Aus Großmutters Kochbuch
Die Kolbingerin Sonja Zagermann verkauft seit Kurzem ihr Heimat-Kochbuch
Die Kolbingerin Sonja Zagermann verkauft seit Kurzem ihr Heimat-Kochbuch.
KOLBINGEN - Vor sieben Jahren hat Sonja Zagermann das Buch „Wegen dem guten Essen“als Abschlussarbeit ihres Grafik-Design Studiums eingereicht. Seit November gibt es das Buch in einer größeren Auflage auch zu kaufen. Unsere Volontärin Kristina Priebe hat sich mit der Autorin über die Entstehung und die ersten Rückmeldungen aus Kolbingen unterhalten.
Frau Zagermann, wie sind Sie überhaupt auf die Idee zu Ihrem Buch gekommen?
Das Buch basiert auf einem Notizbuch meiner Großmutter Paula Maurer. Sie ging nach ihrem Schulabschluss als 13-jähriges Mädchen zwischen 1932 und 1934 einmal pro Woche nach Mühlheim in eine Kochschule, die sogenannte Hauswirtschaftliche Fortbildungsschule. In diesem Notizbuch hat sie alle Rezepte notiert, die sie dort erlernt hat – meistens ganze Menüs bestehend aus Vorspeise, Hauptspeise und Nachtisch. Das Notizbuch hatte ich in einer Schublade entdeckt und wollte herausfinden, was für ein Geheimnis dahinter steckt. Zuerst habe ich gemeinsam mit meiner Mutter alle Rezepte „übersetzt“, da sie in einer alten Schreibschrift, der Sütterlinschrift, notiert waren.
Aber ein reines Kochbuch ist es nicht?
Die Grundlage bilden zwar die Kochrezepte meiner Großmutter, aber durch die Erzählungen und Erinnerungen von vier weiteren Kolbinger Frauen ist es ein Buch geworden, das voll von wertvollem Wissen, Heimatgeschichte und wundervollen Erinnerungen ist. Man könnte sogar sagen ein wichtiges Zeitdokument in der Geschichte von Kolbingen. Während ich am Buch gearbeitet habe, sprach ich zusammen mit meiner Mutter mit Seraphine Amann, Justina Hipp, Berta Wachter und Klara Hipp, die in der Nachbarschaft aufgewachsen sind oder etwa im gleichen Alter waren wie meine 1995 verstorbene Großmutter. So erfuhr ich sehr viel Spannendes und Interessantes aus dem Leben und Alltag der damals fast 100-jährigen Frauen sowie auch schöne Geschichten über meine Großmutter.
Wie ist Ihr Buch denn aufgebaut?
Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert. Den Anfang, und auch das größte Kapitel des Buches, bilden die Rezeptseiten aus dem Notizbuch meiner Großmutter, die als Reproduktionen alle im Buch zu finden sind. Die Rezepte können in Sütterlinschrift gelesen und nachverfolgt werden. Ihnen stehen die Kommentare der vier Frauen gegenüber. Neben dem Rezept für Hackbraten sagt Berta Wachter zum Beispiel: „Es konnte früher auch mal vorkommen, dass so mancher versehentlich einen Dachhasen (Anm. d. Red.: scherzhafte Umschreibung für die Hauskatze) gegessen hat. Aber wer das wusste, hat es natürlich nicht gegessen.“Im zweiten Kapitel sind dann die hauptsächlich verwendeten Lebensmittel abgebildet – Obst und Gemüse – sozusagen vom Baum oder Feld auf den Kopierer direkt ins Buch. Im dritten Kapitel sprechen die vier Frauen in ausführlichen Erzählungen über ihr Leben und wie es sehr stark mit der eigenhändigen Beschaffungen von Nahrungsmitteln geprägt war. Im vierten Kapitel verstärken Reproduktionen von Fotografien meiner Großmutter den Eindruck noch visuell. Im letzten Kapitel sind alle Rezepte nochmal aus dem Sütterlin „übersetzt“.
„Wegen dem guten Essen“– grammatikalisch ist das ja nicht ganz korrekt. Wie sind Sie auf den Titel gekommen?
Das ist ein Zitat von Seraphine Amann – auf schwäbisch sagte sie während unseres Gesprächs: „Was glaubst Du, warum wir so alt geworden sind? Wegen dem guten Essen.“
Wie schmeckt denn das Essen von damals?
Superlecker! Es sind vor allem Rezepte mit natürlichen Zutaten – Gerichte, die man zum Teil heute noch kennt, aber vieles ist auch in Vergessenheit geraten. Sehr gut schmecken zum Beispiel Karthäußerklöße, Grießflammeri und Schwarzbrotpudding, und das selbstgemachte Sauerkraut ist nicht zu vergleichen mit Gekauftem! Das Haltbarmachen von Lebensmitteln war grundsätzlich ein sehr wichtiges Thema, da es nicht in jedem Haushalt einen Kühlschrank gab. Fast alle Rezepte habe ich nachgekocht, Testessern zum Probieren gegeben und diese auch Fragebögen ausfüllen lassen. Das ergab zum Teil sehr erstaunliche Antworten wie zum Beispiel: „Riecht wie auf einem orientalischen Gewürzmarkt“oder „Schmeckt wie ein Experiment“.
Gibt es denn auch grade zur Weihnachtszeit Rezepte, die Sie nachgekocht oder gebacken haben?
Ich backe schon seit langem immer die Ausstecherle nach dem Rezept meiner Großmutter. Das hat schon Tradition. Es gibt im Buch noch sehr viele andere weihnachtliche Backrezepte, zum Beispiel Zuckerlebkuchen, Teebrötchen, Vanilleringe und natürlich Springerle. Die vergangenen Jahre habe ich am zweiten Weihnachtsfeiertag auch immer den Sauerbraten nach dem Rezept meiner Großmutter gekocht.
Und zu Silvester, gibt es da auch ein passendes Rezept?
Wie wäre es zuerst mit einer Goldwürfelsuppe, zum Hauptgang ein gedämpftes Herz und zum Nachtisch einen Tag-und-Nachtpudding?
Sie leben in Zürich, sind Ihrer Heimat Kolbingen aber sehr verbunden – woran liegt das?
Ich hatte eine sehr schöne Kindheit in Kolbingen. Meine Großmutter hatte einen Bauernhof, auf dem ich besonders im Sommer sehr viel Zeit verbrachte, und schon da haben wir zusammen gekocht. Das sind recht schöne Erinnerungen. Als ich ungefähr sechs Jahre alt war, stand ich mit ihr zusammen in der Küche, und sie zeigte mir, wie man Kartoffeln schält. Ich kann mich noch gut erinnern, wie sie neben mir stand und sagte, dass ich nicht so viel von der Schale wegschneiden solle, da sonst nichts mehr von den Kartoffeln übrig bleiben würde. Durch die Arbeit am Buch fühle ich mich auch wieder stärker mit Kolbingen verbunden. Das Projekt hat eine starke Unterstützung vonseiten der Kolbinger Bürger erhalten – durch ihre Vorbestellungen konnte das Projekt erst realisiert werden. Aus dem anfänglichen Drei-Generationen-Projekt wurde so ein Gemeinschaftsprojekt.
Wie nehmen die Kolbinger Ihr Buch auf?
Anfang Dezember war ich in Kolbingen und habe zusammen mit meiner Mutter die Bücher ausgeliefert. Seither bekomme ich laufend positive Rückmeldungen. Die meisten sind begeistert oder sogar gerührt. Es kommt großartig an, dass jemand diese Geschichten erzählt und das Wissen erhalten bleibt. Und auch mich macht es glücklich, dass dieses Projekt, das mir so am Herzen liegt, auch anderen eine Freude bereitet.