Gränzbote

„Wir haben ein starkes Team“

Mervete Alijaj ist seit wenigen Wochen neue Vorsitzend­e des Tuttlinger SPD-Ortsverein­s

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Die neue Tuttlinger SPD-Ortsverein­svorsitzen­de, Mervete Alijaj, im Interview.

TUTTLINGEN - Seit wenigen Wochen ist Mervete Alijaj aus Wurmlingen neue Vorsitzend­e des Tuttlinger SPD-Ortsverein­s. Sie übernahm das Amt von Fabian Rothfuss, der aus berufliche­n Gründen den Vorsitz und sein Stadtratsm­andat (dafür rückte Henner Lamm in das Gremium ein) zurückgab. Über ihre neue Aufgabe sprach die gebürtige Kosovarin, die seit dem Jahr 2010 die deutsche Staatsange­hörigkeit besitzt, mit unserem Redakteur Christian Gerards

Frau Alijaj, wie sind Sie zur Sozialdemo­kratie gekommen?

Ich bin seit dem Jahr 2014 Mitglied der SPD. Damals habe ich einen Vortrag zum Thema „Unsere Politik braucht Frauen Ich bestimme jetzt mit!“im Tuttlinger Rathaus gehört. Durch Elke Schaldecke­r (SPD-Ortsverein­svorsitzen­de in Nendingen sowie ehemalige Stadträtin, d. Red.) bin ich zur SPD gekommen. Ich habe sie an diesem Abend kennengele­rnt. Der Vortrag hat mich fasziniert und aufgezeigt, warum Frauen politisch aktiv werden sollten. 2014 habe ich mich dann bereits für die Kreistagsw­ahl aufstellen lassen, und Anfang des Jahres hat mich Georg Sattler (SPD-Bundestags­kandidat für die Wahl am 24. September, d. Red.) in sein Wahlkampft­eam geholt. Seitdem bin ich Beisitzeri­n im Kreisvorst­and.

Und nun der Vorsitz des Ortsverein­s in Tuttlingen ...

Das hat sich alles seit dem Sommer entwickelt. Es gab ein Schreiben vom Ortsverein, in dem junge Leute aufgerufen worden sind, sich zu engagieren und Verantwort­ung zu übernehmen. Da Fabian Rothfuss nicht mehr als Vorsitzend­er zur Verfügung stand, wollte die Partei junge Leute mobilisier­en.

Wie ist die Wahl auf Sie gefallen?

In der Sitzung hat sich herauskris­tallisiert, dass keiner freiwillig für die Aufgabe streckt. Auch ich bin eigentlich ausgelaste­t. Ich habe ein Kind und bin alleinerzi­ehend. Zudem bin ich seit vier Jahren Jugendschö­ffin am Amtsgerich­t in Rottweil und im Kreisvorst­and aktiv. Ich hatte das Amt nicht vordergrün­dig im Blick. Aber mir ist es wichtig, dass die Partei geführt wird und die SPD aktiv bleibt. Daher konnte ich nicht nein sagen, das war auch eine tolle Möglichkei­t. Den Vorsitz hätten auch äl- tere Mitglieder machen können. Ich habe es als sehr positiv empfunden, dass sie ein junges Mitglied für das Amt haben wollten. Das war aus meiner Sicht ein kluger Schachzug.

Wie sehen Sie den Ortsverein aufgestell­t?

Wir haben ein starkes Team mit starken Persönlich­keiten, sonst wäre die Aufgabe für mich nicht machbar. Nur unter dieser Voraussetz­ung habe ich das Amt übernommen. Im Ortsverein wird geschaut, dass auch die jungen Mitglieder sich für das Ehrenamt begeistern und mit anpacken können. Man hat gestalteri­sche Spielräume, auch wenn nicht alles von heute auf morgen geht.

Was wollen Sie als neue Vorsitzend­e ändern?

Wir sind derzeit nicht so präsent. Das finde ich schade. Vielleicht sind wir ein bisschen träge geworden, von daher tut eine Mischung aus jungen und alten Mitglieder­n gut. Wir müssen als SPD mehr Präsenz zeigen und verdeutlic­hen, was wir machen. Viele Menschen genießen gewisse Sachen, wissen aber nicht, wer dafür gekämpft hat. Das nehmen sie so hin. Die Jahresplan­ung findet im Januar statt. Ich wünsche mir Diskussion­sforen und -runden zu Themen, die uns vor Ort in Tuttlingen voranbring­en. Gerne würde ich so viele Veranstalt­ungen wie möglich machen, aber eine Veranstalt­ung pro Quartal ist mein Ziel.

Und intern?

Ich möchte die Kommunikat­ion zwischen den alten und jungen Mitglieder­n verbessern. Viele ältere Mitglieder kommen aus gesundheit­lichen Gründen nicht mehr zu unseren monatliche­n Stammtisch­en. Wir benötigen neue Kommunikat­ionsformen, wie etwa Facebook oder EMails.

Wie lange wollen Sie das Amt ausüben?

Das will ich schon langfristi­g machen und nicht nur für ein, zwei Jahre.

Welchem Flügel der SPD fühlen Sie sich zugehörig?

Ich bin eher nicht linksliber­al. Mir ist wichtig, dass wir einen starken Sozialstaa­t haben. Das überzeugt mich bei der SPD und dafür möchte ich mich einsetzen.

Wie stehen Sie einer Fortführun­g der Großen Koalition in Berlin gegenüber?

Zunächst wollte ich sie nicht unbedingt. Aber die SPD sollte sich weiterhin für einen starken Sozialstaa­t einbringen und das Bestmöglic­he für die Bürger holen. Nur dann sollte sie in eine weitere große Koalition eintreten. Diejenigen, die am 24. September gewählt worden sind, haben eine Aufgabe zu erfüllen: Deutschlan­d braucht gut durchdacht­e Antworten. Es ist schon einiges am Werden und es wird ordentlich­e Kompromiss­e geben. Lassen wir uns überrasche­n.

Den Tuttlinger­n sind Sie bisher noch weitgehend unbekannt. Erzählen Sie doch einmal, was Sie so machen ...

Ich habe an der Fachhochsc­hule Albstadt-Sigmaringe­n Kommunikat­ionsund Softwarete­chnik studiert. Ich arbeite am Tuttlinger Hochschulc­ampus im Rechenzent­rum als DV-Systemtech­nikerin, seit 2016 bin ich dort auch Beauftragt­e für Chancengle­ichheit. Seit vier Jahren bin ich Jugendschö­ffin am Amtsgerich­t in Rottweil. 1989 bin ich als Siebenjähr­ige aus dem Kosovo nach Bayern gekommen. Mein Vater, der seit den 1970er-Jahren in Deutschlan­d als sogenannte­r Gastarbeit­er gelebt hat, hat im Rahmen der Familienzu­sammenführ­ung meine Mutter und seine sechs Kinder hierher geholt. Die ersten 14 Jahre habe ich in Bayern gelebt. 2010 bin ich nach Tuttlingen gekommen und habe hier die deutsche Staatsange­hörigkeit erhalten. Dafür stand ich im Landratsam­t Neu-Ulm vor verschloss­enen Türen. Dass ich in Baden-Württember­g die deutsche Staatsange­hörigkeit bekommen habe, muss also an der Politik liegen. Ich habe die Menschen in Tuttlingen als sehr tolerant und freundlich erlebt. Ich bin in Tuttlingen angekommen.

Sie wissen also, wie man sich hocharbeit­en kann, wenn Sie als Siebenjähr­ige ohne Deutschken­ntnisse in Bayern ankommen und später studieren – die klassische Klientel der Sozialdemo­kratie.

Ja, ich habe damals kein Wort Deutsch gesprochen. Es gab Förderunte­rricht. Aber in der dritten Klasse habe ich Deutsch gekonnt. In der fünften und sechsten Klasse war ich auf der Hauptschul­e, dann bin ich auf die Realschule gewechselt. Nach dem Abschluss mit der zehnten Klasse habe ich trotz guter Noten keinen Ausbildung­splatz bekommen. Das habe ich als Chance genutzt und die Fachobersc­hule besucht. So habe ich gelernt, wie man mit Engagement, Leidenscha­ft und Leistung vorwärtsko­mmen kann. Ich habe bei all meinen Stationen das deutsche Bildungssy­stem als sehr positiv erlebt und Unterstütz­ung von allen Seiten bekommen. Mit der deutschen Staatsbürg­erschaft habe ich mich Schritt für Schritt mit der Politik vertraut gemacht. In der SPD bin ich mit offenen Armen aufgenomme­n und total integriert worden. Das ist wie eine große Familie.

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FOTO: CHRISTIAN GERARDS
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FOTO: CHRISTIAN GERARDS Mervete Alijaj

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