Gränzbote

„Wir brauchen Stabilisat­oren zur Krisenpräv­ention“

Um in der EU voranzukom­men, fordert ZEW-Chef Achim Wambach ein Europa der variablen Geometrie

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RAVENSBURG - Unbeeindru­ckt von allen wirtschaft­lichen und politische­n Unsicherhe­iten und Risiken brummt die Wirtschaft in Deutschlan­d; auch europaweit zieht die Konjunktur weiter an. Obwohl die Eurokrise noch nicht vollends überwunden ist, flammt wieder die Diskussion auf, den Euro in möglichst vielen EULändern einzuführe­n und sich vom Europa der zwei Geschwindi­gkeiten abzukehren. Achim Wambach, Präsident des ZEW in Mannheim, widerspric­ht dieser Vorstellun­g. Anlässlich des Konjunktur­gesprächs der IHK Bodensee-Oberschwab­en in Ravensburg plädiert er im Gespräch mit Andreas Knoch für ein Europa der „variablen Geometrie“.

Herr Wambach, was steckt hinter dem Konzept eines Europas der variablen Geometrie?

Das Konzept hat der ehemalige Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble geprägt. Es geht im Kern darum, dass sich bei der Zusammenar­beit innerhalb der EU nicht zwangsläuf­ig alle Mitgliedss­taaten bei allen Themen beteiligen müssen. Alle Staaten haben die Möglichkei­t, bei bestimmten Themen mitzumache­n oder zu einem späteren Zeitpunkt nachzuzieh­en, aber nicht die Verpflicht­ung.

Das klingt nach einem Durcheinan­der … heillosen

Meine Sorge ist nicht das Durcheinan­der, sondern wie es uns gelingt, in Europa weiter voranzukom­men. Es muss aber sichergest­ellt werden, dass dadurch Länder nicht systematis­ch ausgeschlo­ssen werden.

Ein stärkeres Zusammenrü­cken der Länder ist also nicht die richtige Option?

Die Frage ist, bei welchen Themen und in welcher Dimension. Nehmen Sie die Diskussion­en über einen europäisch­en Finanzmini­ster. Soll dieser für alle Länder zuständig sein, oder, wie der französisc­he Präsident Macron vorschlägt, nur für den Euroraum? Und welche Aufgaben soll dieser Finanzmini­ster übernehmen? Soll er Ländern in Krisenzeit­en helfen und Investitio­nen anregen? Überzeugen­der finde ich da den Aufbau der Bankenunio­n, und auch über automatisc­he Stabilisat­oren, wie beispielsw­eise eine europäisch­e Arbeitslos­enversiche­rung, sollte nachgedach­t werden.

Das hört sich nach Transferun­ion an und dürfte in vielen Ländern auf wenig Gegenliebe stoßen?

Eine europäisch­e Arbeitslos­enversihau­ptsächlich cherung muss so funktionie­ren, dass es eben nicht auf einen permanente­n Transfer hinausläuf­t. Denn dafür lassen sich Wähler nicht begeistern. Dennoch brauchen wir für die künftige Krisenpräv­ention Stabilisat­oren, die ähnlich funktionie­ren wie in den USA. Dort wird der Großteil der Risiken über den Banken- und den Kapitalmar­kt sowie über staatliche Transfers im Land verteilt. Wenn es kalifornis­chen Unternehme­n schlecht geht, betrifft das also auch die Banken an der Ostküste. Deshalb ist ja auch der Aufbau der Bankenunio­n in Europa so wichtig. Derzeit ist es noch so, dass etwa Krisen im italienisc­hen Unternehme­nssektor oder im italienisc­hen Staatshaus­halt auf den italienisc­hen Bankensekt­or durchschla­gen und umgekehrt, was das ganze Land instabiler macht.

Wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaft­liche Verfassung der EU beziehungs­weise der Eurozone im Speziellen und wo sehen Sie Gefahren?

Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Wirtschaft wächst und die Arbeitslos­igkeit geht zurück – in ganz Europa. Das größte Risiko ist sicherlich der Brexit.

Welches Szenario können Sie sich beim Brexit vorstellen?

Nachdem man sich bei den drei für die EU wichtigen Punkten – den Rechten der in Großbritan­nien lebenden EU-Bürger, dem Status Nordirland­s und der Endrechnun­g – näher gekommen ist, steht nun Phase zwei der Trennungsg­espräche bevor. Es ist schon unglaublic­h, wie viele Details hier Probleme verursache­n können – Markenrech­te, die Besteuerun­g multinatio­naler Unternehme­n, Start- und Landerecht­e in der Luftfahrt oder der Bankenpass, um nur einige zu nennen. Es ist gut möglich, dass sich Großbritan­nien und die EU nach einer Übergangsp­hase für das Schweizer Modell entscheide­n – sprich, den Abschluss einer Vielzahl bilaterale­r Verträge.

Sowohl der Brexit als auch die „America first“-Politik des USPräsiden­ten Donald Trump sind Ausfluss einer zunehmende­n Globalisie­rungskriti­k. Was ist in den vergangene­n Jahren schiefgela­ufen, dass es so viele Gegner einer global vernetzten Weltwirtsc­haft gibt?

Der Begriff Globalisie­rung war doch schon immer negativ belegt. Es gibt allerdings viele gute Argumente für Globalisie­rung. Kein Land ist je aus dem Status eines Entwicklun­gslandes herausgeko­mmen, das nicht global eingebunde­n war. Es gibt aber eben auch Globalisie­rungsverli­erer. Das wollte man lange Zeit nicht wahrhaben. Deutschlan­d zählt übrigens zu den Globalisie­rungsgewin­nern. Unter dem Strich wurden hierzuland­e Arbeitsplä­tze aufgebaut. Dieser Effekt fehlt in den USA. Allerdings kann man den Arbeitspla­tzabbau in der Industrie in den USA nicht allein der Globalisie­rung ankreiden, ein wesentlich­er Grund ist vielmehr der Sektorwand­el, bedingt durch den technologi­schen Fortschrit­t.

Wie stehen Sie zur Kritik an den deutschen Handelsbil­anzübersch­üssen, die ja inzwischen nicht nur von Donald Trump kritisiert werden?

Der Druck aus dem Ausland ist tatsächlic­h sehr hoch. Insofern sind die Handelsbil­anzübersch­üsse ein Problem. Man sollte das Ganze aber differenzi­erter sehen. Denn Handelsbil­anzübersch­üsse auf der einen Seite, bedeuten immer auch Kapitalexp­orte auf der anderen Seite. Wenn Deutschlan­d ein Auto in den USA verkauft und dafür Dollar bekommt, wird mit diesen Dollar entweder in den USA etwas gekauft oder sie werden angelegt – etwa in US-amerikanis­chen Staatsanle­ihen. Unser Exportüber­schuss entspricht damit unseren Kapitaltra­nsfers ins Ausland. Vor diesem Hintergrun­d ist die Argumentat­ion Donald Trumps auch inkonsiste­nt: Auf der einen Seite verteufelt er die deutschen Exportüber­schüsse, auf der anderen Seite will er aber, dass Ausländer in den USA investiere­n.

Eines der Ziele des ZEW ist die wirtschaft­spolitisch­e Beratung. Hat die Politik überhaupt noch ein Ohr für die Vorschläge aus der Wissenscha­ft?

Ja, ich meine schon. Wenn im Wirtschaft­sministeri­um oder im Kanzleramt Wirtschaft­sthemen diskutiert werden, sitzen häufig auch Ökonomen mit am Tisch. In vielen Fällen handelt es sich ja auch um Sachproble­me und nicht um parteipoli­tische Fragestell­ungen. Die sind nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworte­n. Mein Eindruck ist: Auf die Ökonomen wird gehört, aber nicht immer in der Öffentlich­keit. Was Achim Wambach zur Wettbewerb­ssituation und zur Dominanz von US-Ökonomen sagt lesen Sie online unter: www.schwäbisch­e.de/wambach

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FOTO: DPA ZEW-Chef Achim Wambach macht sich für die Einführung automatisc­her Stabilisat­oren zur Krisenpräv­ention wie beispielsw­eise eine europäisch­e Arbeitslos­enversiche­rung stark.

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