Vorsichtiger Optimismus vor Tolus Prozesstermin
Vater der in der Türkei inhaftierten Journalistin hofft auf Entlassung seiner Tochter aus der Untersuchungshaft
ULM - Solidaritätskundgebungen, Lichterketten, Mahnwachen und Online-Petitionen: Vor dem zweiten Prozesstag gegen die aus Ulm stammende Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu hat sich ein breites Bündnis zusammengefunden, das nur ein Ziel hat: „Die Freilassung Mesales, meiner Tochter“, fasst der Vater der Inhaftierten, Ali Riza Tolu, zusammen: „Wir sind optimistisch!“Am Montag könnte das Gericht in Istanbul theoretisch die Freilassung der 33-Jährigen aus der Untersuchungshaft beschließen.
Ali Riza Tolu, ein kräftiger, grauer Mann, sitzt auf dem Sofa seiner Wohnung in Neu-Ulm. Er kommt aus einer einfachen Familie: „Ganz arm.“Als Kraftfahrzeug-Mechaniker hat er dann in Deutschland gearbeitet, in der Kunststoffindustrie, Schichtdienst, war selbstständig: „Seit meinem 14. Lebensjahr habe ich hart geschuftet, sehr hart.“Leben wollte er, „mit meiner Familie ganz normal leben, so wie alle anderen auch“. Luxus wollte er nie: „Nur ein wenig besser leben als die Eltern, wer will das nicht?“Seine drei Kinder zog Ali Riza Tolu nach dem Tod seiner Frau alleine groß – erfolgreich.
Doch seit Ende April, seit der Verhaftung von Mesale Tolu, ist alles anders: „Jetzt bin ich für meine Tochter da, Tag und Nacht.“Um fünf Uhr morgens steht Ali Riza Tolu in Istanbul auf, wenn Besuchstag im Gefängnis ist, besorgt Alltagsbedarf für die Tochter, ist um 21 Uhr wieder daheim: „Das ist nicht das Leben, das ich führen will, für das ich gearbeitet habe.“
Tolu, die aus Ulm stammt und nur den deutschen Pass hat, arbeitete in Istanbul für die kleine linke Nachrichtenagentur Etha. Ihr Ehemann ist im Vorstand der sozialistischen Partei ESP und in der prokurdischen Partei HDP aktiv. Suat Corlu war am 5. April festgenommen worden, Mesale Tolu am 30. April. Auch Corlu wird Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen. Gegen beide wurde anschließend U-Haft verhängt. Knapp acht Monate nach seiner Festnahme war der Ehemann vor einigen Wochen aus dem Gefängnis entlassen worden und ist seither auf freiem Fuß.
Während Ali Riza Tolu erzählt, klingelt immer wieder das Telefon. Das ZDF vereinbart einen Termin mit ihm. Dann ruft der Privatsender RTL an: Am Montag, am Tag des Prozesses, möge Tolu für ein Interview zur Verfügung stehen. Als Gesprächspartner ist Tolu begehrt, sagt er doch klar seine Meinung. Immer wieder kritisiert er mangelndes Engagement deutscher Politiker für die Freilassung seiner Tochter: „Vor der Wahl ist mehr passiert“, warf er erst kürzlich während einer Veranstaltung in Neu-Ulm der grünen Spitzenpolitikerin Claudia Roth vor. Dem widersprach Roth: Altkanzler Gerhard Schröder und Außenminister Sigmar Gabriel (beide SPD) seien sehr aktiv.
Der 58-Jährige begründet im Gespräch seinen vorsichtigen Optimismus, seine Hoffnung auf Freilassung der Tochter: „Das deutsch-türkische Verhältnis hat sich in den vergangenen Monaten verbessert.“Es gebe mehr und mehr Gesprächskontakte, der Ton habe sich normalisiert. Und Tolu setzt auf die Kraft des Faktischen: „Die Akte ist dünn, es gibt keine Beweise!“
Zum Auftakt des Verfahrens gegen Mesale Tolu am 11. Oktober hatte das Gericht es allerdings noch abgelehnt, die Deutsche bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß zu setzen.
Mesale Tolu gehört zu mindestens neun Deutschen, die aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert sind und deren Freilassung die Bundesregierung fordert. Namentlich bekannt aus dieser Gruppe ist neben Tolu nur der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel, der seit Februar ohne Anklage in Untersuchungshaft sitzt. Zuletzt war am 26. Oktober der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner aus türkischer Untersuchungshaft entlassen worden. Er war am Tag darauf nach Berlin ausgereist. Auch sein Verfahren wird fortgesetzt.
Über 80 000 Unterzeichner einer Online-Petition verfolgen den Prozess, wenn am Montag in Istanbul verhandelt wird. Die von Tolus ehemaliger Lehrerin Angelika Lanninger gestartete Initiative an Außenminister Sigmar Gabriel wächst von Tag zu Tag: Am Freitag vor einer Woche waren es noch 4700. „Ich bin baff“, sagte Lanninger den Medien. Grund für die wachsende Unterstützerschar sei, dass die Online-Plattform Campact die Petition nun in ihren eigenen Verteiler aufgenommen habe, über den sie bundesweit Tausende Menschen erreichen.
Freundeskreis macht mobil
Der Tolu-Freundeskreis freut sich über diese Petition, setzt aber am Montag auf politische und mediale Präsenz: „Wir freuen uns, dass neben der Linken-Abgeordneten Heike Hänsel und Anwälten aus Deutschland auch Günter Wallraff zur Prozessbeobachtung in die Türkei einreisen wird“, teilt der Kreis mit. Ob der deutsche Botschafter, Martin Erdmann, den Prozess beobachten wird, sei unklar, wird aber vom Freundeskreis erwartet. Deutlich ist die Forderung an den Außenminister: „Wir erwarten eine Reaktion von Herrn Gabriel vor dem Prozess.“
Freilassung oder weiter Haft? Im Hause Tolu verbreitet sich vorsichtiger Optimismus. Und Solidarität mit den noch inhaftierten Kollegen: „Selbst wenn meine Tochter freikommt, machen wir mit den Lichterketten in Ulm weiter – einmal im Monat“, kündigt Ali Riza Tolu an, „es sitzen noch so viele Journalisten in Haft, denen sind wir es schuldig!“