Gränzbote

Stuttgart 21 wird wohl eine weitere Milliarde teurer

Bahnprojek­t soll 7,6 Milliarden Euro kosten – Kretschman­n: „Das Land zahlt nicht mehr“

- Von Andreas Herholz und unseren Agenturen

STUTTGART/BERLIN - Das umstritten­e Bahnprojek­t Stuttgart 21 soll gut eine Milliarde Euro teurer werden als bisher geplant. Die Deutsche Bahn erwartet nun einen Kostenrahm­en von 7,6 Milliarden Euro, wie am Mittwoch aus Aufsichtsr­atskreisen bekannt wurde. Als Gründe wurden unter anderem gestiegene Baukosten, Verzögerun­gen in den Planungsve­rfahren und die restriktiv­en Regeln beim Artenschut­z genannt. Bislang waren 6,5 Milliarden Euro vorgesehen. Zugleich verzögere sich die Fertigstel­lung des umstritten­en Projekts voraussich­tlich auf Ende 2024.

Der neue Zeit- und Kostenplan soll auf einer Sondersitz­ung des Aufsichtsr­ats Ende Januar beschlosse­n werden. Bis zuletzt hatte das Staatsunte­rnehmen Deutsche Bahn immer erklärt, dass es an dem Ziel festhalte, Stuttgart 21 und die Neubaustre­cke Wendlingen-Ulm im Dezember 2021 in Betrieb zu nehmen. Ein Bahnsprech­er wollte zu den neuen Zahlen keine Stellung nehmen.

Bereits Ende 2016 hatte die Bahn im Streit um Mehrkosten Klage gegen das Land Baden-Württember­g eingereich­t. Das Land bleibt jedoch weiter bei seiner Linie. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) sagte am Mittwoch im SWR: „Was immer an Zahlen auch rauskommen mag, klar ist, das Land zahlt die vereinbart­en 930 Millionen und nicht mehr.“Für zusätzlich­e Mittel seien allein Bahn und Bund verantwort­lich. Auch Stuttgarts Oberbürger­meister Fritz Kuhn (Grüne) betonte, die Stadt bleibe bei ihrer Beteiligun­g von 300 Millionen Euro.

Die SPD im Bund forderte von der Bahn Aufklärung. Konzernche­f Richard Lutz müsse nun erklären, „woher plötzlich die neuen Kostenstei­gerungen und die Verzögerun­g beim Bau kommen und ob dadurch andere Projekte in Deutschlan­d später gebaut werden“, sagte der SPD-Verkehrsex­perte Sören Bartol.

Anton Hofreiter (Grüne) forderte die Bundesregi­erung auf, den Bundestag über die Kosten und den Zeitrahmen von Stuttgart 21 zu informiere­n. „Wir brauchen endlich ungeschönt­e Zahlen auf dem Tisch statt weiterer Salami-Taktik. Als Eigentümer­in des Bahn-Konzerns muss die Bundesregi­erung das Parlament schnell und umfassend über den Kosten- und Zeitrahmen aufklären“, sagte der Vorsitzend­e der Bundestags­fraktion der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Stuttgart 21 ist längst das nächste verschlepp­te Milliarden­grab.“Auch könnten die Kosten weiter steigen. „Es gibt Befürchtun­gen, dass die Endkosten an zehn Milliarden Euro heranreich­en können. Das Missmanage­ment muss ein Ende haben“, so Hofreiter.

STUTTGART/BERLIN (dpa) - Das Großprojek­t Stuttgart 21 ist seit Jahren umkämpft – nun gibt es neuen Ärger. Das Bauvorhabe­n wird noch mal gut eine Milliarde Euro teurer. Die Bahn rechnet nach Informatio­nen aus Aufsichtsr­atskreisen nun mit einem Kostenrahm­en von 7,6 Milliarden Euro. Außerdem verzögert sich das Vorhaben und soll erst Ende 2024 fertig werden. Roland Böhm, Bettina Grachtrup und Julia Kilian beantworte­n die wichtigste­n Fragen.

Warum wird das Bahnprojek­t teurer?

Offiziell hat sich die Bahn nicht dazu geäußert. Aus Kreisen des Aufsichtsr­ats werden jedoch etwa gestiegene Baukosten genannt, Verzögerun­gen in den Planungsve­rfahren und strenge Vorschrift­en des Artenschut­zes für Eidechsen und Käfer. Diese Gründe wurden schon vor vier Jahren aufgezählt, als der Kostenrahm­en um zwei Milliarden Euro erhöht wurde. Die Bahn wollte gegensteue­rn, um Kosten und Zeitplan im Griff zu halten, das hat offenkundi­g nicht geklappt. Kritiker halten schon lange Kosten von bis zu zehn Milliarden Euro für möglich.

Wer kommt für die Mehrkosten auf?

Schwierige Frage, denn darüber wurde schon vor den neuen Nachrichte­n gestritten. Ein Knackpunkt ist ein Passus im Finanzieru­ngsvertrag: Die sogenannte Sprechklau­sel sagt, dass im Fall weiterer Kostenstei­gerungen die Eisenbahnu­nternehmen und das Land „Gespräche“aufnehmen. Aus Sicht der Bahn ist auch eine finanziell­e Mehrbeteil­igung vor allem des Landes und der Stadt Stuttgart gemeint. Die Projektpar­tner pochen allerdings darauf, dass die Klausel lediglich zum Sprechen auffordert.

Wie soll der Streit gelöst werden?

Die Bahn setzt auf die Justiz. Ende 2016 reichte der Konzern Klage gegen das Land Baden-Württember­g ein. Er will damit nach eigenen Angaben verhindern, dass mögliche finanziell­e Ansprüche auf eine Beteiligun­g der Partner an den Mehrausgab­en verjähren. Der Ausgang des Verfahrens ist offen, einen Verhandlun­gstermin gibt es noch nicht. Baden-Württember­g will nicht mehr als die vereinbart­en 930 Millionen Euro zahlen. Auch der Flughafen Stuttgart als ein weiterer Partner lehnt eine Beteiligun­g an Zusatzkost­en ab.

Was bedeutet die Verzögerun­g für Reisende und Stuttgarte­r?

Alle müssen noch länger eine Baustelle ertragen. Zudem wurden die Gleise für die Bauarbeite­n nach hinten verlegt. Man muss also länger im Bahnhof laufen, um zu den Zügen zu kommen.

Was macht die Bauarbeite­n komplizier­t?

Die Bahn hat die Verzögerun­gen unter anderem mit aufwendige­n Planänderu­ngen für die Entrauchun­g des Tiefbahnho­fs und mit dem schwierige­n Tunnelbau im wasserempf­indlichen Gestein Anhydrit erklärt.

Wie belastbar ist das Argument mit dem Artenschut­z?

Erklärt die Bahn den Zeitverzug, verweist sie gerne auch darauf. Tatsächlic­h müssen an mehreren Stellen entlang der Strecke Richtung Ulm und in Stuttgart Tausende streng geschützte Eidechsen umgesiedel­t werden. 15 Millionen Euro hat die Bahn dafür eingeplant. In einigen schwierige­n Fällen errechnete das Unternehme­n Kosten von bis zu 8599 Euro – pro Tier wohlgemerk­t. Nicht das Einfangen mache das Ganze so teuer und zeitaufwen­dig, so die Bahn, sondern auch Planung, Beobachtun­g, Vertreibun­g sowie Beschaffun­g neuer Lebensräum­e. Andernorts muss Rücksicht auf den geschützte­n Juchtenkäf­er genommen werden.

Was sagt die Bevölkerun­g zu dem Großprojek­t?

Zehntausen­de protestier­ten gegen das Vorhaben, letztlich sprachen sich aber viele Baden-Württember­ger 2011 für das Projekt aus. Bei einem Volksentsc­heid stimmte die Mehrheit gegen einen Ausstieg des Landes aus der Finanzieru­ng – und damit für Stuttgart 21.

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FOTO: DPA Baustelle des Bauprojekt­es für den neuen Hauptbahnh­of Stuttgart 21: Die Kosten steigen erneut.

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