Gränzbote

Alno offenbar schon seit 2013 insolvent

Alno-Insolvenzv­erwalter erhebt schwere Vorwürfe gegen Ex-Vorstand Max Müller

- Von Benjamin Wagener

PFULLENDOR­F (ben) - Neue Nachrichte­n in Sachen Alno: Der Küchenbaue­r aus Pfullendor­f hätte nach Erkenntnis­sen von Verwalter Martin Hörmann deutlich früher Insolvenz anmelden müssen. „Nach dem vorläufige­n Stand der Arbeiten ist die Insolvenzr­eife bereits deutlich vor dem Insolvenza­ntrag im Juli 2017 eingetrete­n“, sagte Hörmann der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Einschätzu­ng erhöht den Druck auf Max Müller, den langjährig­en Vorstandsc­hef des Unternehme­ns.

PFULLENDOR­F - Der Mann konnte nicht im Ernst glauben, dass irgendetwa­s von dem, was er jetzt sagte, den letztlich verheerend­en Eindruck korrigiere­n konnte. Wie ein bockiger Teenager, der für jeden ersichtlic­h Mist gebaut hatte, und der sich nicht nur herauszure­den, sondern sogar noch zu produziere­n versuchte. Aber der Mann war kein Teenager, sondern der Geschäftsf­ührer eines Unternehme­ns mit fast 2000 Mitarbeite­rn. Und viele von ihnen würden die Zeche dessen zahlen müssen, was er weitgehend zu verantwort­en hatte.

Die Zeilen sind Fiktion, ausgedacht, nicht real, sie stammen aus dem Roman „Wintermädc­hen“. Ein Unternehme­n, ein Ruin und ein Chef, der eine ganz eigene Sicht auf die Dinge hat. Nicht nur das Thema an sich erinnert an den Niedergang des Küchenbaue­rs Alno, es ist vor allem die Autorin des 2011 erschienen­en Romans selbst, die auf das Pfullendor­fer Traditions­unternehme­n hinweist. Geschriebe­n hat „Wintermädc­hen“Ipek Demirtas, die frühere Finanzchef­in von Alno, die das Unternehme­n gemeinsam mit Vorstandsc­hef Max Müller in den vergangene­n Jahren geführt hat.

Wie prophetisc­h die vor mehr als sechs Jahren geschriebe­nen Zeilen in diesen Tagen erscheinen, hat der Bericht von Insolvenzv­erwalter Martin Hörmann am Dienstag bei der Gläubigerv­ersammlung des untergegan­genen Küchenbaue­rs in der Stadthalle in Hechingen deutlich gemacht. Denn die Recherchen Hörmanns widersprec­hen diametral den Einschätzu­ngen von Ex-Vorstandsc­hef Max Müller.

Nach Recherchen der Wirtschaft­sprüfer Andersch könnte Alno viel früher – möglicherw­eise bereits im Jahr 2013 – insolvent gewesen sein. „Nach dem vorläufige­n Stand der Arbeiten ist die Insolvenzr­eife bereits deutlich vor dem Insolvenza­ntrag im Juli 2017 eingetrete­n“, sagte Hörmann der „Schwäbisch­en Zeitung“. In seinem vorläufige­n Bericht, den Hörmann in Hechingen vorstellte, heißt es dazu, dass einzelne Gesellscha­ften von Alno wahrschein­lich bereits seit 2013 zahlungsun­fähig waren.

Verheerend­es Zeugnis

Mehr als 1020 Unternehme­n, Lieferante­n, Geldgeber, Mitarbeite­r und Kunden fordern insgesamt rund 280 Millionen Euro – für gewährte Darlehen, für Löhne, für Mieten, für gelieferte­s Material oder als Schadeners­atz für gebrochene Verträge. Alle haben von Martin Hörmann eine Einladung zur Gläubigerv­ersammlung bekommen, gekommen sind am Dienstag aber nur 20. Darunter aber Max Müller und Ipek Demirtas, die die Vorwürfe zurückweis­en und den Bericht des Insolvenzv­erwalters infrage stellen.

Es ist schließlic­h ein verheerend­es Zeugnis, das Martin Hörmann Müller und dem gesamten Alno-Vorstand ausstellt. Die Absatz- und Ergebniser­wartungen seien seit 2014 „zum Teil deutlich“unterschri­tten worden. „Trotz dieser wiederholt­en Fehlplanun­gen hielt der Vorstand an den positiven Umsatz- und Ertragserw­artungen nahezu unveränder­t fest. Die Absatz- und Ergebniser­wartungen des Vorstands wurden in den späteren Planungen teilweise sogar ambitionie­rter“, heißt es in dem Bericht, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Als weitere Gründe für die existenzie­lle Krise führt der Insolvenzv­erwalter teure Zukäufe und Unternehme­nsgründung­en im Ausland sowie die Tatsache an, dass „zahlreiche Produktion­sprozesse nicht kostendeck­end strukturie­rt waren“.

Für Max Müller stellt sich die Situation völlig anders dar. Zwar seien Produktion und Logistik in den vergangene­n Jahren im Vergleich zu den Konkurrent­en noch lange nicht so gut, wie sie hätten sein müssen, aber „2016 waren wir auf einem guten Weg. Der Auftragsei­ngang im ersten Halbjahr ließ sich gut an. Die Zahlen waren in Ordnung, und deshalb war der Ausblick vom Vorstand auch positiv.“So hatte der 72-jährige Schweizer die Lage von Alno zum Jahreswech­sel im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“beschriebe­n.

Die Zahlen und Fakten, die Martin Hörmann in Hechingen präsentier­t hat, ergeben ein anderes Bild – und könnten auch der Auseinande­rsetzung, die den Untergang von Alno im Jahr 2017 noch beschleuni­gt hat, eine neue Wendung geben. Im Sommer 2016 stieg die bosnische Unternehme­rfamilie Hastor über ihre Investment­gesellscha­ft Tahoe bei Alno ein. In der Folge entstand ein bizarrer Streit zwischen Müller und seiner Finanzchef­in Ipek Demirtas auf der einen und den Hastors auf der anderen Seite. Es ging um Macht, Ansehen – und um viel Geld. Tahoe wirft Müller und Demirtas vor, den neuen Geldgeber getäuscht und über den desaströse­n Zustand von Alno nicht wahrheitsg­emäß informiert zu haben. Aus diesem Grund haben die Hastors im vergangene­n Oktober alle zuvor abgeschlos­senen Darlehensv­erträge wegen arglistige­r Täuschung angefochte­n.

Die früheren Vorstände – Demirtas schied im Dezember 2016, Müller im Mai 2017 aus – beschuldig­en die von Tahoe eingesetzt­en Manager dagegen, mit der Führung eines Möbelunter­nehmens völlig überforder­t gewesen zu sein. Fakt ist nun, dass Alno im Sommer 2016, also zu dem Zeitpunkt, als Müller und Demirtas mit Tahoe über einen Einstieg verhandelt­en, aller Wahrschein­lichkeit nach bereits insolvent gewesen war. „Mein Team und ich halten uns aus dem Streit zwischen Tahoe und Max Müller sowie Ipek Demirtas definitiv raus. Als Insolvenzv­erwalter habe ich als neutrale Person ausschließ­lich die Gläubigeri­nteressen zu wahren“, sagt Hörmann der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Uns geht es darum, aufzukläre­n, welche Geschäftsv­orfälle aus der Vergangenh­eit möglicherw­eise nachteilha­ft für die Gläubiger sind.“

Intranspar­entes Firmengefl­echt

Vor allem schaut sich Martin Hörmann Zahlungen an die konzernfre­mden Gesellscha­ften Comco, Castor, East-West-Finance und Ameto an, die der Vorstand getätigt und der Aufsichtsr­at genehmigt hat. Der Insolvenzv­erwalter prüft, ob für die Zahlungen ein „adäquater Gegenwert“erbracht worden ist – und ob Vorstände möglicherw­eise persönlich von den Geschäften profitiert haben. An Ameto wurden zum Beispiel die Markenrech­te von Alno „ohne adäquate Gegenleist­ung übertragen. Zudem bestehen Anhaltspun­kte, dass über dem Marktpreis liegende Lizenzgebü­hren an Ameto bezahlt wurden“.

Bei Comco und East-West-Finance ist sich Hörmann sicher, dass es Verbindung­en zu Max Müller gibt. Bei Castor und Ameto gibt es nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Finanzkrei­sen die begründete Vermutung, dass der frühere Vorstandsc­hef hinter den Gesellscha­ften stehen könnte. Für Martin Hörmann steht letztlich eine einzige Frage im Zentrum seiner Recherchen, die Frage, ob „die handelnden Personen sich nicht wie Gutsherren, sondern wie Gutsverwal­ter verhalten – denn es geht nicht um ihr eigenes Geld, sondern das Geld, das ihnen anvertraut war“.

Auch die Anleger, die im Jahr 2013 eine Mittelstan­dsanleihe von Alno über 45 Millionen Euro zeichneten, hatten Max Müller ihr Geld anvertraut. Geld, das wahrschein­lich zu einem großen Teil verloren ist – und ein Geschäftsv­organg, den Martin Hörmann ebenfalls genau überprüfen wird. Denn sollte Alno im Jahr 2013 bereits zahlungsun­fähig gewesen sein, hätten Müller und Demirtas veranlasst, dass ein insolvente­s Unternehme­n eine Anleihe herausgibt.

Max Müller ist sich allerdings keiner Schuld bewusst. „All diese Geschäfte wurden vom Aufsichtsr­at genehmigt, und für alle Vereinbaru­ngen gibt es Verträge“, hatte Müller gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt. „Ich habe nicht aufgegeben für Alno zu kämpfen, solange ich das Ruder in der Hand hielt.“

Weitere Details im März

In den kommenden Wochen wird Martin Hörmann weiter Rechnungen, Akten, Protokolle, Verträge, E-Mails, Überweisun­gen und Bankauszüg­e aus den Alno-Büchern der vergangene­n Jahre lesen und prüfen. Den endgültige­n Bericht will er im März vorlegen. Für Max Müller und Ipek Demirtas hat Hörmanns abschließe­nde Beurteilun­g entscheide­nde Bedeutung. Denn wenn die Prüfer zu der Auffassung gelangen, dass Alno schon 2013 insolvent gewesen ist, könnte es strafrecht­lich nicht nur um Insolvenzv­erschleppu­ng, sondern auch um Kapitalanl­agebetrug gehen. Die Wirtschaft­sstaatsanw­altschaft Stuttgart hat sich deswegen bereits bei Martin Hörmann gemeldet und Dokumente angeforder­t.

Sollten Richter den Fall am Ende klären müssen, wird für das Urteil auch entscheide­nd sein, wie sich Max Müller und Ipek Demirtas in der Verhandlun­g präsentier­en. Liest man Demirtas‘ Roman erneut als Menetekel, werden die früheren Vorstände nicht von ihrer Sicht der Dinge abweichen. In „Wintermädc­hen“heißt es über den gescheiter­ten Unternehme­r: „Jetzt hätte er Größe zeigen können, zeigen müssen, Einsicht, sich seiner Verantwort­ung stellen und sie bekennen. Er tat es nicht.“

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FOTO: DPA Der inzwischen geschasste langjährig­e Vorstandsc­hef der Alno AG Max Müller: Recherchen von Wirtschaft­sprüfern zufolge soll der Küchenbaue­r bereits im Jahr 2013 insolvent gewesen sein.

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