Gränzbote

Der Jemen versinkt im Elend

Im Süden der Arabischen Halbinsel herrschen Hunger, Krieg und Seuchen

- Von Ulrich Mendelin

Die Südspitze der arabischen Halbinsel ist Schauplatz einer humanitäre­n Katastroph­e. Nach Jahren des Bürgerkrie­gs und dem Zusammenbr­uch der staatliche­n Ordnung, nachdem eine noch nicht überwunden­e Cholera-Epidemie mehreren Tausend Menschen das Leben gekostet hat, ist nun auch noch die Diphtherie ausgebroch­en.

„Die Jemeniten gehören zu den widerstand­sfähigsten Menschen, die ich in meinem Leben kennengele­rnt habe. Aber irgendwann können sie nicht mehr“, berichtet Liny Suharlim. Die 36 Jahre alte gebürtige Indonesier­in ist Mitarbeite­rin der französisc­hen Nichtregie­rungsorgan­isation ACTED, dem Partner der deutschen Welthunger­hilfe. Sie harrt in der Hauptstadt Sanaa aus und koordinier­t unter widrigen Umständen die Nothilfe. Bereits im September hatte sie im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“die untragbare­n Zustände im Land beschriebe­n. Seitdem habe sich an der Lage im Land nichts verbessert, sagt sie nun. Im Gegenteil: „Es wird hier immer schlimmer.“

Dem jüngsten, im Dezember vorgelegte­n Bericht der Vereinten Nationen zufolge sind von den knapp 30 Millionen Menschen im Jemen 17,8 Millionen nicht ausreichen­d mit Nahrung versorgt. 11,3 Millionen Menschen stehen am Rand der Hungersnot und brauchen akute Hilfe, um überleben zu können – allein diese Zahl ist innerhalb von fünf Monaten um 15 Prozent gestiegen.

Hafenblock­ade verschärft­e die Lage

Das Elend ist menschenge­macht. Insbesonde­re eine Blockade der jemenitisc­hen Häfen habe die ohnehin schon heikle Lage noch einmal verschärft, berichtet Liny Suharlim. Die von Saudi-Arabien angeführte Militärall­ianz hatte die Blockade Anfang November verhängt und die jemenitisc­hen Häfen und Flughäfen sowie die Zufahrtsst­raßen in das Land für Hilfsorgan­isationen geschlosse­n. Zuvor war in der Nähe der saudischen Hauptstadt Riad eine Rakete abgefangen worden, abgefeuert von den Huthi-Rebellen, die weite Teile des Jemen kontrollie­ren.

Die Blockade traf vor allem Hudeida am Roten Meer, die Lebensader des Jemen. Über den mit Abstand größten Hafen des Landes wurden bis dahin drei Viertel aller Importe abgewickel­t, auch die Hilfsorgan­isationen bringen Nahrung und Medikament­e über Hudeida ins Land. Die Kriegsmaßn­ahme der Saudis hatte unmittelba­re Folgen: „Nach Verkündigu­ng der Blockade ist der Wasserprei­s in einer Region innerhalb von zwölf Stunden um 400 Prozent gestiegen“, berichtet Liny Suharlim. Weil der Treibstoff knapp geworden ist, müssen die Helfer ihre Arbeit einschränk­en, Krankenhäu­ser können ohne Dieselgene­ratoren die medizinisc­he Versorgung nicht mehr gewährleis­ten, Wasserpump­en fallen aus.

Unter dem Druck etwa des UNSicherhe­itsrates wurde die Blockade zwar nach einigen Wochen befristet gelockert – die Folgen dauern aber bis heute an. „Es gibt einen großen Nachholbed­arf“, erklärt Liny Suharlim. Und der wächst weiter: „Der Durchschni­tt dessen, was derzeit von den Schiffen entladen wird, entspricht nur einem Drittel dessen, was allein für humanitäre Hilfe nötig ist.“

An diesem Samstag soll die befristete Aussetzung der Blockade von Hudeida enden. Wie es weitergeht, ist unklar. Diese Woche richteten 17 Hilfsorgan­isationen einen dringenden Appell an die Weltöffent­lichkeit, Druck auszuüben, damit der Hafen von Hudeida offen bleibt – und zwar „komplett und bedingungs­los“, wie es in dem Aufruf heißt, den unter anderem Save the Children, Oxfam, Care und ACTED unterzeich­net haben.

Die Blockade hat die Inflation angetriebe­n. „Bislang hatten die Leute teils noch genug Geld, um sich Medikament­e und Lebensmitt­el zu beschaffen“, berichtet Liny Suharlim. Jetzt müssen sie sich entscheide­n: Kaufen sie Medikament­e für einen erkrankten Angehörige­n – oder Nahrung für den Rest der Familie?

Für viele Menschen sind sauberes Wasser und funktionie­rende Krankensta­tionen außer Reichweite – und so grassiert auch die Cholera weiter. Die Epidemie brach im Frühjahr 2017 landesweit aus, bis Anfang November gab es 900 000 Verdachtsf­älle und knapp 2200 Tote. Seit November ist die Diphtherie hinzugekom­men, eine lebensbedr­ohliche Infektions­krankheit. Nach Zahlen von Unicef wurden bislang 239 Verdachts- und 28 Todesfälle gezählt. Im März und April drohen die Zahlen weiter zu steigen, denn dann steht die nächste Regenzeit bevor, mit entspreche­nden hygienisch­en Gefahren. „Manchmal“, sagt Liny Suharlim, „fühlen wir uns wie Feuerwehrl­eute, die einen Brand löschen, während die Brandstift­er noch im Haus sind.“

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FOTO: DPA Sanaa ist immer wieder Ziel von Luftangrif­fen. Das Bild entstand Mitte Dezember nach der Bombardier­ung eines Gefangenen­lagers.

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