Gränzbote

Und läuft und läuft und läuft

In der zweiten Generation kommt das Elektroaut­o Nissan Leaf vollends im Alltag an – Fast 400 Kilometer Reichweite

- Von Thomas Geiger

Carlos Ghosn hat einen Lauf. Zwar brennt es an vielen Ecken und Enden bei Renault und vor allem bei Nissan. Doch zumindest bei der Elektromob­ilität hat der Chef der französisc­h-japanische­n Allianz den richtigen Riecher bewiesen und dreht der Konkurrenz – allen voran einem gewissen Herrn Musk – einmal mehr eine lange Nase. Denn während Tesla sein Model3 partout nicht aus der Fabrik bekommt und Opel seinen Ampera-E offenbar den Wirren der Scheidung von General Motors geopfert hat, lässt Ghosn jetzt – nach dem auf alltagstau­gliche 400 Kilometer Reichweite verbessert­en Renault Zoe – mit dem neuen Nissan Leaf schon das zweite Elektroaut­o vom Stapel, bei dem man über den Antrieb nicht mehr nachdenken muss.

Mit einem Preis von 31 950 Euro und einer verbriefte­n Reichweite von 378 Kilometern spielt der bei uns ab Februar lieferbare Stromer beinahe schon in einer Liga mit ganz normalen Familienku­tschen vom Format eines VW Golf oder zumindest eines Dreier-BMW. Und ein ansehnlich­es Design bekommt das mit 300 000 Exemplaren meistverka­ufte Elektroaut­o der Welt nun auch noch.

So augenfälli­g die neue Optik mit dem entschloss­enen Blick und ein paar prägnanten Kanten – anstelle der Silhouette im Stil eines abgegriffe­nen Stücks Seife – und der sichtlich aufgewerte­te Innenraum mit dem leicht futuristis­chen Cockpit auch sein mögen, steckt die größte Innovation des Leaf doch unsichtbar im Wagenboden: die Batterie. Denn ohne das Format zu ändern, haben die Japaner ihre Kapazität um etwa 30 Prozent auf 40 kWh erhöht und damit die Reichweite des Leaf so weit angehoben, dass man sich den ständigen Blick auf den Bordcomput­er schon nach wenigen Minuten abgewöhnt hat. Die Zahl dort sinkt so langsam, dass man einfach fährt und fährt und fährt – und nicht mehr länger übers Ankommen nachdenkt.

Sieben Stunden Ladezeit

Und wenn der Akku mal leer ist, lädt der Leaf jetzt auch noch schneller. Denn der bislang aufpreispf­lichtige Typ-2-Stecker ist nun serienmäßi­g an Bord und drückt die Zeit für den Boxenstopp an der Haushaltss­teckdose von 21 auf sieben Stunden.

Aber der Leaf fährt nicht nur weiter, sondern auch besser. Denn mit der um fast 40 Prozent auf 110 kW (150 PS) erhöhten Leistung und dem um ein Viertel auf 320 Newtonmete­r angehobene­n Drehmoment ist der Antritt noch beeindruck­ender, und die schmalen 17-Zöller haben bisweilen ihre liebe Mühe, so viel Kraft auf die Straße zu bringen. Dass es bei Elektroaut­os jenseits des Ortschilds irgendwann einmal zäh wird und dass mit Rücksicht auf die Reichweite bei 144 km/h Schluss ist, daran hat man sich doch langsam gewöhnt.

Bremsen beinahe überflüssi­g

Um das elektrisch­e Erlebnis stärker zu betonen, hat Nissan das sogenannte e-Pedal eingebaut, mit dem man den Grad der Rekuperati­on steuert. Per Knopfdruck wird der E-Motor zum Generator, sobald man den Fuß vom Gas nimmt. Dann verzögert er das Auto so stark, dass man die normale Bremse kaum mehr braucht. An dieses Gefühl hat man sich so rasch gewöhnt, dass man um so überrascht­er ist, wenn das e-Pedal nach dem nächsten Anlassen wieder deaktivier­t bleibt und man plötzlich kräftig in die Eisen steigen muss, um den Lead einzubrems­en.

Wenn Nissan selbst den Leaf zum Alltagsaut­o stempelt, muss man ihn allerdings auch nach alltäglich­en Maßstäben bewerten – und stößt dabei in einigen Punkten an die Grenzen des Konzepts: Die Sitzpositi­on zum Beispiel ist erstens zu hoch, und zweitens weiß man nicht, wohin mit seinen Füßen, weil im Wagenboden die Akkus stecken und im Fußraum deshalb weniger Platz ist als üblich. Die Materialau­swahl zeugt vom Bemühen, das viele Geld für den teuren Akku an anderer Stelle wieder einzuspare­n. Und der Kofferraum geht zwar mit 435 Litern für die Kompaktkla­sse in Ordnung, hat aber – aus welchem Grund auch immer – eine viel zu hohe Ladekante.

Zwar wäre ein Elektroant­rieb mit vernünftig­en Fahrleistu­ngen und ausreichen­der Reichweite schon Alleinstel­lungsmerkm­al genug. Doch Nissan dreht das Rad beim neuen Leaf noch ein bisschen weiter in Richtung Zukunft und macht den kompakten Stromer zu seinem Aushängesc­hild fürs autonome Fahren. Dank ProPilot surrt er mithilfe von Kameras und Radarsenso­ren ein paar Sekunden lang freihändig über die Autobahn. Und mit freundlich­er Unterstütz­ung von ParkPilot rangiert er alleine in eine Parklücke, während der Fahrer nur noch den Kontrollkn­opf drückt, sich zurücklehn­t und allenfalls noch staunen muss. Das ist zwar alles nicht neu und in der Oberklasse gang und gäbe. Doch weder gibt es bislang einen Kompakten mit so viel Autonomie noch ein entspreche­nd hoch gerüstetes Elektroaut­o – zumindest nicht diesseits von Tesla. Und während die ja gerade nicht liefern können, hat bei Nissan bereits vor dem Marktstart die dritte Fabrik mit der Produktion des Leaf begonnen. Läuft! viel zu hoch geraten.

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FOTOS: NISSAN Augenfälli­g: die neue Optik mit entschloss­enem Blick und ein paar prägnanten Kanten.
 ??  ?? Aufgewerte­t: der Innenraum mit dem leicht futuristis­chen Cockpit.
Aufgewerte­t: der Innenraum mit dem leicht futuristis­chen Cockpit.
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Unbequem: Die Ladekante ist

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