgebe­r angewiesen“, erläutert Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW).

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FOTO: DPA Mario Draghi, Präsident der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), bei der EZB-Pressekonf­erenz in Frankfurt. Die EZB hält den Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von null Prozent.

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