Reife Leistungen, zu wenig Ertrag
Stuttgart leistet sich zum eher ungünstigen Zeitpunkt eine dieser typischen VfB-Krisen
STUTTGART - Jupp Heynckes musste da dringend etwas klarstellen. „Das war kein Arbeitssieg von uns“, sagte er nach dem einigermaßen glücklichen 1:0 (0:0) seines FC Bayern München beim VfB Stuttgart, dem dritten Sieg seiner Mannschaft in der Bundesliga mit diesem knappsten aller Ergebnisse. „Beide Mannschaften haben klasse gespielt“, betonte Heynckes, wobei auch er in seinen weiteren Ausführungen vor allem den unterlegenen Gegner lobte. „Kompliment an Hannes Wolf und seine Mannschaft. Der VfB hat eine hochtalentierte Mannschaft, ist taktisch gut ausgebildet. Wenn man den VfB spielen sieht, kann man nicht verstehen, warum er so wenige Punkte hat“, sagte Heynckes.
In der Tat: Der Aufsteiger war dem Meister im letzten Spiel der Hinrunde eigentlich in allen Belangen ebenbürtig gewesen, ein Klassenunterschied zum überlegenen Tabellenführer war nicht erkennbar gewesen. Die Stuttgarter attackierten früh und konsequent, sie stellten den Münchnern geschickt die Passwege zu und schienen immer in der Lage, das Spiel schnell zu machen und so selbst für Gefahr zu sorgen. Heynckes hob hervor, dass Torwart Sven Ulreich bereits in der siebten Minute bei einem ansprechenden Schlenzer des Stuttgarter Flügelstürmers Chadrac Akolo seine ganze Klasse hatte aufwarten müssen. Heynckes lobte so seinen Torhüter, der dann in der Nachspielzeit einen, freilich nicht ganz so ansprechend geschossenen, Elfmeter Akolos parierte und sich so zum Helden des Nachmittags aufschwang. Doch Heynckes, der den Bayern den ihm eigenen fußballerischen Pragmatismus eingebläut zu haben scheint, wirkte ehrlich beeindruckt vom mutigen Spiel der Stuttgarter.
Tatsächlich hat der VfB von allen Mannschaften in der hinteren Zone der Tabelle die klarste – und durchaus auch reifste – Spielanlage. Trainer Hannes Wolf hat seiner Mannschaft taktische Disziplin und ein Konzept beigebracht, das sicher nicht neu ist – Pressing, Gegenpressing und schnelles Umschaltspiel gehören in der Bundesliga ja seit Jahren zu den Standardrezepten. Aber wer, wie die Stuttgarter, so konsequent und früh presst, wird wirklich jedem Gegner lästig. Und: Die Bayern kaum zur Entfaltung kommen zu lassen, muss man erst einmal schaffen. Der Gegentreffer durch Thomas Müller (79.) war einer dieser für die Bayern unter Heynckes zum Stilmittel gewordenen absoluten Willenstore. „Es ist nicht so, dass wir die Gegner an die Wand spielen. Aber wir haben vielleicht die Qualität und die Cleverness, um Ergebnisse zu holen“, sagte Müller.
Der VfB, ziemlich solide in die Bundesliga-Rückkehr-Saison gestartet, hat sich in den letzten Wochen indes in eine dieser typischen VfB-Krisen manövriert, bei der die Frage nach dem Warum keiner wirklich beantworten kann. Sicher, der VfB schießt zu wenige Tore – die 13 Stuttgarter Treffer werden nur vom Schlusslicht Köln unterboten. Sicher, der Aufsteiger verspielte auch durch Pech einige verdiente Punkte. Sicher, dass Ulreich an alter Wirkunsstätte in der Nachspielzeit einen Elfmeter hält, hatte womöglich auch etwas mit Karma zu tun.
„Wir werden mit dieser Mannschaft die Klasse halten, ganz klar. Die Mannschaft hat ein sehr starkes Gesicht“, sagte Sportvorstand Michael Reschke. Und doch bleiben die Fakten: Das 0:1 am Samstag war die vierte Niederlage und das fünfte sieglose Spiel in der Bundesliga hintereinander. Mit 17 Punkten überwintern die Stuttgarter auf Platz 14. „17 Punkte ist nicht so ganz das, was wir uns vorgestellt haben“, sagte Torhüter RonRobert Zieler. In der Abstiegssaison waren es zur Halbserie 15 Punkte und Platz 15.
Wohl auch wegen der plötzlich etwas unkomfortablen Tabellensituation konnte Wolf nicht allzu viel anfangen mit den Komplimenten seines Kollegen aus München. „Wir gehen mit einer schwierigen Situation in die Rückrunde, aber mit einer lösbaren“, sagte der 36-Jährige. Vor allem bedauerte Wolf, dass dieses eigentlich so optimal verlaufene Jahr 2017 für den VfB nun mit dieser ausgewachsenen Winterkrise endete. Ausdrücklich in Schutz nahm Wolf aber – wie alle Stuttgarter – den gescheiterten Elfmeterschützen Chadrac Akolo.
„Er hat praktisch alles Leid der Welt auf seinen Schultern“, berichtete Sportchef Michael Reschke nach seinem Besuch in der Kabine über den 22-Jährigen. Der entschuldigte sich via Instagram bei Fans und Mitspielern. „Es tut mir leid! Aber ich werde mein Bestes geben und wir haben am kommenden Dienstag die Möglichkeit, wieder alles für unseren Verein zu geben“, schrieb Akolo. Am Dienstag geht es für den VfB in Mainz im DFB-Pokal um den Einzug ins Viertelfinale (18.30).