Gränzbote

Graffiti hat es schwer in Singapur

Wer in dem Stadtstaat Wände besprüht, riskiert staatliche Stockhiebe

- Von Zubaidah Jalil

SINGAPUR (dpa) - Der Palästinen­serjunge zeigt einen entschloss­enen Blick. Nur die Augen sind zu sehen, der Rest des Gesichts wird von der Kufiya, dem traditione­llen Palästinen­sertuch, verhüllt. Eine Hand ist zur Faust geballt, in der anderen hält er einen Stein. „Für Palästina mit Liebe“, steht auf dem martialisc­hen Gemälde auf einer Wand im Somerset Skate Park im Herzen Singapurs geschriebe­n, eine Huldigung an die Opfer der zweiten Intifada.

Doch keine 24 Stunden nach seiner Fertigstel­lung ist das Wandgemäld­e schon wieder verschwund­en, übertüncht von den Behörden. Auch wenn es auf einer für öffentlich­e Kunst freigegebe­nen Wand prangte, wurde es zu einem Opfer im Kampf um öffentlich­en Raum zwischen Künstlern und Regierung des südostasia­tischen Stadtstaat­s.

Während unerlaubte Graffiti in vielen Ländern nur ein Bagatellde­likt sind, können sie im strengen Singapur mit Gefängnis oder der Prügelstra­fe geahndet werden. Das bekam 1994 US-Teenager Michael Fay zu spüren: Er wurde zu vier Monaten Gefängnis und sechs Hieben mit dem Rohrstock verurteilt, weil er Autos besprüht hatte. Ähnliche Urteile trafen einen Schweizer 2010 und zwei Deutsche 2015, nachdem sie sich mit ihren Spraydosen Züge in einem Depot vorgeknöpf­t hatten.

Trotz dieses abschrecke­nden gesetzlich­en Rahmens ist in Singapur um die Jahrtausen­dwende eine Untergrund-Graffiti-Szene aufgekomme­n. Dafür stehen Gruppen wie Operation Art Core (OAC), Zinc Nite Crew (ZNC) und ARTVSTS. In den vergangene­n Jahren sei diese Form urbaner Kunst trotz – oder besser gesagt: gerade wegen – dieser Fesseln stärker geworden, sagt Zero, Gründer der Künstlertr­uppe RSCLS. „Graffitiku­nst gedeiht in der Unnachgieb­igkeit“, erläutert er.

Mitte des vergangene­n Jahrzehnts formte sich so etwas wie ein Kompromiss zwischen der Staatsmach­t und den Graffitikü­nstlern. Regierungs­stellen wie der Nationale Jugendrat und die Singapurer Landbehörd­e entschloss­en sich, den Künstlern kleine Bereiche in der Stadt zur Verfügung zu stellen, um legal zu malen. „Die Idee dahinter war, sie auf eine rechtmäßig­e Plattform zu lenken“, sagt der Künstler Zaki Abdul Razak, Dozent für Visuelle Studien an der Lasalle-Kunstakade­mie. Dennoch ist das wie so ein Waffenstil­lstand mit ungutem Gefühl. „Es ist eine Art Hassliebe“, sagt Slac, einer der Gründer von ZNC und seit fast 20 Jahren ein Titan der örtlichen Straßenkun­stszene.

Eher ein Pyrrhussie­g

Anstatt eines Coups für die Bewegung sehen Graffitikü­nstler darin eher einen Pyrrhussie­g. Der Straßenkun­st Raum zur Verfügung zu stellen, brachte die Zunft vom Rand der Gesellscha­ft dem Mainstream näher, es bedeutete aber auch, dass die Behörden sie mit Leichtigke­it überwachen und somit Mittel und Inhalte kreativer Produktion beschneide­n konnten.

Die bereitgest­ellten Flächen sind auch recht knapp bemessen. Die Wand im Somerset Skate Park zum Beispiel misst bloß 15 x 2 Meter, rund 50 Künstler müssen sie sich teilen. Nicht von ungefähr müssen die Darstellun­gen auch vorher genehmigt werden. Alles, was die Behörden als provoziere­nd einschätze­n, wird abgelehnt oder gleich überpinsel­t. Das war anscheinen­d das Schicksal des Bildes des Palästinen­serjungen.

So stehen Straßenkün­stler vor der Option, staatlich genehmigte Kunst zu schaffen oder aber Auftragsar­beiten auf Privatgelä­nde. Razak vergleicht die Künstler mit Vögeln, die in einem goldenen Käfig zwitschern. Die Gängelung der Straßenkün­stler wirft auch die Frage auf, ob das subversive Wesen, dass diese Subkultur ausmacht, dabei geopfert wurde. Staatlich sanktionie­rte Kunst als „Graffiti“zu bezeichnen, spiegele einfach nicht die Wurzeln dieser Form des sozialen Protests wider, sagt Razak.

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FOTO: -/ SLACSATU/ DPA An der staatliche­n Kandare: Graffitikü­nstler im südostasia­tischen Singapur.

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