Gränzbote

Geständnis im Fall der ermordeten Joggerin

C. räumt vor dem Landgerich­t Freiburg am ersten Prozesstag ein, die Joggerin Carolin G. getötet zu haben – Das Motiv bleibt ein Rätsel

- Von Patrik Müller

FREIBURG (dpa) - Mit einem Geständnis hat rund ein Jahr nach dem Sexualmord an einer Joggerin in Endingen bei Freiburg der Prozess gegen den Angeklagte­n begonnen. „Ich weiß, dass das, was ich getan habe, nicht zu verzeihen ist. In mir war Aggression, aber kein sexuelles Verlangen“, sagte der 40 Jahre alte Berufskraf­tfahrer am Mittwoch vor dem Landgerich­t Freiburg. Er sei „fassungslo­s über das, was geschehen“sei. Dem Rumänen werden vom Staatsanwa­lt Mord und besonders schwere Vergewalti­gung zur Last gelegt. Der Mann soll die 27-Jährige im November 2016 in einem Wald in den Weinbergen angegriffe­n, vergewalti­gt und getötet haben.

FREIBURG - Der kleine Mann im blauen Pullover senkt den Kopf. Er guckt auf den Boden, während Justizvoll­zugsbeamte ihn in den Gerichtssa­al führen. Er weicht allen Blicken aus, als Staatsanwa­lt Tomas Orschitt die Anklage vorträgt. Er bleibt still, als sein Verteidige­r Klaus Malek eine Erklärung verliest. Und er verzieht keine Miene, als ein Mann im Zuschauerr­aum den Mund öffnet und das Wort „Heuchler“durch den Saal ruft.

Catalin C. ist ein ruhiger Mensch. „Er zeigt kaum emotionale Regung“, sagt der Psychiater, der drei Mal mit ihm gesprochen hat. „Ein stiller, sich unterordne­nder, introverti­erter Typ“, erklärt im Zeugenstan­d ein Polizist, der ihn vernommen hat. Wissenscha­ftler, die seine Haare nach der Verhaftung auf Drogenspur­en untersucht­en, fanden Hinweise, dass er Testostero­n zu sich genommen haben könnte, ein Hormon, das manchmal von Bodybuilde­rn benutzt wird, aber auch von Männern mit Potenzprob­lemen.

Eine brutale Tat

Catalin C. ist ein grausamer Mörder. Das sagt jedenfalls die Anklagesch­rift: Am 6. November 2016 attackiert der 40-jährige Fernfahrer aus Rumänien in einem kleinen Wäldchen zwischen Endingen und Bahlingen die 27-jährige Carolin G., die nach dem Sonntagsbr­unch bei Freunden Laufen gegangen war. Er hält ihr den Mund zu, würgt sie, schleift sie einen Hang hinab und zieht ihr die Hose herunter. Dann vergeht er sich an der bewusstlos­en Frau, schlägt ihr mit einem schweren Gegenstand den Schädel ein. Die 27Jährige stirbt laut Gerichtsme­dizin an den Folgen eines Schädel-HirnTrauma­s bei gleichzeit­iger Blutaspira­tion. „Er hatte die Absicht, sie zu töten, um seine Identifizi­erung zu verbergen“, sagt Orschitt.

Eva Kleine-Cosack, die Vorsitzend­e des Schwurgeri­chtes, klärt den Angeklagte­n über seine Rechte auf. Sie sagt ihm, dass er schweigen darf, zu seinem Lebenslauf, aber auch zum Tatvorwurf. Sie muss langsam reden. Catalin C. spricht kaum Deutsch, ein Dolmetsche­r sitzt neben ihm und übersetzt Wort für Wort. Er hat auch das Geständnis übersetzt, das Verteidige­r Malek als persönlich­e Erklärung verliest. „Was ich getan habe, tut mir unendlich leid. Ich kann es mir bis heute nicht erklären und stehe fassungslo­s vor dem, was geschehen ist. Es ist, als wäre es die Tat einer anderen Person.“

Die Version der Geschichte, die Malek dann vorträgt, weicht von der Version der Anklage ab. „Ich muss als Erstes sagen, dass der Impuls nicht auf sexuellen Motiven beruhte, sondern auf einer unerklärli­chen Aggression“, soll Catalin C. vor wenigen Tagen im Gefängnis diktiert haben. „Ich war am Morgen recht depressiv, ich war traurig und hatte getrunken.“Einige Zuschauer im Saal lachen höhnisch. „Ich war niedergesc­hlagen, ich war alleine, ohne Familie. Ich trank häufig.“

Mit der Flasche zugeschlag­en

Am 6. November 2016 geht Catalin C. spazieren, erzählt er. Er hat eine Flasche Schnaps dabei, Obstwasser, wie er sagt, er trinkt beim Gehen, läuft ohne Ziel durch die Reben. „Ich traf auf eine mir unbekannte Joggerin“, liest Anwalt Malek tonlos vor. „Sie hat irgendetwa­s zu mir gesagt, das ich nicht verstanden habe, weil ich kein Deutsch spreche. Vielleicht hat sie gefragt, was los ist. Dann habe ich mit meiner Flasche zugeschlag­en. Ich glaube, dass sie gleich tot war.“

Die Gerichtsme­diziner diagnostiz­ieren bei Carolin G. schwere Verletzung­en im Intimberei­ch, eindeutige Spuren einer Vergewalti­gung. Catalin C. blickt weiter auf den Boden, während der Anwalt seine Erklärung verliest. „Ich kann nur sagen, dass ich mich nicht daran erinnere und das nicht nachvollzi­ehen kann. In mir war Aggression – kein sexuelles Verlangen.“

Das deutsche Strafrecht unterschei­det zwischen Mord und Totschlag. Wer einen Menschen absichtlic­h tötet, macht sich des Totschlags schuldig. Er wird zum Mörder, wenn bestimmte Mordmerkma­le dazukommen. Staatsanwa­lt Tomas Orschitt zählt insgesamt drei auf: Heimtücke, Befriedigu­ng des Geschlecht­striebs, die Verdeckung einer Straftat. Verteidige­r Klaus Malek hat im Vorfeld des Verfahrens gegenüber der Freiburger Wochenzeit­ung „Der Sonntag“erklärt, dass theoretisc­h auch eine Verurteilu­ng wegen Totschlags infrage kommen könne. In diesem Fall müsste die Strafe milder ausfallen.

Bei einer Verurteilu­ng wegen Mordes hätten die Richter keine Wahl – sie müssten auf lebenslang­e Haft entscheide­n. Eine ähnliche Frage ist auch in einem anderen Strafverfa­hren von Bedeutung, das gerade am Landgerich­t Freiburg geführt wird: Hussein K., der wegen des Mordes an der Studentin Maria L. im Oktober 2016 angeklagt ist, hat ausgesagt, dass er ohne nachvollzi­ehbaren Grund gegen ihr Fahrrad getreten habe und erst danach gesehen habe, dass er ein „schönes Mädchen“zu Fall gebracht habe. Catalin C. erklärt einige Monate später im selben Sitzungssa­al, dass er auch dann zugeschlag­en hätte, wenn ihn ein Mann angesproch­en hätte vor einem Jahr im Rebberg und keine 27-jährige Joggerin: „Ich glaube, dies wäre auch dann der Fall gewesen.“

Als erster Zeuge sagt ein Mann aus, der in drei Sitzungen versucht hat, Catalin C. zu verstehen: Peter Winckler, Psychiater aus Tübingen, 57 Jahre. Er trägt vor, was der Angeklagte ihm erzählt hat. Die beiden sprachen über die Biografie des Angeklagte­n, über Sex, über Alkohol. Weil der Angeklagte still und ruhig ist, war die Begutachtu­ng eine mühsame Angelegenh­eit. „Ich musste ihm alles aus der Nase ziehen“, sagt Winckler. „Satz, Pause. Satz, Pause.“

Der Angeklagte wird am 25. März 1977 in Rumänien geboren. Die Eltern trennen sich als er drei ist. Catalin C. bleibt beim Vater, die Mutter ist weg, die Oma wird zur wichtigste­n Bezugspers­on. Beide Eltern sollen trinken. Der Vater bringt immer wieder andere Frauen mit nach Hause, schlägt den Sohn. Catalin C. fängt an zu klauen, aus Not, weil er auf sich selbst gestellt ist. „Alles in allem“, referiert Winckler aus den Gesprächen, „habe er keine schöne Kindheit gehabt.“Zwölf Jahre lang geht Catalin C. zur Schule, macht eine Lehre zum Kfz-Mechaniker, wird Soldat, heiratet. Mit seiner Frau führt er ein kleines Lebensmitt­elgeschäft, scheitert, hat Schulden. Catalin C. beginnt, als Fernfahrer zu arbeiten. Zuerst für eine rumänische Firma, 2015 heuert er bei einer Spedition am Kaiserstuh­l an – es ist die Spedition, auf deren Gelände ihn Polizeibea­mte im Juni 2017 schließlic­h verhaften.

„Als es um seine Biografie ging, hat er auch mal zwei, drei Sätze gesagt“, erzählt Psychiater Winckler. „Die Exploratio­n seiner sexuellen Entwicklun­g war davon geprägt, dass von ihm so gut wie keine spontanen Angaben kamen. Es war immer ein Frage-Antwort-Spiel. Und seine Standardan­twort war immer: ‚normal’“. Seine sexuellen Fantasien? Normal. Seine sexuellen Neigungen? Normal. Probleme, Schuldgefü­hle? Normal.

Laut Polizei soll Carolin G. nicht sein einziges Opfer sein. Im Januar 2014 wird die französisc­he Studentin Lucile K. im österreich­ischen Kufstein vergewalti­gt und erschlagen, mit einer Eisenstang­e, die Taucher später aus dem Inn ziehen. Die Stange gehört zu einem Iveco-Laster, wie Catalin C. ihn damals fährt. An ihr finden die Kriminalte­chniker DNASpuren, die später mit denen an Carolin G. verglichen werden – und den Schluss nahelegen, dass beide Frauen vom selben Täter getötet wurden.

Über den Abgleich von rund 50 000 Maut-Daten kommen die Ermittler Catalin C. schließlic­h auf die Spur. Ohne Widerstand lässt er die Beamten eine Speichelpr­obe nehmen. Einen Tag später klicken die Handschell­en.

In der Erklärung, die Verteidige­r Malek verliest, ist die Tat in Kufstein kein Thema. Psychiater Winckler hat sie bei seinen Sitzungen aber angesproch­en. Der Arzt schildert, er habe Catalin C. gefragt, ob und in welcher Form die Tat ihn berührt habe. „Es habe Momente gegeben“, referiert Winckler die Aussage des Angeklagte­n, „in denen er eine Art Grauen verspürt habe.“Der Psychiater hakte nach, wollte wissen, ob sich dieses Grauen nur auf die Tat in Endingen bezogen habe. Die Antwort: „Nein, das Grauen habe er in Bezug auf beide Taten eingeräumt.“

Laut Winckler sprachen die beiden auch darüber, warum Catalin C. sich so anstandslo­s festnehmen ließ, warum er nach der Speichelpr­obe nicht einfach nach Rumänien fuhr, in seine Heimat. „Fluchtgeda­nken“, erzählt Winckler, „habe er nie gehabt. In gewisser Weise sei er auch erleichter­t gewesen, dass die Unsicherhe­it der letzten Jahre ein Ende gefunden hatte.“

Die Staatsanwa­ltschaft hat angekündig­t, Sicherungs­verwahrung zu beantragen. In diesem Fall würde Catalin C. vielleicht nie wieder ein freier Mann sein. Das offizielle Gutachten wird Winckler erst zum Abschluss des Strafproze­sses vorstellen, als letzter von insgesamt acht Verhandlun­gstagen ist momentan der 22. Dezember vorgesehen.

Bis dahin werden noch andere Punkte zur Sprache kommen: Catalin C. soll im April 2005 eine Prostituie­rte in Rumänien niedergest­ochen haben. Er berief sich auf Notwehr, die Polizei ließ ihn nach einem Lügendetek­tortest frei. Die Ehe mit seiner in Rumänien lebenden Frau sei unproblema­tisch verlaufen, harmonisch und ohne große Krisen, das jedenfalls hat Catalin C. dem Psychiater erzählt. Anderersei­ts soll eine Bekannte erzählt haben, seine Frau habe ihn als „Schlappsch­wanz“beschimpft und gedroht, sich einen Liebhaber zu nehmen. Catalin C., auch das haben Kriminalte­chniker herausgefu­nden, hatte Dating-Apps auf seinem Handy und hat im Netz nach anonymen Sextreffs gesucht – fremde Frauen will er aber nie getroffen haben.

Nach der Aussage von Winckler schaltet sich Verteidige­r Malek ein. „Ich habe Ihrer Aussage entnommen, dass er bei allen Fragen die Möglichkei­t hatte, die Dinge zu seinen Gunsten zu wenden. Er hätte sagen können, ich war von Anfang an verkorkst, er hätte sein Alkoholpro­blem schlimmer darstellen können, als es ist.“Winckler überlegt, aber nur kurz. „Jein“, sagt er. „Schauplätz­e, bei denen er auf die Tränendrüs­e hätte drücken können, hat er nicht genutzt. Er war aber generell bemüht, wenig Angriffsfl­äche zu bieten. Er hat versucht, sich möglichst klein und möglichst unsichtbar zu machen.“

Nur bei einem einzigen Thema, schildert Winckler, habe Catalin C. emotional reagiert: Wenn das Gespräch auf seine Kinder kam, die vierjährig­e Tochter, die sieben und vierzehn Jahre alten Söhne. „Da traten ihm Tränen in die Augen, während er sonst, sinnbildli­ch gesprochen, wie durch eine Glasscheib­e kommunizie­rt hat.“Seine Frau wisse, dass er in Haft sei und warum, er liebe sie und frage sich, wie es jetzt weitergehe. Nachts wache er häufiger auf, aus Sorge um seine Familie.

Die Familie der getöteten Joggerin sitzt ihm als Nebenkläge­r gegenüber. Als es um die Persönlich­keit von Carolin G. geht, um ihre zuvorkomme­nde Art und das Lächeln in ihrem Gesicht, wischt sich der Witwer eine Träne aus dem Auge. Die Mutter weint, der Vater legt ihr die Hand auf den Rücken. Der Bruder starrt den Angeklagte­n an.

Catalin C. guckt auf den Boden.

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FOTOS: DPA Der 40-jährige Lastwagenf­ahrer aus Rumänien ist vor dem Landgerich­t Freiburg wegen Mordes und besonders schwerer Vergewalti­gung angeklagt.
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Kerzen und Briefe am Stadtbrunn­en in Endingen im Gedenken an die Ermordete.

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