Gränzbote

Weiße Arena wird grün

Die Skiregion Flims/Laax/Falera hat sich der Nachhaltig­keit verschrieb­en

- Von Simone Haefele

Niemand will ernsthaft behaupten, dass der Skisport unserer Umwelt sonderlich zuträglich ist. Man denke allein an die Zigtausend­e Skifahrer, die jetzt wieder jedes Wochenende Richtung Alpen aufbrechen, die Straßen verstopfen und die Luft verpesten. Allerdings hat in manchen Skigebiete­n ein Umdenken eingesetzt, nachdem nachgewies­en wurde, dass in den letzten 100 Jahren die Temperatur im Alpenraum doppelt so stark gestiegen ist wie im globalen Mittel. Der Klimawande­l lässt die Schneedeck­e immer dünner und die Skisaison immer kürzer werden. Doch kaum einer will auf das große Geschäft verzichten. Ökologie und Ökonomie wieder einmal im Wettstreit also? Das muss nicht zwangsläuf­ig so sein, wie das Beispiel Laax zeigt. Ausgerechn­et das mondäne Aspen – amerikanis­ches Winterspor­tzentrum für die Reichen und Schönen – ist Vorreiter in Sachen Nachhaltig­keit und Umweltschu­tz. Und daran hat sich auch unter Präsident Trump nichts geändert. Bereits vor 20 Jahren hat der Nobelskior­t, auf dessen lokalem Flughafen im 20Minutent­akt schnittige Privatjets landen, eine Umweltschu­tzabteilun­g gegründet, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Ziel: Bis 2020 sollen ein Viertel weniger Emissionen verursacht werden, unter anderem dank Solarstrom und Ökogebäude­n.

Der Umwelt verpflicht­et fühlt sich mittlerwei­le auch Carezza-Ski im Südtiroler Eggental. Georg Eisath, Präsident von Carezza-Ski, hat ein ausgeklüge­ltes System zur

In einem der größten Skigebiete der Schweiz wurde 2010 das Projekt „Greenstyle“ins Leben gerufen mit dem Ziel, nachhaltig zu handeln und zum ersten selbstvers­orgenden Skigebiet der Welt zu werden. Heute, sieben Jahre später, ist Letzteres bereits erreicht. Die Weiße Arena – ein Zusammensc­hluss unter anderem aus den Bergbahnen in Flims, Laax und Falera, Skischulen, fünf Hotels und 22 Gastronomi­ebetrieben – generiert mittlerwei­le ihren gesamten Strom aus Wasser- und Sonnenener­gie dank lokaler Kraftwerke und Photovolta­ik-Anlagen auf dem Berg und an den Liftstatio­nen. Demnächst soll ein Windpark auf dem Gletscher gebaut werden, um zusätzlich Strom zu liefern. Die Kasse stimmt außerdem. Denn trotz alternativ­er Quellen gilt: Energie einzuspare­n, genießt oberste Priorität. Allein in der Wintersais­on 2016/17 wurden unter anderem dank eines ausgeklüge­lten Beschneiun­gssystems ähnlich dem in Carezza (siehe Kasten) vier Gigawattst­unden Strom weniger verbraucht, anders ausgedrück­t etwa 500 000 Schweizer Franken (umgerechne­t 430 000 Euro) eingespart. Das entspricht dem durchschni­ttlichen Verbrauch von 1000 Familienha­ushalten. Bis 2030 sollen es sogar 7,6 Gigawattst­unden sein.

Der positive Ruf der Nachhaltig­keit lockt nicht nur umweltbewu­sste Urlauber nach Laax, sondern wird auch weit über die Grenzen Graubünden­s hinaus vernommen. Es gibt bereits Nachahmer. Und Anerkennun­g: 2016 erhielt Laax den europäisch­en Solarpreis, 2017 folgte die Auszeichnu­ng Pistenbesc­hneiung entwickelt und damit erreicht, den Energiever­brauch um 20 Prozent zu senken. Als Eisath sich intensiv mit den Klimadaten seiner Heimat befasste, fiel ihm nämlich auf, dass jedes Jahr im November eine längere Periode mit Temperatur­en deutlich unter dem Gefrierpun­kt verzeichne­t war. „Das Kältefenst­er betrug verlässlic­h um die 80 Stunden am Stück.“Also rüstete er seinen Park auf 200 Schneekano­nen und -lanzen auf, sodass er innerhalb dieser Zeit das Skigebiet komplett beschneien kann. Es macht nach Aussage von Eisath nämlich einen großen Unterschie­d, ob man bei minus drei Grad oder minus acht Grad beschneit. Eine Kanone hat stets denselben Energiebed­arf, bei den tieferen Temperatur­en ist der für die zum Unternehme­n gehörende Unterkunft Rocksresor­t als „World’s Best Green Ski Hotel“.

Von den 224 Pistenkilo­metern der Weißen Arena liegen die meisten über 2000 Metern Höhe, damit ist die bekannte Freestyle-Destinatio­n eines der schneesich­ersten Gebiete der Alpen. Doch selbst hier gilt: Ohne Kunstschne­e können keine bestens präpariert­en, schneeweiß­en Pisten mehr garantiert werden. Und fanden vor 20 Jahren auf dem Vorabglets­cher noch regelmäßig Snowboard-Sommercamp­s statt, ist das heute unmöglich. Der Gletscher ist massiv zurückgega­ngen. „Fast nicht mehr vorhanden. Es musste etwas passieren“, sagt Reto Fry, Umweltbeau­ftragter der Weißen Arena. Der gelernte Metallbaue­r hat seinen Posten vor sieben Jahren angetreten und behauptet heute stolz: „Wir haben schon viel erreicht. Vor allem auch, weil sich Naturschut­z und Ökonomie nicht im Wege stehen. Viele Investitio­nen haben sich zwischenze­itlich amortisier­t.“Aber er gesteht auch: „Das ist der härteste Job, den ich je hatte. Und es war ein langer Prozess, bis ich verstanden habe, wieso das alles Sinn macht.“

Wer in Laax die Skier anschnallt, muss schon genau hinschauen, um Greenstyle zu entdecken. Das beginnt Wasserdurc­hsatz und damit die produziert­e Schneemeng­e aber doppelt so hoch. Eisath hat auch exakt ermittelt, wie hoch die Schneemeng­e pro Quadratmet­er sein muss, damit er über den Winter kommt. 30 Zentimeter muss er im November hinlegen, die gleiche Menge nochmal in der zweiten Saisonhälf­te.

Eisath hat alles auf den Prüfstand gestellt, um Energie zu sparen: Die Fahrer der Pistenraup­en bekamen eine Spritspars­chulung. Eisath checkte ihre Routen und änderte die Pläne, damit es ja keine unnötigen Wege mehr gibt. Die Pistenbull­y-Fahrer können jetzt jeden Tag eine Stunde früher Feierabend machen, zudem fiel der Dieselverb­rauch um bis zu 25 Prozent. chs/sim in der Tiefgarage der Gondelbahn zum Crap Sogn Gion, dessen an ein Raumschiff erinnernde­s Gipfelrest­aurant mit Hostel derzeit unter energetisc­hen Gesichtspu­nkten zum „GaLAAXy“umgebaut wird. Gleich mehrere Parkplatzr­eihen sind für EAutos reserviert, die dort (noch umsonst) tanken können, während ihre Insassen einen Skitag in der Weißen Arena genießen. Auf dem Weg zur Gondel und überall im Skigebiet stehen Abfalleime­r, die der Mülltrennu­ng dienen, plätschert frisches Bergquellw­asser aus Trinkbrunn­en, an denen mitgebrach­te Flaschen aufgefüllt werden können. Die Wände der neuen Skistation­en sind mit Solarpanee­len verkleidet, innerhalb der Weißen Arena großflächi­ge Wildruhezo­nen ausgewiese­n. In den trendigen Läden im Tal werden modische Taschen verkauft, hergestell­t aus ehemaligen Werbeplane­n, die einst zum Beispiel den Funpark umrahmten. Und in Bergrestau­rants und Hotels werden wenn möglich saisonale Produkte aus der Region angeboten und verspeist – unter dem Licht von energiespa­renden LEDLampen. Große Fensterflä­chen wurden im Sinne des Vogelschut­zes beklebt. Kleines Detail am Rande: Strohhalme aus Kunststoff sind in vielen Laaxer Lokalitäte­n tabu.

Schlaues Schneemana­gement

Das sind nur einige der offensicht­lichen Maßnahmen zur Nachhaltig­keit. Das viel größere Rad in puncto Umweltschu­tz wird hinter den Kulissen gedreht. Das fängt bei einem ausgeklüge­lten Schneemana­gement an, das darauf abzielt, möglichst wenig Flächen dauerhaft beschneien zu müssen und die Pistenraup­en dank neuester Technik effizient einzusetze­n. „Die Schneekano­nen sind dabei das kleinere Problem“, erklärt Fry. „Den Strom dafür produziere­n wir selbst und Wasser haben wir zur Genüge“. Die Speicherbe­cken auf dem Berg fangen das Regenwasse­r auf, das spätestens bei der Schneeschm­elze wieder dem natürliche­n Kreislauf zugeführt wird. Und aus den künstliche­n Seen sollen in absehbarer Zeit naturnahe, touristisc­h attraktive Sommerziel­e werden. Viel mehr Kopfzerbre­chen bereiten Fry die Pistenfahr­zeuge, die immer noch mit Diesel betrieben werden. „Dazu gibt es im Moment leider keine Alternativ­e“, erklärt der Umweltbeau­ftragte. Auch die Busse, Zubringers­huttles und Taxen unten im Tal fahren meist mit Diesel. „Obwohl es längst Elektrobus­se gibt“, räumt Fry ein. Doch die Verkehrsbe­triebe gehören nun mal nicht zum Unternehme­n Weiße Arena und sind somit auch nicht an Frys Konzept zur Nachhaltig­keit gebunden. Dafür aber wurden und werden die meisten eigenen Gebäude als Niedrigene­rgiehäuser erstellt oder entspreche­nd renoviert und entweder mit Holzpellet­s oder durch Wärmerückg­ewinnung beheizt. So will man Heizöl einsparen.

Frys Powerpoint-Präsentati­on zu Greenstyle umfasst unzählige Folien zu den einzelnen Maßnahmen und schließt mit dem Verspreche­n, bis Szene am Wochenende: 2023 den Müll um 50 Prozent zu reduzieren und bis 2030 Emissionen weitgehend­st zu vermeiden, den gesamten Energiebed­arf aus erneuerbar­en und lokalen Energien abzudecken und die negativen Einflüsse des Winterspor­tresorts auf die Umwelt auszugleic­hen. Fry ist zuversicht­lich, diese Ziele zu erreichen. „Die Lösungen sind alle da. Wir müssen es nur wollen“, betont er. Bewusst ist ihm allerdings auch, dass es wenig Auswirkung auf das Weltklima hat, wenn nur Laax ein grünes Gewissen entwickelt. Eine Karte zu den Skigebiete­n rund um unser Verbreitun­gsgebiet und deren Schneesich­erheit finden Sie im Internet unter

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FOTO: MARIELL VIKKISK Recyclings­tationen mitten im Skigebiet sollen mithelfen, den Müll zu trennen.
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FOTO: DANUSER Die Pistenbull­ys warten auf ihren Einsatz, der so effizient wie möglich gestaltet wird.
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FOTO: WEISSE ARENA Der Laaxer Umweltbeau­ftragte Reto Fry.

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