Geständnis im Fall der ermordeten Joggerin
C. räumt vor dem Landgericht Freiburg am ersten Prozesstag ein, die Joggerin Carolin G. getötet zu haben – Das Motiv bleibt ein Rätsel
FREIBURG (dpa) - Mit einem Geständnis hat rund ein Jahr nach dem Sexualmord an einer Joggerin in Endingen bei Freiburg der Prozess gegen den Angeklagten begonnen. „Ich weiß, dass das, was ich getan habe, nicht zu verzeihen ist. In mir war Aggression, aber kein sexuelles Verlangen“, sagte der 40 Jahre alte Berufskraftfahrer am Mittwoch vor dem Landgericht Freiburg. Er sei „fassungslos über das, was geschehen“sei. Dem Rumänen werden vom Staatsanwalt Mord und besonders schwere Vergewaltigung zur Last gelegt. Der Mann soll die 27-Jährige im November 2016 in einem Wald in den Weinbergen angegriffen, vergewaltigt und getötet haben.
FREIBURG - Der kleine Mann im blauen Pullover senkt den Kopf. Er guckt auf den Boden, während Justizvollzugsbeamte ihn in den Gerichtssaal führen. Er weicht allen Blicken aus, als Staatsanwalt Tomas Orschitt die Anklage vorträgt. Er bleibt still, als sein Verteidiger Klaus Malek eine Erklärung verliest. Und er verzieht keine Miene, als ein Mann im Zuschauerraum den Mund öffnet und das Wort „Heuchler“durch den Saal ruft.
Catalin C. ist ein ruhiger Mensch. „Er zeigt kaum emotionale Regung“, sagt der Psychiater, der drei Mal mit ihm gesprochen hat. „Ein stiller, sich unterordnender, introvertierter Typ“, erklärt im Zeugenstand ein Polizist, der ihn vernommen hat. Wissenschaftler, die seine Haare nach der Verhaftung auf Drogenspuren untersuchten, fanden Hinweise, dass er Testosteron zu sich genommen haben könnte, ein Hormon, das manchmal von Bodybuildern benutzt wird, aber auch von Männern mit Potenzproblemen.
Eine brutale Tat
Catalin C. ist ein grausamer Mörder. Das sagt jedenfalls die Anklageschrift: Am 6. November 2016 attackiert der 40-jährige Fernfahrer aus Rumänien in einem kleinen Wäldchen zwischen Endingen und Bahlingen die 27-jährige Carolin G., die nach dem Sonntagsbrunch bei Freunden Laufen gegangen war. Er hält ihr den Mund zu, würgt sie, schleift sie einen Hang hinab und zieht ihr die Hose herunter. Dann vergeht er sich an der bewusstlosen Frau, schlägt ihr mit einem schweren Gegenstand den Schädel ein. Die 27Jährige stirbt laut Gerichtsmedizin an den Folgen eines Schädel-HirnTraumas bei gleichzeitiger Blutaspiration. „Er hatte die Absicht, sie zu töten, um seine Identifizierung zu verbergen“, sagt Orschitt.
Eva Kleine-Cosack, die Vorsitzende des Schwurgerichtes, klärt den Angeklagten über seine Rechte auf. Sie sagt ihm, dass er schweigen darf, zu seinem Lebenslauf, aber auch zum Tatvorwurf. Sie muss langsam reden. Catalin C. spricht kaum Deutsch, ein Dolmetscher sitzt neben ihm und übersetzt Wort für Wort. Er hat auch das Geständnis übersetzt, das Verteidiger Malek als persönliche Erklärung verliest. „Was ich getan habe, tut mir unendlich leid. Ich kann es mir bis heute nicht erklären und stehe fassungslos vor dem, was geschehen ist. Es ist, als wäre es die Tat einer anderen Person.“
Die Version der Geschichte, die Malek dann vorträgt, weicht von der Version der Anklage ab. „Ich muss als Erstes sagen, dass der Impuls nicht auf sexuellen Motiven beruhte, sondern auf einer unerklärlichen Aggression“, soll Catalin C. vor wenigen Tagen im Gefängnis diktiert haben. „Ich war am Morgen recht depressiv, ich war traurig und hatte getrunken.“Einige Zuschauer im Saal lachen höhnisch. „Ich war niedergeschlagen, ich war alleine, ohne Familie. Ich trank häufig.“
Mit der Flasche zugeschlagen
Am 6. November 2016 geht Catalin C. spazieren, erzählt er. Er hat eine Flasche Schnaps dabei, Obstwasser, wie er sagt, er trinkt beim Gehen, läuft ohne Ziel durch die Reben. „Ich traf auf eine mir unbekannte Joggerin“, liest Anwalt Malek tonlos vor. „Sie hat irgendetwas zu mir gesagt, das ich nicht verstanden habe, weil ich kein Deutsch spreche. Vielleicht hat sie gefragt, was los ist. Dann habe ich mit meiner Flasche zugeschlagen. Ich glaube, dass sie gleich tot war.“
Die Gerichtsmediziner diagnostizieren bei Carolin G. schwere Verletzungen im Intimbereich, eindeutige Spuren einer Vergewaltigung. Catalin C. blickt weiter auf den Boden, während der Anwalt seine Erklärung verliest. „Ich kann nur sagen, dass ich mich nicht daran erinnere und das nicht nachvollziehen kann. In mir war Aggression – kein sexuelles Verlangen.“
Das deutsche Strafrecht unterscheidet zwischen Mord und Totschlag. Wer einen Menschen absichtlich tötet, macht sich des Totschlags schuldig. Er wird zum Mörder, wenn bestimmte Mordmerkmale dazukommen. Staatsanwalt Tomas Orschitt zählt insgesamt drei auf: Heimtücke, Befriedigung des Geschlechtstriebs, die Verdeckung einer Straftat. Verteidiger Klaus Malek hat im Vorfeld des Verfahrens gegenüber der Freiburger Wochenzeitung „Der Sonntag“erklärt, dass theoretisch auch eine Verurteilung wegen Totschlags infrage kommen könne. In diesem Fall müsste die Strafe milder ausfallen.
Bei einer Verurteilung wegen Mordes hätten die Richter keine Wahl – sie müssten auf lebenslange Haft entscheiden. Eine ähnliche Frage ist auch in einem anderen Strafverfahren von Bedeutung, das gerade am Landgericht Freiburg geführt wird: Hussein K., der wegen des Mordes an der Studentin Maria L. im Oktober 2016 angeklagt ist, hat ausgesagt, dass er ohne nachvollziehbaren Grund gegen ihr Fahrrad getreten habe und erst danach gesehen habe, dass er ein „schönes Mädchen“zu Fall gebracht habe. Catalin C. erklärt einige Monate später im selben Sitzungssaal, dass er auch dann zugeschlagen hätte, wenn ihn ein Mann angesprochen hätte vor einem Jahr im Rebberg und keine 27-jährige Joggerin: „Ich glaube, dies wäre auch dann der Fall gewesen.“
Als erster Zeuge sagt ein Mann aus, der in drei Sitzungen versucht hat, Catalin C. zu verstehen: Peter Winckler, Psychiater aus Tübingen, 57 Jahre. Er trägt vor, was der Angeklagte ihm erzählt hat. Die beiden sprachen über die Biografie des Angeklagten, über Sex, über Alkohol. Weil der Angeklagte still und ruhig ist, war die Begutachtung eine mühsame Angelegenheit. „Ich musste ihm alles aus der Nase ziehen“, sagt Winckler. „Satz, Pause. Satz, Pause.“
Der Angeklagte wird am 25. März 1977 in Rumänien geboren. Die Eltern trennen sich als er drei ist. Catalin C. bleibt beim Vater, die Mutter ist weg, die Oma wird zur wichtigsten Bezugsperson. Beide Eltern sollen trinken. Der Vater bringt immer wieder andere Frauen mit nach Hause, schlägt den Sohn. Catalin C. fängt an zu klauen, aus Not, weil er auf sich selbst gestellt ist. „Alles in allem“, referiert Winckler aus den Gesprächen, „habe er keine schöne Kindheit gehabt.“Zwölf Jahre lang geht Catalin C. zur Schule, macht eine Lehre zum Kfz-Mechaniker, wird Soldat, heiratet. Mit seiner Frau führt er ein kleines Lebensmittelgeschäft, scheitert, hat Schulden. Catalin C. beginnt, als Fernfahrer zu arbeiten. Zuerst für eine rumänische Firma, 2015 heuert er bei einer Spedition am Kaiserstuhl an – es ist die Spedition, auf deren Gelände ihn Polizeibeamte im Juni 2017 schließlich verhaften.
„Als es um seine Biografie ging, hat er auch mal zwei, drei Sätze gesagt“, erzählt Psychiater Winckler. „Die Exploration seiner sexuellen Entwicklung war davon geprägt, dass von ihm so gut wie keine spontanen Angaben kamen. Es war immer ein Frage-Antwort-Spiel. Und seine Standardantwort war immer: ‚normal’“. Seine sexuellen Fantasien? Normal. Seine sexuellen Neigungen? Normal. Probleme, Schuldgefühle? Normal.
Laut Polizei soll Carolin G. nicht sein einziges Opfer sein. Im Januar 2014 wird die französische Studentin Lucile K. im österreichischen Kufstein vergewaltigt und erschlagen, mit einer Eisenstange, die Taucher später aus dem Inn ziehen. Die Stange gehört zu einem Iveco-Laster, wie Catalin C. ihn damals fährt. An ihr finden die Kriminaltechniker DNASpuren, die später mit denen an Carolin G. verglichen werden – und den Schluss nahelegen, dass beide Frauen vom selben Täter getötet wurden.
Über den Abgleich von rund 50 000 Maut-Daten kommen die Ermittler Catalin C. schließlich auf die Spur. Ohne Widerstand lässt er die Beamten eine Speichelprobe nehmen. Einen Tag später klicken die Handschellen.
In der Erklärung, die Verteidiger Malek verliest, ist die Tat in Kufstein kein Thema. Psychiater Winckler hat sie bei seinen Sitzungen aber angesprochen. Der Arzt schildert, er habe Catalin C. gefragt, ob und in welcher Form die Tat ihn berührt habe. „Es habe Momente gegeben“, referiert Winckler die Aussage des Angeklagten, „in denen er eine Art Grauen verspürt habe.“Der Psychiater hakte nach, wollte wissen, ob sich dieses Grauen nur auf die Tat in Endingen bezogen habe. Die Antwort: „Nein, das Grauen habe er in Bezug auf beide Taten eingeräumt.“
Laut Winckler sprachen die beiden auch darüber, warum Catalin C. sich so anstandslos festnehmen ließ, warum er nach der Speichelprobe nicht einfach nach Rumänien fuhr, in seine Heimat. „Fluchtgedanken“, erzählt Winckler, „habe er nie gehabt. In gewisser Weise sei er auch erleichtert gewesen, dass die Unsicherheit der letzten Jahre ein Ende gefunden hatte.“
Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, Sicherungsverwahrung zu beantragen. In diesem Fall würde Catalin C. vielleicht nie wieder ein freier Mann sein. Das offizielle Gutachten wird Winckler erst zum Abschluss des Strafprozesses vorstellen, als letzter von insgesamt acht Verhandlungstagen ist momentan der 22. Dezember vorgesehen.
Bis dahin werden noch andere Punkte zur Sprache kommen: Catalin C. soll im April 2005 eine Prostituierte in Rumänien niedergestochen haben. Er berief sich auf Notwehr, die Polizei ließ ihn nach einem Lügendetektortest frei. Die Ehe mit seiner in Rumänien lebenden Frau sei unproblematisch verlaufen, harmonisch und ohne große Krisen, das jedenfalls hat Catalin C. dem Psychiater erzählt. Andererseits soll eine Bekannte erzählt haben, seine Frau habe ihn als „Schlappschwanz“beschimpft und gedroht, sich einen Liebhaber zu nehmen. Catalin C., auch das haben Kriminaltechniker herausgefunden, hatte Dating-Apps auf seinem Handy und hat im Netz nach anonymen Sextreffs gesucht – fremde Frauen will er aber nie getroffen haben.
Nach der Aussage von Winckler schaltet sich Verteidiger Malek ein. „Ich habe Ihrer Aussage entnommen, dass er bei allen Fragen die Möglichkeit hatte, die Dinge zu seinen Gunsten zu wenden. Er hätte sagen können, ich war von Anfang an verkorkst, er hätte sein Alkoholproblem schlimmer darstellen können, als es ist.“Winckler überlegt, aber nur kurz. „Jein“, sagt er. „Schauplätze, bei denen er auf die Tränendrüse hätte drücken können, hat er nicht genutzt. Er war aber generell bemüht, wenig Angriffsfläche zu bieten. Er hat versucht, sich möglichst klein und möglichst unsichtbar zu machen.“
Nur bei einem einzigen Thema, schildert Winckler, habe Catalin C. emotional reagiert: Wenn das Gespräch auf seine Kinder kam, die vierjährige Tochter, die sieben und vierzehn Jahre alten Söhne. „Da traten ihm Tränen in die Augen, während er sonst, sinnbildlich gesprochen, wie durch eine Glasscheibe kommuniziert hat.“Seine Frau wisse, dass er in Haft sei und warum, er liebe sie und frage sich, wie es jetzt weitergehe. Nachts wache er häufiger auf, aus Sorge um seine Familie.
Die Familie der getöteten Joggerin sitzt ihm als Nebenkläger gegenüber. Als es um die Persönlichkeit von Carolin G. geht, um ihre zuvorkommende Art und das Lächeln in ihrem Gesicht, wischt sich der Witwer eine Träne aus dem Auge. Die Mutter weint, der Vater legt ihr die Hand auf den Rücken. Der Bruder starrt den Angeklagten an.
Catalin C. guckt auf den Boden.