Juristen üben scharfe Kritik an neuem Polizeigesetz
Experten halten Entwurf von CDU und Grünen zum Teil für verfassungswidrig – Abstimmung vertagt
STUTTGART - Geht es nach der Landesregierung, darf die Polizei im Land bald Handys hacken und ChatNachrichten mitlesen. Doch Juristen haben erhebliche Bedenken, ob diese Pläne verfassungsgemäß sind. Das sagten sie bei einer Anhörung vor Abgeordneten am Donnerstag.
Hochrangige Ermittler dagegen lobten den Entwurf. Aus ihrer Sicht garantiert er ihnen zeitgemäße technische Möglichkeiten, um Anschläge zu verhindern. Das Thema sorgt für Reibung zwischen den Koalitionspartnern von Grünen und CDU.
Nicht nur zur Terrorabwehr
Mit der Novelle des Polizeigesetzes will die Regierung die Bürger besser vor Terror schützen. Deshalb räumt sie den Ermittlern neue Rechte ein. Darunter ist unter anderem die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ). Damit darf die Polizei eine Software auf Handys einschleusen. Diese kann Kommunikation via Skype, WhatsApp oder andere Dienste überwachen. Ihr Einsatz soll ebenso erlaubt sein wie das Mithören von Telefonaten. Beide Techniken dürfen bald eingesetzt werden, bevor ein konkreter Tatverdacht vorliegt.
Die Kritik entzündet sich an den zahlreichen sehr offen gehaltenen Formulierungen im neuen Gesetz. Dadurch ist der Entwurf eben nicht nur zur Terrorabwehr gedacht. Vielmehr räumt er der Polizei auch dann neue Möglichkeiten ein, wenn es um andere Straftaten geht.
„Diese Befugnis geht über Terrorbekämpfung hinaus, in der derzeit gewählten Fassung wäre jede Art dringender Gefahr gemeint – wie etwa eine Ohrfeige“, monierte der Juradozent Nikolaos Gazeas. Das Gesetz sei punktuell nicht verfassungsgemäß.
Grüne und CDU hatten im Vorfeld stets betont, sich an einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Thema zu orientieren. Genau das sei aber nicht geschehen, so die Experten. „Der Entwurf knüpft nur vermeintlich daran an, weicht aber an wichtigen Stellen ab“, sagte Peter Kothe, Chef des Anwaltsverbandes.
Der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink erneuerte seine Kritik. Ein wesentlicher Punkt in seinen Augen: Um Staatstrojaner auf Handys zu schleusen, müssen Behörden Sicherheitslücken in Betriebssysteme der Geräte ausnutzen – statt sie im Interesse von Bürgern und Unternehmen zu schließen.
Ermittler setzen auf neue Technik
„Das unterläuft die Bemühungen des Landes um mehr Datensicherheit, etwa durch die Einrichtung einer landeseigenen Cyberwehr“, so Brink. Außerdem verfügten die Sicherheitsbehörden bereits über eine große Datenmenge. Doch diese würden nicht angemessen ausgewertet. Es sei sinnvoller, Geld für bessere Analysesoftware und Personal auszugeben, als mehr Daten abzugreifen.
Vertreter des Bundes- und des Landeskriminalamtes dagegen betonten, wie wichtig die neuen Instrumente seien. Besonders wichtig: Gerade die Befugnis, schon vor einem konkreten Tatverdacht Gefährder abhören zu dürfen, sei essenziell. Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) dürfen dies im Gegensatz zu den Kollegen in den Ländern bereits tun. „Dadurch wurden seit 2009 bereits zwei Anschläge verhindert“, sagte eine Beamtin des BKA. Pro Jahr gebe es mittlerweile über 400 Hinweise auf mögliche Attacken. Dabei kommunizierten Verdächtige zunehmend nicht mehr per Telefon, sondern via WhatsApp oder Skype. Dafür brauche es die Quellen-TKÜ.
Die Kritik der Juristen beunruhigt die Grünen. „Wir haben Gesprächsbedarf, auch Änderungen sind aus unserer Sicht nicht ausgeschlossen“, sagte Hans-Ulrich Sckerl, Innenexperte der Grünen. Diese hatten dem Entwurf erst nach langen Verhandlungen mit ihrem Koalitionspartner CDU zugestimmt. Die oppositionelle SPD und die FDP mahnten ebenfalls Anpassungen an. Martin Jäger (CDU), Staatssekretär im Innenministerium, sagte dazu: „Ich sehe keinen Änderungsbedarf.“Doch offensichtlich treten die Grünen auf die Bremse: Nun soll das Gesetz nicht wie geplant am 8., sondern am 15. November verabschiedet werden.