Gränzbote

Von Tuttlingen an Berliner Volksbühne

Susanne Kennedy hat sich als Regisseuri­n einen Namen gemacht.

- Von Dorothea Hecht

TUTTLINGEN - Die große Regisseuri­n in der schwäbisch­en Kleinstadt – man könnte meinen, Susanne Kennedy wäre in Tuttlingen inzwischen fehl am Platz. Mitten in der bunten Büchersamm­lung und des multikultu­rellen Gezwitsche­rs in Stiefels Buchladen und Kulturcafé sitzt sie aber in der Szenerie, als wäre sie jede Woche Teil davon.

Dabei macht Susanne Kennedy, die in Tuttlingen aufgewachs­en ist und sich einen Namen in der Theatersze­ne gemacht hat, es sich inzwischen eher in Berliner Cafés gemütlich. Seit der aktuellen Spielzeit hat sie ein Engagement als Regisseuri­n an der Berliner Volksbühne. Ihr Stück „Women in Trouble“hatte kürzlich Premiere – und bekam sehr unterschie­dliche Kritiken. Eine „Überwältig­ungsattack­e“, resümierte etwa Deutschlan­dfunk Kultur. „Publikumsq­uälerei“, schrieb der „Spiegel“, lobte das Stück aber als „spektakulä­ren Knüller“. In der „Zeit“knabberte der Autor an der Frage: „Ist das jetzt langweilig oder rasend interessan­t, weil es sich so schwer erschließt?“

Kennedy selbst bezeichnet ihre Art, Theater zu machen, „so, als würde man ein surrealist­isches Gemälde ansehen“. Keine stringente Geschichte, Eindrücke sammeln sich aneinander, oft spielt auch die virtuelle Realität eine Rolle. „Andere Realitäten reinzubrin­gen, fasziniert mich als Ästhetik“, erklärt sie. Ohnehin gehöre das Digitale längst zum Alltag, „es ist unabwendba­r“. Darüber hinaus experiment­iert sie mit menschlich­en Formen, ihre Darsteller in „Women in Trouble“tragen Masken ähnlich Avataren im Videospiel.

Wer so viel wagt, merkt schnell, „dass in Berlin ein rauer Ton herrscht“, wie Kennedy es nennt. Kritiker halten nicht hinterm Berg, warum auch: Die Volksbühne wird unter neuer Intendanz besonders skeptisch beäugt. „Ich spüre den Druck, aber ich kann damit gut umgehen“, meint Kennedy. Sie hat ihre Familie, Mann und kleine Tochter, als Rückzugsor­t.

Dass man sich in der Theatersze­ne harte Bandagen zulegen muss, hat sie ohnehin früh gelernt. „Am Anfang wird man nicht ernst genommen“, erinnert sie sich zurück. Gerade als weibliche Regisseuri­n hatte sie es schwer. „Das Theater ist eine absolute Männerdomä­ne, hierarchis­ch und feudalisti­sch“, sagt sie. „Je größer die Bühne ist, desto weniger Frauen trifft man.“

Auch ohne weibliche Vorbilder hat sie es geschafft, eine bemerkensw­erte Karriere hinzulegen. Nach dem Regie-Studium in den Niederland­en war sie zunächst an holländisc­hen Bühnen aktiv, in Deutschlan­d wurde sie an den Münchner Kammerspie­len mit ihren Inszenieru­ngen von „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Die Selbstmord-Schwestern/ The Virgin Suicides“bekannt. Je mehr Erfolg sich einstellte, desto leichter wurde es für Kennedy, weiter Fuß zu fassen. Inzwischen hat sie sich einen Namen erarbeitet und kann sich neue Engagement­s aussuchen, die immer internatio­naler werden. In Brasilien war sie schon, in Rom hat sie sich noch im Dezember den Europäisch­en Theaterpre­is abgeholt, demnächst steht eine Reise in den Iran an.

In Tuttlingen steht dagegen mehr die Familie als die Arbeit im Vordergrun­d. Nicht nur ihre Eltern leben hier, sondern auch die Familie ihres Manns Markus Selg, der als bildender Künstler arbeitet und vor einigen Jahren in der Tuttlinger Galerie ausgestell­t hat. An ihrem neuen Stück in Berlin arbeiten die beiden nun gemeinsam. Und die Tochter? Ist in einer Berliner Kita gut untergekom­men. In Sachen Kinderbetr­euung, meint Kennedy, habe die Großstadt der Kleinstadt doch einiges voraus.

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FOTO: HECHT
 ?? FOTO: DOROTHEA HECHT ?? Susanne Kennedy ist in Tuttlingen aufgewachs­en und als Regisseuri­n an der Berliner Volksbühne tätig.
FOTO: DOROTHEA HECHT Susanne Kennedy ist in Tuttlingen aufgewachs­en und als Regisseuri­n an der Berliner Volksbühne tätig.

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