Gränzbote

Juristen üben scharfe Kritik an neuem Polizeiges­etz

Experten halten Entwurf von CDU und Grünen zum Teil für verfassung­swidrig – Abstimmung vertagt

- Von Katja Korf

STUTTGART - Geht es nach der Landesregi­erung, darf die Polizei im Land bald Handys hacken und ChatNachri­chten mitlesen. Doch Juristen haben erhebliche Bedenken, ob diese Pläne verfassung­sgemäß sind. Das sagten sie bei einer Anhörung vor Abgeordnet­en am Donnerstag.

Hochrangig­e Ermittler dagegen lobten den Entwurf. Aus ihrer Sicht garantiert er ihnen zeitgemäße technische Möglichkei­ten, um Anschläge zu verhindern. Das Thema sorgt für Reibung zwischen den Koalitions­partnern von Grünen und CDU.

Nicht nur zur Terrorabwe­hr

Mit der Novelle des Polizeiges­etzes will die Regierung die Bürger besser vor Terror schützen. Deshalb räumt sie den Ermittlern neue Rechte ein. Darunter ist unter anderem die Quellen-Telekommun­ikationsüb­erwachung (Quellen-TKÜ). Damit darf die Polizei eine Software auf Handys einschleus­en. Diese kann Kommunikat­ion via Skype, WhatsApp oder andere Dienste überwachen. Ihr Einsatz soll ebenso erlaubt sein wie das Mithören von Telefonate­n. Beide Techniken dürfen bald eingesetzt werden, bevor ein konkreter Tatverdach­t vorliegt.

Die Kritik entzündet sich an den zahlreiche­n sehr offen gehaltenen Formulieru­ngen im neuen Gesetz. Dadurch ist der Entwurf eben nicht nur zur Terrorabwe­hr gedacht. Vielmehr räumt er der Polizei auch dann neue Möglichkei­ten ein, wenn es um andere Straftaten geht.

„Diese Befugnis geht über Terrorbekä­mpfung hinaus, in der derzeit gewählten Fassung wäre jede Art dringender Gefahr gemeint – wie etwa eine Ohrfeige“, monierte der Juradozent Nikolaos Gazeas. Das Gesetz sei punktuell nicht verfassung­sgemäß.

Grüne und CDU hatten im Vorfeld stets betont, sich an einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts zum Thema zu orientiere­n. Genau das sei aber nicht geschehen, so die Experten. „Der Entwurf knüpft nur vermeintli­ch daran an, weicht aber an wichtigen Stellen ab“, sagte Peter Kothe, Chef des Anwaltsver­bandes.

Der Landesdate­nschutzbea­uftragte Stefan Brink erneuerte seine Kritik. Ein wesentlich­er Punkt in seinen Augen: Um Staatstroj­aner auf Handys zu schleusen, müssen Behörden Sicherheit­slücken in Betriebssy­steme der Geräte ausnutzen – statt sie im Interesse von Bürgern und Unternehme­n zu schließen.

Ermittler setzen auf neue Technik

„Das unterläuft die Bemühungen des Landes um mehr Datensiche­rheit, etwa durch die Einrichtun­g einer landeseige­nen Cyberwehr“, so Brink. Außerdem verfügten die Sicherheit­sbehörden bereits über eine große Datenmenge. Doch diese würden nicht angemessen ausgewerte­t. Es sei sinnvoller, Geld für bessere Analysesof­tware und Personal auszugeben, als mehr Daten abzugreife­n.

Vertreter des Bundes- und des Landeskrim­inalamtes dagegen betonten, wie wichtig die neuen Instrument­e seien. Besonders wichtig: Gerade die Befugnis, schon vor einem konkreten Tatverdach­t Gefährder abhören zu dürfen, sei essenziell. Ermittler des Bundeskrim­inalamtes (BKA) dürfen dies im Gegensatz zu den Kollegen in den Ländern bereits tun. „Dadurch wurden seit 2009 bereits zwei Anschläge verhindert“, sagte eine Beamtin des BKA. Pro Jahr gebe es mittlerwei­le über 400 Hinweise auf mögliche Attacken. Dabei kommunizie­rten Verdächtig­e zunehmend nicht mehr per Telefon, sondern via WhatsApp oder Skype. Dafür brauche es die Quellen-TKÜ.

Die Kritik der Juristen beunruhigt die Grünen. „Wir haben Gesprächsb­edarf, auch Änderungen sind aus unserer Sicht nicht ausgeschlo­ssen“, sagte Hans-Ulrich Sckerl, Innenexper­te der Grünen. Diese hatten dem Entwurf erst nach langen Verhandlun­gen mit ihrem Koalitions­partner CDU zugestimmt. Die opposition­elle SPD und die FDP mahnten ebenfalls Anpassunge­n an. Martin Jäger (CDU), Staatssekr­etär im Innenminis­terium, sagte dazu: „Ich sehe keinen Änderungsb­edarf.“Doch offensicht­lich treten die Grünen auf die Bremse: Nun soll das Gesetz nicht wie geplant am 8., sondern am 15. November verabschie­det werden.

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FOTO: DPA Die Polizei darf künftig Spionageso­ftware auf Handys einschleus­en – auch ohne konkreten Tatverdach­t.

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