Rettungsschwimmer für den Untergang
Woody Allens „Wonder Wheel“: Der Film ist bunt, die Story schwarz
Eine gute Voraussetzung für einen Filmabend ist eine negative Kritik. Danach kann es nur besser werden. An schlechten Kritiken mangelt es der neuesten Produktion von Woody Allen nicht. „Wonder Wheel“ist in den USA im Dezember angelaufen. Der neue Film, heißt es dort, ist ein alter Hut.
Dagegen lässt sich nichts einwenden. Nur: Woody Allen darauf festzulegen, er sei eine funkensprühende Originalitätsbombe, ist ein Klischee, das schon seit 20 Jahren nicht mehr zutrifft. Vielmehr beobachten wir ihn dabei, wie er ein Grundschema variiert. Und das ist nun wieder der Fall. Vor allem aber: Es gibt nicht nur witzige Filme von ihm, sondern auch solche, die rabenschwarz sind. Dazu gehört der neue.
„Wonder Wheel“ist, erwartungsgemäß, in einem bekannten Rahmen verortet, die meiste Ähnlichkeit hat er mit „Blue Jasmin“(2013). Kate Winslet übernimmt ihre Rolle von Cate Blanchett. Und sie wird dabei, das ist ein neuer Aspekt, mit besonderer Zielstrebigkeit in ihre Ausweglosigkeit getrieben – mit dem ruhigen Atem und der sanften Stimme des Erzählers.
Das ist Justin Timberlake. „Wonder Wheel“hat wieder einen Erzähler. Der bleibt aber nicht in der Tonspur stecken, sondern springt ins Bild, als Mickey, einem literarisch ambitionierten Bademeister, der auf dem Hochsitz über den Strand wacht. Amerikanische Schauspieler berichten ja immer – und immer in den gleichen Worten – wie toll sie die Zusammenarbeit mit Woody Allen fanden. Und wie geehrt sie sich fühlen. Timberlake hat die Ehre, einen Naivling zu geben.
Neu ist der Kameramann
Damit kommt er vergleichsweise gut weg, zumindest gegenüber Juno Temple als Carolina. Sie erfüllt mit wirrem Blondhaar das älteste und stabilste Rollenmodell Woody Allens: das Dummchen vom Dienst, die Quasselstrippe, die andere ins Unglück stürzt. Zumindest aus männlicher Sicht. Auch da gibt es diesmal eine kleine Variante. Ihr Opfer wird eine Frau, Ginny (Kate Winslet). Und sie selber. Aber darum wird hier kein Aufhebens gemacht. Plappermäul- chen ist irgendwann verschwunden. Und Ginny gebührt die Empathie des Films. Die Kamera bleibt zum Schluss auf ihrem Gesicht.
Die auffälligste Neuheit (zumindest für Kinogänger, die Allens „Cafe Society“von 2016, das auf dem hiesigen Markt vorbeigehuscht ist, nicht sehen konnten) ist der Kameramann Vittorio Storaro, ein alter Kämpe des Metiers („Apocalypse Now“, „Der letzte Kaiser“, „Der letzte Tango von Paris“). Er drückt mächtig auf die Farbtube. So knallbunt war Woody Allen noch nie. Und nie so adipös: James Belushi hat sich für Woody Allen verdoppelt. Und auch die beiden Mafiagangster, die aus den Sopranos mal eben eher lustlos vorbeischauen, sind zu dick, zu alt, zu müde, um noch anderleuts Füße einzubetonieren.
Den Kern der Handlung bildet wieder Allens beliebte Figurenkonstellation aus Tennessee Williams Theaterstück „Glasmenagerie“von 1944, die Ehe eines jähzornigen Mannes und einer zarten Frau, die geistig auf der Flucht vor der Wirklichkeit ist. Auf der Flucht vor ihrem fetten haarigen „Humpty“-Belushi landet Ginny in den Armen des wohlproportioniert glatten „Mickey“-Timberlake. Aber Mickey erweist sich für Ginny als tumbe Nuss: Mit dem Rettungsschwimmer geht’s in den Untergang. In der Operette ist die Liebe eine Himmelsmacht. Bei Woody Allen ist die Dummheit das Schicksal. „Wonder Wheel“, Regie: Woody Allen, USA 2017, 101 Minuten, FSK: ab 12 Jahren.