Gränzbote

Generation Lahm

Michel Decars hat ein Theaterstü­ck über den Fußballer geschriebe­n und will damit ein deutsches Leben zeigen

- Von Jürgen Berger

MÜNCHEN - Er ist Weltmeiste­r und hat in Interviews wesentlich mehr zu sagen als „Hauptsache hinten zu Null“. Jenseits des Rasens war Philipp Lahm aber ein eher unauffälli­ger Zeitgenoss­e. Genau das sorgt nun dafür, dass die vermeintli­che Biederkeit des Außenverte­idigers Thema eines Theaterstü­cks wurde. Die Uraufführu­ng am Münchner Residenzth­eater inszeniert­e Robert Gerloff.

Stimmt. Er schwänzte nie unentschul­digt das Training und fuhr auch niemals mit einem Lamborghin­i vor, wie das ein Kollege in Dortmund zu praktizier­en pflegt. Und ja, er soll „nur“1.70 groß und 66 Kilogramm schwer sein. Ein immer freundlich und auch etwas dämlich in die Welt blickender Gartenzwer­g ist Philipp Lahm aber nicht. Im Gegenteil. Startraine­r Pep Guardiola, der dafür sorgte, dass der Defensivta­ktiker und präzise Passgeber auch im Mittelfeld eine tragende Rolle spielte, gab zu Protokoll, Lahm sei „der intelligen­teste Spieler“, den er je trainiert habe.

Der typische Deutsche

Das daran etwas sein könnte, sah man nicht zuletzt, als Lahm zum Ende der letzten Saison seine Profikarri­ere beendete und es so aussah, als würde er ins Management des FC Bayern München wechseln. Dumm nur, dass der omnipotent­e Bayern-Patriarch Uli Hoeneß genau in dieser Zeit vorzeitig seine Haftstrafe wegen Steuerhint­erziehung beenden durfte.

Dass Philipp Lahm mit Hoeneß nicht immer einer Meinung war und bei Bayern München vorerst nicht mehr als Verteidige­r werden durfte, kann man als Beleg dafür nehmen, dass es zu Lahm wesentlich mehr zu sagen gegeben hätte, als dass er für all das steht, was die Welt an Deutschlan­d schätzt: Ingenieurh­afte Präzision und Verlässlic­hkeit, aber eben auch jene Vorgartenb­iederkeit, die dafür sorgt, dass der deutsche Michel zeit seines Lebens Geld spart, dabei aber zu leben vergisst.

Als die Nation am Samstag nun erwartungs­voll in Richtung Münchner Residenzth­eater blickte, wo es schon kurz nach Philipp Lahms Karriereen­de ein Theaterstü­ck zu dessen Leben geben sollte, stand eines zumindest fest. Der Theateraut­or Michel Decar gehört zwar der Generation Lahm an, versucht aber den Eindruck zu erwecken, er sei das Gegenteil dessen, für was der Protagonis­t seines neuesten Theaterstü­ckes scheinbar steht.

Decar ist ein postmodern­istischer Dada-Autor mit Hang zum parabelhaf­ten Nonsenstex­t. Das sah man zuletzt am Hamburger ThaliaThea­ter, als er mit „Schere Faust Papier“ein Menschheit­sgleichnis vorlegte, das sich in der Unendlichk­eit des Universums verlor. Im Fall von „Philipp Lahm“ist das nun etwas anders. Decar scheint durchaus zur Sache zu gehen, wenn er Karriere und Leben des Fußballpro­fis als Chiffre für eine Gemüts- und Geistesver­fassung nimmt, die dafür sorgt, dass Deutschlan­d ökonomisch erfolgreic­h, aber eben auch langweilig ist.

Wie er das in Szene setzt, hat komische Momente, schließlic­h geht es um einen Menschen, der sich im eigenen Wohnzimmer am wohlsten fühlt und am liebsten „Okidoki“sagt. Es geht um ein konflikt- und krisenfrei­es Leerstelle­n-Leben, dessen Witz im stoischen Gleichmut alltäglich­er Verrichtun­gen aufscheine­n könnte. Robert Gerloff, der Regisseur der Uraufführu­ng, hätte nur darauf achten müssen, dass der Schauspiel­er Gunther Eckes den monologisc­hen Text angemessen trocken spricht, dann wäre schon alles in Ordnung gewesen.

Kein Textvertra­uen

Das allerdings war allen Beteiligte­n am Ende wohl doch zu wenig. Also steckt der Bühnen-Lahm in einem schicken Anzug mit Shorts, der gleichzeit­ig ein Fußballdre­ss mit Stutzen und wie die Montur eines Torhüters gepolstert ist, obwohl es ja offensicht­lich nicht um den derzeit dauerverle­tzten Manuel Neuer geht.

Und auch ansonsten behauptet die Inszenieru­ng eine Witzigkeit, die nicht nötig wäre, hätte sie dem Text vertraut. Hebt Gunther Eckes zum Beispiel das Bettsofa (Bühne: Maximilian Lindner) an, lagert im Stauraum eine Menge quadratisc­her und praktisch geordneter Schokolade. Zu diesem Zeitpunkt hatte man schon längst verstanden, dass es um ein deutsches Leben ohne Eigenschaf­ten geht, war aber doch froh für den Hinweis, dass selbst eine derart ekstasefre­ie Existenz mithilfe von Serotonin-Beschleuni­gern aufgehellt werden kann. Weitere Aufführung­en am 21. Dezember, 2., 10. und 17. Januar. Kartentele­fon (089) 2185 1940 www.residenzth­eater.de

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FOTO: JULIAN BAUMANN Das Leben des echten Philipp Lahm taugt nur bedingt als Chiffre für ein deutsches Leben: Darsteller Gunther Eckes in der Titelrolle des Fußballpro­fis.

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