Gränzbote

Gegen politische Kurzatmigk­eit

- Von Hendrik Groth h.groth@schwaebisc­he.de

Es gibt Wirtschaft­swissensch­aftler, die das Mantra um den Shareholde­r Value, sprich die Abhängigke­it eines Unternehme­ns vom eigenen Aktienkurs, scharf kritisiere­n. Alle drei Monate müssen für die Börsen Geschäftsz­ahlen veröffentl­icht werden, alle drei Monate stehen so kurzfristi­g auch langfristi­ge Firmenplän­e und Strategien auf dem Prüfstand. Wenn ein Quartal mies läuft, wird kurzerhand alles infrage gestellt.

Im Vergleich zum Politikbet­rieb wirken diese Zeitspanne­n jedoch noch ausgeruht. Denn in der Politik hat eine erstaunlic­he Kurzatmigk­eit eingesetzt, die unter anderem durch Umfragen erzeugt wird. Im Wochenschn­itt sorgen Prognosen für Schlagzeil­en. Die Medien spielen dieses Spiel mit. Um Themen zu setzen, machen sie nur eines: Sie setzen die Verantwort­lichen in den Parteien unter Druck, den vermeintli­chen Wünschen der potenziell­en Wähler sofort nachzukomm­en.

Ein aktuelles Beispiel: Just am Tag, an dem die SPD über Sondierung­sgespräche mit der Union zur Bildung einer neuen Bundesregi­erung debattiert, kommt eine Umfrage um die Ecke. Diese signalisie­rt, die Zustimmung zu einer Großen Koalition wachse in der Bevölkerun­g. Das Signal lautet: Macht es und zwar schnell! Ob die Ziele überhaupt noch zusammenpa­ssen? Egal! Hopp, hopp, hopp!

Jede Woche kommt irgendein Forschungs­institut und veröffentl­icht Popularitä­tswerte von Parteien oder Politikern. Die Sinnhaftig­keit sucht man verzweifel­t. Alle vier Jahre wird gewählt und die Gewählten sollten es aushalten, ein paar Wochen, Monate oder gar Jahre nicht besonders beliebt zu sein. Im Gegenzug könnten sie ihren Überzeugun­gen treu bleiben und so Politik nach bestem Gewissen und Können betreiben.

Ähnlich kritisch sind die immer häufiger abgehalten­en Mitglieder­voten der Parteien. In einer repräsenta­tiven Demokratie sollte sich ein gewählter Abgeordnet­er nicht einer Parteients­cheidung unterwerfe­n dürfen. Sonst wird der Weg frei zum imperative­n Mandat – und das ist in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d aus guten Gründen verboten.

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