Verunsicherung und Wut bei Siemens
Firmenführung verweigert laut Betriebsrat konkrete Aussagen zu Kürzungen
MÜNCHEN (dpa) - Mit seinen Plänen für neue Einschnitte in zwei Problemsparten riskiert Siemens-Chef Joe Kaeser die Konfrontation mit Arbeitnehmervertretern. Dass die Konzernführung auch bei Beratungen im Wirtschaftsausschuss am Donnerstag nicht gesagt hat, welche Werke und wie viele Arbeitsplätze von Kürzungen in der Kraftwerks- und der Antriebssparte betroffen sein werden, erzürnt Betriebsrat und IG Metall gleichermaßen.
„Wir haben Klartext gefordert, die Firmenseite hat aber konkrete Aussagen verweigert“, empört sich Siemens-Gesamtbetriebsratschefin Birgit Steinborn im Anschluss an die Sitzung. „Daher haben wir den Wirtschaftsausschuss abgebrochen.“In der Amtszeit Steinborns ist das bisher ein Novum, das zeigt, wie groß die Anspannung ist.
Klar ist bisher nur, dass wieder einmal Tausende Jobs bei Siemens wackeln – von 3000 bis 4000 Stellen wird bereits gemunkelt. Dabei hatte Kaeser in beiden Sparten bereits in den vergangenen Jahren kräftig den Rotstift angesetzt. Doch die Einsparungen reichten aus Unternehmenssicht nicht aus, deshalb dürfte das Management nun noch einmal kräftiger hinlangen, vor allem in der Kraftwerkssparte.
Wenn dabei tatsächlich auch ganze Standorte geschlossen würden, wie kürzlich das „Manager Magazin“berichtete, käme das einer Zäsur gleich, heißt es bei der IG Metall. Eigentlich sind Werksschließungen ebenso wie betriebsbedingte Kündigungen bei Siemens tabu, die Details regelt ein Standort- und Beschäftigungssicherungspakt. Den sehe man angesichts der Spekulationen infrage gestellt, heißt es bei der Gewerkschaft.
Sorgenkind Kraftwerkssparte
Dass weiterer Handlungsbedarf vor allem in der Kraftwerkssparte Power & Gas besteht, liegt indessen auf der Hand: Die Energiewende hat einen Boom für Anlagen zur Stromerzeugung aus Wind und Sonne mit sich gebracht – und zugleich die Nachfrage nach konventionellen Kraftwerken mit großen Gasturbinen in Deutschland und Europa in die Knie gehen lassen. Preisdruck und Überkapazitäten sind die Folge.
Hinzu kommt ein weiteres Sorgenkind: Der ebenfalls zur Sparte gehörende US-Kompressorenhersteller Dresser-Rand, den Kaeser überteuert für 7,8 Milliarden Dollar kaufte, kämpft noch immer mit der Ölpreisflaute und der Investitionsschwäche der Kunden. Um ganze 41 Prozent sackte der Auftragseingang von Power & Gas im dritten Quartal des laufenden Geschäftsjahres (30. September) unter den Vorjahreswert. Und auch in der Antriebssparte müssen sich die Beschäftigten auf weitere Stellenstreichungen gefasst machen.
Neu sind die Probleme in den beiden Sparten nicht – um sie darzustellen, hätte es keine außerordentliche Sitzung des Wirtschaftsausschusses gebraucht, heißt es bei Arbeitnehmervertretern. Von der Konzernführung fühle man sich deshalb auch ein wenig „verschaukelt“. Auch an den Standorten von Power & Gas – darunter Mülheim, Erfurt, Görlitz, Leipzig und Erlangen – wächst bereits der Unmut, erste Proteste hat es bereits gegeben. Weitere Aktionen hält sich die Gewerkschaft noch offen. Schon in der Vergangenheit hatte die IG Metall mit bundesweiten Aktionstagen auf Kürzungspläne der Siemens-Führung reagiert.
Dass es zu weiteren Einschnitten kommen würde, darauf hatte Kaeser die Beschäftigten und die Öffentlichkeit bereits zur Quartalsbilanz Anfang August eingestimmt. Doch jetzt wollen die Siemensianer Klarheit – aber wann die kommt, ist bisher nicht absehbar. Die nächste Gelegenheit dafür wäre die Bilanzpressekonferenz von Siemens am Donnerstag, 9. November.
Vom Unternehmen ist aber vorerst nicht zu erfahren, ob dann Einzelheiten genannt werden. „Das ist unprofessionell und wird der Tragweite der Problematik nicht gerecht“, sagt ein IG-Metall-Sprecher. Und auch Steinborn hat dafür kein Verständnis. „Damit bleibt eine massive Verunsicherung bei den Mitarbeitern“, sagt die Siemens-Gesamtbetriebsratschefin.