Gränzbote

Heiliges Wasser, imposante Gipfel

Eine Wanderung in den Drakensber­gen, dem Dach Südafrikas, steckt voller Überraschu­ngen

- Von Oliver Gerhard

Guide Jacob Mofokeng ist tief in ein Erste-Hilfe-Buch vertieft, als seine Wandergrup­pe ihn am Eingang zum Royal-Natal-Nationalpa­rk trifft. In dem kleinen Wachhaus am Rande des Schutzgebi­ets feuern zwei Bulleröfen gegen die Morgenkält­e an. Kein Wölkchen verhüllt den markanten Kegel des Sentinel, mit 3165 Metern einer der höchsten Gipfel der Drakensber­ge.

Jacob legt das Buch zur Seite, begrüßt die Gruppe und erklärt die Tour für eröffnet. Bedächtige­n Schrittes geht er auf einem schmalen Pfad voran. Der 52-Jährige wirkt mit den gepflegten braunen Wildleders­chuhen, dem grünen Arbeitsanz­ug und der gelben Plastiktüt­e als einzigem Wandergepä­ck nicht unbedingt so, als wollte er einen Berg besteigen. Doch genau das hat er vor ...

Schon nach wenigen Kehren formiert sich ein weites Bergpanora­ma mit tief eingeschni­ttenen Tälern, Stauseen, Wasserfäll­en und unzähligen Gipfeln. Hin und wieder poltern Steine in die Tiefe, wenn eine Herde ANZEIGE Paviane grunzend übers Gestein jagt. Überall rauscht, plätschert, rieselt Wasser vom Regen der vergangene­n Nacht. Kurz vor einem steilen Felskamin zur Hochebene kommt der Gruppe ein Pärchen entgegen. Die beiden haben auf dem Gipfel gezeltet und schwärmen vom Gewitter und der darauffolg­enden sternenkla­ren Nacht.

Dann kippt das Wetter, Nebel hüllt die Wanderer ein, nur das Gras zu ihren Füßen ist noch zu erkennen. „Hört ihr das Tosen?“, fragt Jacob. Wenige Meter neben dem Weg stürzen die Tugela Falls in fünf Stufen in den Abgrund, mit rund 940 Metern der zweithöchs­te Wasserfall der Erde. Der Guide tastet sich über die rutschigen Steine an den Fluss und füllt seine leere Flasche. „Heiliges Wasser“, versichert er, das er seiner Familie mitbringen möchte.

Durch ein Labyrinth aus Trampelpfa­den und Tierspuren geht es weiter über das Plateau. Einmal müssen Hirten in der Nähe sein, ihre Pfiffe schallen durch das Nichts. Später erklingen Stimmen. Schemenhaf­t sind zwei Wanderer zu erkennen, dann zieht der Nebel den Vorhang wieder zu.

Schließlic­h stoppt Jacob an einer Felskante. Hier baumeln die legendären „Chain Ladders“über dem Abgrund, zwei mehr als 30 Meter lange, eiserne Leitern, eine mit großen breiten Griffen, die andere ohne Hilfsmitte­l. Das Ende der Leitern ist nicht zu sehen – sie hängen an einem gewölbten Bergrücken. Schritt für Schritt tasten sich alle abwärts, hin und wieder schwankt die Leiter im Wind – bei diesem Nebel ein echtes Abenteuer.

Der ideale Ausgangspu­nkt für diese Wanderung ist die Witsieshoe­k Mountain Lodge, die mit 2300 Metern höchstgele­gene Unterkunft im Norden der Drakensber­ge. Das Land, auf dem sie steht, gehört der Batlokoa-Gemeinde, deren Chief hier schon 1950 eine Steinhütte für Wanderer errichten ließ. Die heutige Lodge wurde 20 Jahre später in die wilde Berglandsc­haft gebaut. Erst kürzlich wurde sie modernisie­rt, neue Chalets bieten vom Schlafzimm­er einen Blick auf den Sentinel. Ein Teil der Einnahmen fließt an die Batlokoa, die auch einen Großteil des Personals stellen.

Dem ältesten Mitarbeite­r gebührt das Privileg, den morgendlic­hen Futterplat­z für die Bartgeier vorzuberei­ten. Witsieshoe­k liegt im Revier dieser gewaltigen Aasfresser, die traditione­ll mit Knochenres­ten aus der Küche gefüttert werden. Rund eine Stunde lang kreisen zwei der seltenen Vögel über dem „Place of Vultures“, bis sie sich trotz der Zuschauer durchringe­n, das Geschenk anzunehmen.

Nur wenige Kilometer nordöstlic­h von Witsieshoe­k erstreckt sich der Golden Gate Highlands National Park. Gelb und rot leuchtende Berge säumen die Strecke, dazwischen erstreckt sich weites, unberührte­s Grasland. Eine Landschaft, von der schon Nelson Mandela schwärmte: „Wenn ich hier bin, fühle ich mich frei. Hier können sich meine Gedanken entfalten, ganz so wie der endlos erscheinen­de Horizont.“

Heimat des Basotho-Volks

Auch die Siedler, die sich in diesen Tälern niederließ­en, waren beeindruck­t von den rötlich-gelben Felstoren, die wie steinerne Wächter über dem Tal thronen. Raubtiere sucht man vergeblich, dafür tummeln sich hier viele Antilopen: Weißschwan­zgnus, Blessböcke und Kronenduck­er, Elenantilo­pen, Rote Kuhantilop­en, Steinböckc­hen, Oribi, Springböck­e und Rehantilop­en.

Innerhalb der Highlands befindet sich auch das Basotho Cultural Village, ein Freilichtm­useum über die Kultur und Lebensweis­e des Basotho-Volkes. Junge Guides führen in die aufwendig bemalten und liebevoll eingericht­eten Häuser. Man kostet Hirsebier, sieht beim Stampfen des Maises zu, lässt sich vom traditione­llen Heiler die Knochen für einen Blick in die Zukunft werfen und lauscht den schrägen Klängen der Musiker.

Zurück in der Berglodge, erleben wir, wie sich der Tag mit einem Naturspekt­akel verabschie­det: Schwarze Wolkenfetz­en treiben über den Himmel, dazwischen flackern die Strahlen der letzten Abendsonne. Im Tal zucken im Sekundenrh­ythmus Blitze. Dann setzt der Donner ein, ein ohrenbetäu­bendes Grollen, gefolgt vom Regen, der unablässig aufs Dach prasselt. Eine reinigende Machtdemon­stration der Natur, damit der Sentinel morgen endlich ganz frei ist. Anreise: Die nördlichen Drakensber­ge sind sowohl vom Großraum Johannesbu­rg als auch aus Richtung Durban erreichbar (jeweils rund vier Stunden Autofahrt). Veranstalt­er: Abendsonne Afrika bietet individuel­l buchbare Reisepaket­e nach KwaZulu-Natal und in die Drakensber­ge (www.abendsonne­afrika.de). Weitere Angebote bei der Best of Travel Group (www.botg.de) und Umfulana (www.umfulana.de). Auskunft: South African Tourism, www.dein-suedafrika.de.

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FOTOS: OLIVER GERHARD Auf dem Weg zum Gipfel des Sentinel genießen die Wanderer den Blick auf die spektakulä­re Landschaft mit Seen und tiefen Tälern.
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Im Freilichtm­useum in den Highlands wird die traditione­lle Kultur und Lebensweis­e des BasothoVol­ks gezeigt.
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